Medizinische Hilfe unter Beschuss – die Frühjahrskonferenz in Berlin

Kommentar von
11.04.2016
Wie kann man Krankenhäuser in Krisenregionen vor Angriffen schützen? Franz Luef, humanitärer Koordinator von Ärzte ohne Grenzen Österreich, schildert seine Eindrücke aus Berlin.

Wie kann man Krankenhäuser in Krisenregionen vor Angriffen schützen? Welchen Schutz bietet das Humanitäre Völkerrecht? Wird das „Recht auf Hilfe“ für Verwundete aller Konfliktparteien noch respektiert? Diese Fragen wurden Anfang April bei der 7. Frühjahrskonferenz von Ärzte ohne Grenzen diskutiert. Franz Luef ist der humanitäre Koordinator von Ärzte ohne Grenzen Österreich und schildert seine Eindrücke aus Berlin.

Vor ziemlich genau sechs Monaten wurde die chirurgische Spezialklinik von Ärzte ohne Grenzen in Kundus im Norden Afghanistans von mehreren präzisen Luftschlägen des US-Militärs zerstört: Der Angriff am 3. Oktober 2015 tötete 42 Menschen, darunter 14 Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen. 24 Patienten und 4 Begleitpersonen wurden verletzt. Doch Kundus in Afghanistan, Sa’da im Jemen, Aleppo in Syrien, Malakal im Südsudan sind nur einige Beispiele von Angriffen auf Krankenhäuser in jüngster Vergangenheit. Trotz großer medialer Aufmerksamkeit und öffentlicher Entrüstung gibt es weiterhin keine verlässliche Antwort darauf, wie die Sicherheit von PatientInnen sowie Helfenden in Krisengebieten zuverlässig gewährleistet werden kann. Die Genfer Abkommen, die den Schutz von Verwundeten und des medizinischen Personals garantieren sollen, erscheinen wirkungslos.

In Anbetracht dieser Vorfälle drehte sich das Thema der Frühjahreskonferenz von Ärzte ohne Grenzen in Berlin um das Thema „Medical Care Under Fire“ – medizinische Hilfe unter Beschuss. VertreterInnen aus Politik (u.a. Auswärtiges Amt und Deutscher Bundestag), Militär und Forschung, von Hilfsorganisationen und Medien diskutierten mit einem sehr interessierten Publikum die Kernfrage: Welche Auswirkungen und Konsequenzen haben diese unrechtmäßigen Angriffe auf Krankenhäuser und andere Gesundheitsstrukturen – für PatientInnen, medizinisches Personal und die betroffene Bevölkerung?

Stephanie Pilick
Berlin, 05.04.2016: Podiumsdiskussionen während der 7. Frühjahrskonferenz in Berlin (v.r.n.l.): Marina Peter (Brot für die Welt), Omid Nouripour (Bündnis90/Die Grünen), Florian Westphal (Ärzte ohne Grenzen Deutschland), Michael Koch (Auswärtiges Amt), Martin Lammert (Deutsches Verteidigungsministerium)

Die wichtigsten drei Punkte der sehr interessanten Gespräche können wie folgt zusammengefasst werden:

  1. Das geltende Internationale Humanitäre Völkerrecht sowie das Internationale Menschenrecht sind eindeutig und präzise. Es gibt weder Raum für Fehlinterpretationen, noch bedarf es weiterer klärender Zusätze oder Änderungen.

Alle möglichen Maßnahmen müssen getroffen werden, um die Gesundheitsversorgung von Verwundeten und Kranken auf nicht-diskriminierende, also neutrale und unabhängige Weise zu gewährleisten. Die so genannte „Sorgfaltspflicht“ liegt bei den kriegsführenden Parteien!

Verwundete, Kranke und Gesundheitspersonal dürfen NICHT angegriffen, willkürlich ihres Lebens beraubt oder schlecht behandelt werden. Auch dürfen Einrichtungen des Gesundheitswesens und medizinische Transporte NICHT angegriffen werden und müssen so weit wie möglich geschont werden.

  1. Es scheitert jedoch an der Durchsetzung dieses geltenden und international anerkannten Rechts.
     
  2. Deshalb sind wir alle gefordert: Wir dürfen diese Angriffe nicht zur Norm werden lassen! Attacken auf Gesundheitspersonal und -einrichtungen, PatientInnen und medizinische Transporte dürfen keine Normalität werden. Wir müssen unsere Stimmen laut und deutlich erheben, gemeinsame „Communities of Action“ bilden und unsere Empörung und unseren Protest hinausschreien. Zu diesem Punkt haben auch alle Teilnehmenden der Konferenz ihre volle Unterstützung zugesagt.

Dazu sind wir verpflichtet – in Solidarität mit all unseren KollegInnen, MitarbeiterInnen, PatientInnen und der Bevölkerung in verschiedenen Kriegsgebieten der Welt: Ob in Afghanistan, Syrien, dem Jemen oder dem Südsudan. Diese Aufforderung unterstreicht auch Herr Zedoun al-Zoubi, Leiter der Union syrischer medizinischer Hilfsorganisationen, mit seiner sehr bewegenden Videobotschaft:

“Don´t stop to raise your voice, scream!
We believe in you, we need you!”

Videobotschaft von Zedoun al-Zoubi

Der weltweite Aufschrei nach den Angriffen auf das Traumazentrum von Ärzte ohne Grenzen in Kundus, Afghanistan, war einer dieser wichtigen gemeinsamen Aktionen: Mehr als eine halbe Million Menschen unterzeichneten die Petition mit der Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung der Angriffe. Die mehr als 547.000 Unterschriften haben wir am 9. Dezember dem Weißen Haus in Washington übergeben.

Doch es bleibt weiterhin viel zu tun: Der Bericht „Auswirkungen des Syrienkonflikts auf die Bevölkerung“ von März 2016 zeigt, dass immer noch gezielte oder willkürliche Angriffe auf zivile Gebiete und zivile Infrastruktur an der Tagesordnung stehen.

Hören Sie also nicht auf, mit Ihrer Stimme unsere Botschaft zum Schutz von medizinischen Einrichtungen weiterzutragen: Teilen Sie zum Beispiel unsere Beiträge auf Facebook, unterstützen Sie unseren Aufruf #NotATarget (Website in englischer Sprache) oder besuchen Sie eine unserer nächsten Veranstaltung und diskutieren Sie mit!

Aufzeichnung der Frühjahrskonferenz 2016

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