Mein erster Einsatz: Ich mag Herausforderungen!

Kommentar von Emails aus dem Einsatz
17.11.2016
Jan Pouza ist Elektriker und erfahrener Handwerker. Derzeit ist auf seinem ersten Hilfseinsatz in Afghanistan, erzählt er im Blog über die größten Herausforderungen bisher und den „Alltag im Einsatz“.

Themengebiet:

Jan Pouza stammt aus Tschechien und ist Elektriker und Handwerker mit vielfältiger Berufserfahrung, unter anderem bei Bauprojekten in Kanada und Großbritannien. Derzeit ist er auf seinem ersten Hilfseinsatz als Logistiker mit Ärzte ohne Grenzen in Afghanistan. Das Land wird seit fast 40 Jahren durch den anhaltenden Krieg erschüttert – die komplexe Krise führt zu massiven wirtschaftlichen, politischen und sozialen Problemen. Für humanitäre Organisationen wurde der Zugang zu entlegenen und unsicheren Gebieten immer mehr eingeschränkt. Unsere Teams sehen tagtäglich, welche verheerenden Auswirkungen die Gewalt auf die Menschen hat und wie sie unter dem Mangel an medizinischer Hilfe leiden. In diesem Blogpost erzählt Jan von seinen Erfahrungen währen der Arbeit in einer Konfliktregion, die größten Herausforderungen seines Jobs und wie der „Alltag im Einsatz“ aussieht.

Das ist also mein erster Einsatz! Vorweg muss ich gleich einmal festhalten, wie glücklich ich über meinen Entschluss bin, bei Ärzte ohne Grenzen mitzuarbeiten. Es ist eine großartige Erfahrung und ich glaube, ich habe mich bisher ganz gut geschlagen. Ich beginne einfach mal von vorne:

MSF
Jan Pouza in Afghanistan.

Die Arbeit.

Mein erstes Projekt befand sich in Lashkar Gah, der Hauptstadt der Provinz Helmand. In einigen Gebieten dieser Provinz kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu bewaffneten Gewaltausbrüchen. Daher steigt auch der Druck auf die Hauptstadt immer mehr. Doch trotz allem ist das Boost-Krankenhaus hier funktionstüchtig und läuft gut. Ärzte ohne Grenzen unterstützt das Spital in den Bereichen Chirurgie, innere Medizin, Notfallversorgung sowie Intensivmedizin. Auch Tuberkulose (TB) und Mangelernährung werden hier behandelt. Es ist eines der größten Krankenhäuser, die Ärzte ohne Grenzen weltweit betreut – mit 300 Betten, 700 einheimischen MitarbeiterInnen und 25 internationalen Einsatzkräften.

Mein Start hier war etwas holprig, denn es liefen gerade sehr viele Baumaßnahmen gleichzeitig. Bereits im Jahr 2015 begann Ärzte ohne Grenzen umfassende Renovierungsarbeiten am Gebäude vorzunehmen. Es wurde eine moderne Zentralheizung installiert, die Innenräume erhielten einen neuen Anstrich und viele Bereiche wurden saniert, um eine bessere Infektionskontrolle zu ermöglichen. Außerdem wurden drei neue Stationen gebaut: Eine Mutter-Kind-Station (54 Betten), eine Intensivstation für Neugeborene (24 Betten) und eine pädiatrische Intensivstation (10 Betten). Mit Ende des vorigen Jahres kamen hier im Spital insgesamt 12.721 Babys zur Welt! Insgesamt werden 7% aller Geburten in Afghanistan von Ärzte ohne Grenzen betreut.

Kadir Van Lohuizen/Noor
Unsere Krankenschwester Samantha Hardeman in der Intensivstation für Neugeborene des Boost-Spitals.

Aber ich mag Herausforderungen, und es war hier definitiv nicht langweilig. Ich bin auch sehr froh darüber, so viel über Bau-Projekte gelernt zu haben – denn ich bin kein Ingenieur und war auch für die Projektabwicklung zuständig. Gleichzeitig habe ich neue Prozesse für die Dokumentation unserer Aktivitäten eingeführt und ein Melde-System für Garantieüberprüfungen.

Als sich die Kämpfe später immer mehr Lashkar Gah näherten, wurde die Zahl der internationalen Einsatzkräfte in der Hauptstadt reduziert. Ich wurde dann nach Kandahar überstellt. Diese kurzfristige Änderung bietet mir die gute Gelegenheit, ein zweites Projekt kennenzulernen. In der Einrichtung hier werden PatientInnen mit medikamentenresistenter Tuberkulose diagnostiziert und behandelt. Denn Tuberkulose ist in Afghanistan ein großes, aber immer noch unzureichend beachtetes Problem der öffentlichen Gesundheit.

Auch hier bin ich wieder als „Construction Log“, also als Logistiker und Bauleiter tätig. Besonders freut es mich, dass ich hier bereits von den Bodenplänen weg beginnen kann. Auch ist unser Projektleiter hier bereits sehr erfahren im Bereich Bau – eine tolle Gelegenheit, noch mehr dazu zu lernen. Was hier in Kandahar besonders gut funktioniert, ist die Qualität der Arbeit der hier ansässigen Baufirmen. Das macht unser Leben um vieles einfacher!

Der Alltag.

Die Unterkünfte und die Verpflegung hier haben eine sehr gute Reputation unter den internationalen Teams. Für mich ist es ja mein erster Einsatz, aber ich kann bisher sagen, dass beides wirklich toll ist. Ich habe sogar ein bisschen Angst, zu viel zuzunehmen, weil das Essen so gut ist! Aber der ein oder andere Lauf (wir nennen es „Lashkargaitis“), Training im Fitness-Raum, Tischtennis, Volleyball und das fehlende Bier machen meinen Bauch wieder beinahe flach. Ich hatte davor noch nie Volleyball gespielt, aber jetzt bin ich schon gar nicht mehr so schlecht – ich habe sogar hier in Kandahar einen Volleyball-Platz gebaut. Unser Projektleiter ist wirklich ein toller Mensch, ich  bewundere ihn sehr. Ich habe auch sehr gute Erfahrungen mit meinen anderen KollegInnen und Vorgesetzten hier gemacht. Die vielen neu geschlossenen Freundschaften vermisse ich jetzt schon. Auch unsere einheimischen KollegInnen sind sehr nett; es ist toll, hier Freunde zu finden und von ihnen mehr über ihr Leben und die kulturellen Unterschiede zu lernen.

Die Sicherheit.

Ich war sehr gespannt auf die Erfahrung, in einem Konfliktgebiet zu arbeiten. Es ist für mich immer noch schwer zu beschreiben. Während des ersten Frühstücks im Projekt sprachen alle über Schusswechsel. Ich weiß noch, wie ich dachte: Die Leute hier sind ein bisschen seltsam, wenn sie sich gleich nach dem Aufstehen über so etwas unterhalten. Aber dann wurde mir klar, dass ich einen sehr tiefen Schlaf habe – denn alles, was sie erzählten, war in der vorhergehenden Nacht passiert. Ich war der einzige, der rein gar nichts gehört hatte! Das blieb auch weiterhin so, bis sich die Kämpfe untertags immer mehr Lashkar Gah näherten. Doch ich war immer noch nicht sehr nervös. Unsere einheimischen KollegInnen waren ziemlich ruhig und ich glaube, dass sich diese Ruhe auch auf das internationale Team ausbreitete.

Das Privatleben.

Ich bin sehr glücklich und stolz auf mich, meine Freunde sind stolz auf mich und ich bin stolz auf unsere Organisation. Wenn nun Ärzte ohne Grenzen auch stolz auf mich ist, wäre das eine perfekte Kombination, oder?

Die Reputation von Ärzte ohne Grenzen ist wirklich großartig. Während meines Urlaubs lernte ich einige MitarbeiterInnen anderer internationaler Hilfsorganisationen kennen. Es war toll, zu hören, was sie von Ärzte ohne Grenzen halten. Wie bereits erwähnt, bin ich auch sehr froh über all die neuen Erfahrungen, Fähigkeiten und Freunde, die ich hier gewinnen konnte. Das Büro von Ärzte ohne Grenzen in Prag bat mich auch darum, einen Brief über meine Erfahrungen an SpenderInnen und UnterstützerInnen zu schreiben. Einige davon fanden mich auf Facebook und schickten mir ihre positiven Nachrichten. Das bereitet mir große Freude. All das ist großartig!

Das Einzige, was ich während meines Einsatzes wirklich vermisst habe, war die Freiheit, einfach überall Fotos machen zu können. Während meines Urlaubs war ich wie ein freigelassener Hund – ich mietete einen Scooter und reiste so viel ich konnte quer durch Sri Lanka. Bei meinem Rückflug nach Hause war ich dann zwar körperlich sehr müde, aber im Geiste erfüllt.

Die Zukunft.

Ich würde sehr gerne weiterhin mit Ärzte ohne Grenzen arbeiten. Als Erstes brauche ich zwar mal Urlaub, aber danach würde ich sehr gerne so bald wie möglich wieder auf einen Einsatz fahren. Jetzt geht es für mich mal nach Bangkok und dann vielleicht nach Myanmar, Laos, Vietnam und Kambodscha.

Viele Grüße,
Jan

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1980 in Afghanistan tätig. In unseren Hilfsprojekten arbeiten einheimische und internationale MitarbeiterInnen zusammen, um gemeinsam die bestmögliche medizinische Versorgung zu gewährleisten. Ärzte ohne Grenzen unterstützt das Gesundheitsministerium im Ahmad Shah Baba Krankenhaus im Osten von Kabul, die Dast-e-Barchi Mütterstation in West-Kabul und das Boost-Krankenhaus in Laskhar Gah in der Provinz Helmand. In Khost im Osten des Landes betreiben wir ein Mutter-Kind-Spital. Ärzte ohne Grenzen akzeptiert für die Arbeit in Afghanistan keine staatlichen Gelder. Die Aktivitäten werden ausschließlich aus privaten Spenden finanziert.

Themengebiet:

Neuen Kommentar schreiben
18.11.2016
12:02
Paul Weber

Respekt - Ihr seid Helden!

Neuen Kommentar schreiben