Ein ganz besonderer Kämpfer

Kommentar von
11.03.2015
Bei meinem Dienstantritt Mitte Dezember bot sich mir ein Bild, das ich im ersten Moment gar nicht richtig erfassen konnte: Ein Frühgeborenes, gerade so groß, dass es in einer Hand Platz hat, eingewickelt in einer wärmenden Aludecke und Tüchern, neben seiner Mutter. Ein so junges Neugeborenes abseits jeglicher medizinischer Maschinerie zu sehen war fast nicht zu glauben.

Ich möchte diesen Blog einem besonderen Kämpfer widmen.

Neben Geburtsbegleitung und Schwangerenvorsorge betreut unser Team außerdem auch schwangere Frauen, welche mit Beschwerden in der Klinik aufgenommen wurden. Dazu zählen auch stillende Mütter, die aufgrund einer Frühgeburt länger in der Klinik bleiben müssen. Nach einer normalen Geburt bleiben die Frauen max. 24 Stunden in unserer Obhut. Wenn sich ein Baby entschließt, früher zur Welt zu kommen, bleibt meist keine Zeit mehr, um die Frau ins Krankenhaus nach Aweil zu transferieren und die Geburt findet bei uns statt.

Bei der Nachsorge am Freitag kommen die Wöchnerinnen mit ihren Babies zum Wiegen und zur Immunisierung von Tuberkulose und Polio © Conny Ablasser/MSF

Bei meinem Dienstantritt Mitte Dezember bot sich mir ein Bild, das ich im ersten Moment gar nicht richtig erfassen konnte: Ein Frühgeborenes, gerade so groß, dass es in einer Hand Platz hat, eingewickelt in einer wärmenden Aludecke und Tüchern, neben seiner Mutter. Ein so junges Neugeborenes abseits jeglicher medizinischer Maschinerie zu sehen war fast nicht zu glauben. Als der Kerl dann auch noch begann, wie ein völlig reifes Neugeborenes an der Brust zu saugen, war ich sprachlos. Brachte er doch gerade einmal seinen Mund soweit auf, um die Brustwarze zu fassen. Was hatte ich denn bisher gelernt – ein afrikanischer Mini-Kämpfer straft mich hier in wenigen Minuten Lügen.

Wie ich später erfuhr, kam er in der 24 (!!) Schwangerschaftswoche (das ist das sechste Monat einer Schwangerschaft) zur Welt. Er wurde sofort mit Sauerstoff versorgt und ins Krankenhaus nach Aweil transportiert. Nachdem dort kein Platz in einem adäquaten Inkubator frei war – aufgrund einer Überbelegung in der Neugeborenen-Station – wurde er wieder zurück in unsere Klinik transportiert. Allein dieser Transport-Marathon hätte für ihn Zuviel sein können, er brachte bei seiner Geburt gerade einmal 1.000 Gramm auf die Waage. Männliche Frühgeboren neigen zu Atemproblemen, weil das vorhandene Testosteron die Lungenfunktion ein wenig hemmen kann.

Doch nicht so unser ‚Linus‘ (den Namen hab ich ihm gegeben).

Die folgenden Wochen bis in den Januar hinein machte es uns seine Mutter nicht unbedingt leicht – sie tat sich schwer, ihr Baby so oft wie nur möglich zu stillen. Zu viele Sorgen plagten sie, weit weg von ihrer Familie, wo noch vier weitere Kinder versorgt werden müssen. Mir blutet das Hebammen-Herz, denn er würde an der Brust saugen wie ein reifes Neugeborenes, aber ich konnte die Mutter einfach nicht dazu bringen, unaufgefordert alle drei Stunden zu stillen – ich verbrachte in meinen Diensten viel Zeit damit, sie zu motivieren und zu unterstützen. Leider ohne großem Erfolg, denn Ende Januar zeigt nicht nur die Waage an, dass Linus eindeutig zu wenig Nahrung erhält – auch äußerlich sieht man ihm die Unterversorgung deutlich an – jeden Tag fürchtete ich, ihn leblos vorzufinden.

„Linus“ am 27. Jänner mit 1.130 Gramm © Conny Ablasser/MSF

Und somit entschied ich, ihn alle 3 Stunden mit Zusatznahrung zu füttern. Ich erstellte einen genauen Zeitplan und instruierte das gesamte Hebammen-Team, die Zeiten und die Zusammenstellung der künstlichen Milch genau einzuhalten und zu dokumentieren. Wir beschlossen außerdem, dass es die Aufgabe der Mutter ist, diese Milch Tropfen für Tropfen an ihr Baby zu verfüttern und sie auch weiterhin zum Stillen zu motivieren. Gerade die nahrhafte Muttermilch hat eine Vielzahl an lebenswichtigen Inhaltsstoffen, von denen Linus enorm profitieren kann.

Anfang Februar kam dann erneut ein Frühchen in der 28. Schwangerschaftswoche zur Welt, diesmal ein Mädchen. Dessen Mutter gab mit Selbstverständlichkeit die Brust – es vergeht gerade einmal eine Woche und die Waage zeigt eine enorme Gewichtszunahme. Die Kleine gedeiht in Kürze prächtig. Dieses Geschehen brachte einen weiteren Vorteil mit sich: die Fürsorge von Linus‘  Mutter veränderte sich Tag für Tag deutlich. Sie beobachtete den Fortschritt, den das Mädchen machte. Das Ganze ging so weit, dass ich sah, wie sie unaufgefordert stillend in ihrem Bett lag und uns sogar daran erinnerte, die Spritze mit Milch zu bringen.

Donnerstags folgt sie mir stolz zur wöchentlichen Gewichtskontrolle und tatsächlich verzeichnen wir zum ersten Mal eine deutliche Gewichtszunahme (5. Februar 1.340 Gramm und 12. Februar 1.500 Gramm). Nicht nur das, auch Linus selbst beginnt sich zu verändern – er ist wacher und macht lautstark auf sich aufmerksam. Mittlerweile verzeichnen wir schon über einige Wochen Gewichtszunahmen: Am 26. Februar bringt er bereits 2.360 Gramm auf die Waage!

© Conny Ablasser/MSF

Wir freuen uns über so viel Durchhaltevermögen und Überlebenswillen in einem Umfeld, das nicht einmal annähernd die besten Voraussetzungen für ein so junges Leben bietet.

Besonders schön finde ich außerdem, dass es die Mutter trotz einer doch sehr schwierigen Annäherungsphase selbst es geschafft hat, das Überleben ihres Kindes zu unterstützen. So konnte sie sich schlussendlich mit einem gesunden Kind auf den Weg zurück zu ihrer Familie machen:

© Conny Ablasser/MSF

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17.03.2015
10:46
Doris

Danke für die berührende Geschichte und für die großartige Arbeit, die Sie und alle MsF Leute leisten - ganz, ganz großartig!

17.03.2015
06:34
Gabriele van d…

Ich bin so ergriffen über die Arbeit die ihr leistet,dank deiner Hilfe hat dieses kleine Menschenkind Überlebt .Und wenn man sich dann dieses wunderbare Lächeln von Linus Mama sieht geht bei mir das Herz auf .Vielen vielen dank für die Arbeit die ihr jeden Tag leistet ,der kleine Linus ist ein Glückskind dass er bei euch zur Welt kommen dürfte .

16.03.2015
22:35
Rechsteiner Fredi

Eine sehr berührende Geschichte!
Gratuliere allen Beteiligten!

16.03.2015
21:59
Miriam

Wahnsinns-Geschichte, unvorstellbar hier in Österreich. Ich mache im Juli meinen Abschluss zur Hebamme und spende schon einige Jahre für Ärzte ohne Grenzen. Zeilen, wie diese, erinnern mich immer wieder daran, dass diese Investition Sinn macht. Danke für Ihren Einsatz, er ist goldwert!!

16.03.2015
21:58
Miriam

Wahnsinns-Geschichte, unvorstellbar hier in Österreich. Ich mache im Juli meinen Abschluss zur Hebamme und spende schon einige Jahre für Ärzte ohne Grenzen. Zeilen, wie diese, erinnern mich immer wieder daran, dass diese Investition Sinn macht. Danke für Ihren Einsatz, er ist goldwert!!

16.03.2015
17:23
Anja

Vielen Dank für diese bewegende Geschichte
Sie hat mich sehr berührt
Ich wünsche dem kleinen Linus alles erdenklich Gute

16.03.2015
17:08
Lis Schubert

Das ist für mich ein besonderes Geburtstagsgeschenk. Ich finde es großartig, dass Du liebe Conny in dieses Land gehst und helfen willst. und Du kannst einem so kleinen Wesen zu einem großen verhelfen. Danke

16.03.2015
16:19
Roswitha Göth

Wünsche Linus für sein weiteres Leben wieder einen solchen Schutzengel - wie Sie einer sind - falls er einen braucht! Alles Gute und viel Erfolg bei Ihrer wertvollen Arbeit!

16.03.2015
16:16
Roswitha Göth

Wünsche Linus für sein weiteres Leben wieder einen solchen Schutzengel - wie Sie einer sind - falls er einen braucht! Alles Gute und viel Erfolg bei Ihrer wertvollen Arbeit!

16.03.2015
14:46
Susanne Krauss

Liebe Conny, eine kleine Geschichte mit großem Inhalt! Ich wüsche Linus für den Rest seines Lebens dieselbe Überlebenskraft - so einer muss doch mal ein 'ganz großer' werden! :-). Vor allem aber: Danke für DEINEN Einsatz - ohne Menschen wie Euch würde selbst der größte Lebenswille einem kleinen Leben wie Linus nichts helfen.

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