Vergessene Krisen: “Blinde Flecken der Berichterstattung“ – Studienpräsentation

Kommentar von
13.03.2015
Das Institut für Publizistik der Universität Wien untersuchte in einer empirischen Studie, weshalb viele humanitäre Krisen in Österreichs Medien kaum präsent sind. Die Ergebnisse wurden bei einem "Public Talk" diskutiert.

Ärzte ohne Grenzen macht mit seiner Arbeit laufend auf vergessene Krisen in aller Welt aufmerksam. Das Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien hat in einer empirischen Studie untersucht, weshalb manche dieser Krisen in Österreichs Medien kaum beleuchtet werden. Bei einem "Public Talk" wurden am 9. März 2015 in Wien die Studienergebnisse präsentiert und diskutiert.

Wie präsent sind humanitäre Krisen dieser Welt in österreichischen Medien? Nach welchen Faktoren wählen Journalisten und Journalistinnen ihre Berichte aus? Welche Details erfährt man in der Medienöffentlichkeit u.a. über den Krieg in Syrien – und was sagt diese Berichterstattung tatsächlich über die Situation der betroffenen Menschen aus?

Diese Fragen diskutierten Prof. Dr. Fritz Hausjell vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universtität Wien, Publizistik-Studentin Hannah Gell und Redakteurin Bianca Blei von der Tageszeitung Der Standard unter der Moderation von Irene Jancsy, Kommunikationsleiterin von Ärzte ohne Grenzen Österreich. Die Standard-Journalistin berichtet in der Print-Ausgabe und online in einer aktuellen Serie über vergessene Krisen wie in der Demokratischen Republik Kongo oder der Zentralafrikanischen Republik. Ausgangspunkt der Podiumsdiskussion war die Medienforschung des Publizistik-Instituts, das die mediale Aufmerksamkeit ausgewählter Krisen näher untersuchte.

Public Talk Wien 9.3.2015
MSF
Beim Public Talk am 9. März in Wien wurden medial vergessene Krisen und die mangelnde Öffentlichkeit für humanitäre Themen diskutiert.

Vergessene Krisen und Krankheiten in 54 Printmedien untersucht

Im Fokus standen 54 Printmedien und deren Berichterstattung über zwölf Länder, deren Bevölkerung von Krisen erschüttert wird. Auch vier Krankheiten wie u.a. Tuberkulose und Malaria wurden untersucht. Das Leid von Millionen Menschen bleibt für die österreichische Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar – denn über manche Krisen wird kaum berichtet: Etwa über jene in der Zentralafrikanischen Republik, im Südsudan oder in Myanmar. Die dramatische Lage der Menschen in diesen Ländern fand 2014 in den österreichischen Medien nur wenig Beachtung. Menschen, die inmitten von humanitären Krisen leben, etwa in Staaten, in denen Übergriffe und Not an der Tagesordnung sind und die keinen Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung haben, bekommen nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.

Die empirische Studie wurde im Rahmen einer Lehrveranstaltung unter der Leitung von Prof. Fritz Hausjell und Prof. Horst Pöttker durchgeführt. Mithilfe eines zuvor ausgearbeiteten Kategoriensystems untersuchten mehrere Forschungsgruppen alle relevanten Beiträge im Untersuchungszeitraum von 1. Mai 2013 bis 30. April 2014 qualitativ und quantitativ. In den 54 ausgewählten Printmedien wurden insgesamt tausende Texte aus der Datenbank der APA (Austria Presse Agentur) analysiert und interpretiert.

Beispiel Niger: Nur 17 Medien berichteten

Am Beispiel von Niger zeigte Publizistik-Studentin Hannah Gell, in welchem Ausmaß über den westafrikanischen Staat berichtet wird – oder auch nicht. Ärzte ohne Grenzen arbeitete erstmals 1985 im Land und ist seitdem immer wieder im Bereich der Basisgesundheitsversorgung tätig, betreut Flüchtlinge aus benachbarten Regionen, versorgt mangelernährte Kinder und setzt Maßnahmen zur Vorbeugung von Malaria um.

Nur 17 von 53 österreichischen Medien berichteten im Laufe eines ganzen Jahres über die Situation im Land. Boulevard-Medien stachen vor allem durch klischeehafte Darstellungen auf – nur wenig bis gar nichts wird über die Situation der Bevölkerung berichtet. Auch eine "Betroffenheitsmüdigkeit der Rezipienten" sei laut der Studierenden festzustellen.

Das Fazit der Forschungsgruppe:

  • Die untersuchten Medien veröffentlichten hauptsächlich kurze Artikel mit einem dementsprechend niedrigen Informationsgrad.
  • Nur wenige Bilder wurden abgedruckt – damit erhält der betreffende Artikel weniger Aufmerksamkeit.
  • Vorwiegend Krisenberichterstattung: Während Ernährungskrisen, Flucht und Uranabbau thematisiert werden, kommt u.a. Malaria kein einziges Mal vor.
  • Punktuelle Ereignisse werden von den Medien aufgenommen, länger andauernde Umstände außen vor gelassen.

Die Teams von Ärzte ohne Grenzen sind in ihren Einsätzen tagtäglich mit den Konsequenzen dieser Krisen konfrontiert. Die Organisation sieht es daher auch als ihren Auftrag, auf Konflikte und Krisen hinzuweisen, die sich abseits der Weltöffentlichkeit abspielen.

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