Honduras: Familienplanung auch in der Pandemie

Lateinamerika hat sich zu einem der Epizentren der COVID-19-Pandemie entwickelt. Ärztin Maura Emelina Lainez Vaquiz aus Honduras berichtet, wie sich der Lockdown auf die Gesundheitsversorgung von Frauen auswirkt.
Kommentar von International Bloggers
23.07.2020

 

Christina Simons/MSF
Choloma, Honduras, 21.03.2019: Das Team von Ärzte ohne Grenzen informiert Mädchen zum Thema Frauengesundheit.


Maura Emelina Lainez Vaquiz arbeitet als Ärztin in Choloma, der drittgrößten Stadt in Honduras. Armut und Gewalt sind in der Region weit verbreitet. Besonders gefährdet sind Frauen und Mädchen. Die COVID-19-bedingten Einschränkungen haben dazu geführt, dass Frauen kaum noch Zugang zu wichtiger medizinischer Versorgung haben, zu der auch die Familienplanung zählt. In ihrem Blog erklärt Maura Emelina Lainez Vaquiz, wie sich das Team von Ärzte ohne Grenzen dafür einsetzt, trotz Lockdown möglichst viele Frauen zu unterstützen.

COVID-19 breitet sich schnell in Honduras aus. Wir haben bereits fast 20,000 Fälle*. Am 17. März hat die Regierung eine totale Quarantäne verhängt. Das bedeutet, dass alle Grenzen geschlossen und Taxis und der öffentliche Verkehr eingestellt wurden. Man darf die Häuser nur alle zwei Wochen je nach den letzten zwei Ziffern des Personalausweises verlassen, außer man zählt zu den unverzichtbaren Berufsgruppen.

Auf den Straßen ist aber trotzdem viel los – viele Menschen überleben von einem Tag auf den anderen und haben nicht die Wahl, zu Hause zu bleiben. Es ist schwierig, wenn man Eltern sieht, die nicht genug Geld haben, um Lebensmittelvorräte für zwei Wochen für ihre Familien zu kaufen. Sie müssen sich entscheiden, ob sie hinausgehen, um Geld zu verdienen und sich somit einer Ansteckungsgefahr aussetzen, oder ob sie daheimbleiben und hungern.

Medizinische Unterstützung im Lockdown

Normalerweise arbeite ich im “Outreach”-Team. Wir besuchen Gesundheitszentren und Schulen in den Gemeinden rund um Choloma und machen Gesundheitsaufklärung. Wir beraten Frauen und Mitglieder des Gesundheitspersonals und informieren sie über die kostenlosen Angebote in der Klinik von Ärzte ohne Grenzen. Wir sind wirklich eng mit der Gemeinde verbunden. Aber als der Lockdown begann, musste Ärzte ohne Grenzen das Outreach-Programm einstellen, und mein Team musste einen anderen Weg finden, wie wir von zu Hause aus weiterarbeiten können.

Nachdem die Regierung neue Regelungen erstellt hat, konnten wir beginnen, Telemedizin anzubieten. Patient:innen können uns anrufen und werden über das Telefon beraten. Mit diesem neuen Angebot versuchen wir, all jene zu erreichen, die Hilfe brauchen, die aber nicht in ein Gesundheitszentrum gehen können oder zu verängstigt sind, um während der Epidemie eines aufzusuchen.

Es ist eine Herausforderung, weil ich die Patient:innenakten nicht vor mir habe, aber ich befrage die Personen zu ihrer medizinischen Vorgeschichte. Nach dem Gespräch stelle ich ein Rezept aus und schicke der Person ein Foto davon über WhatsApp. Danach müssen die Betroffenen eine Einrichtung finden, die das Rezept einlöst – was schwierig ist, insbesondere bei Verhütungsmitteln.

Eingeschränkte Gesundheitsversorgung

Zu Beginn des Lockdowns hat die Regierung allen Krankenhäusern und Kliniken – außer unserer in Las Trincheras – angeordnet, alle Leistungen außer der Notfallversorgung einzustellen. Laut Gesundheitsministerium zählt die sexuelle und reproduktive Gesundheitsversorgung nicht zur Notfallversorgung.

Man hat auch medizinisches Personal von kleineren Kliniken in den Gemeinden abgezogen, um es in der COVID-19-Bekämpfung einzusetzen. Andere vom Gesundheitspersonal mussten wegen ihres Alters daheimbleiben oder weil sie aufgrund ihres Gesundheitszustandes ein erhöhtes Risiko haben könnten, im Falle einer Ansteckung an COVID-19 zu sterben. Zwischen 30 und 40 Prozent des Gesundheitspersonals auf Gemeindeebene haben sich bereits mit der Krankheit infiziert. 

Ärzte ohne Grenzen versorgt alle Mitarbeiter:innen in der Klinik, ob sie nun für uns arbeiten oder für das Gesundheitsministerium, mit Schutzausrüstung. Aber diejenigen, die in den Gesundheitszentren in den Gemeinden arbeiten, müssen ihre Schutzausrüstung selbst kaufen, und die Preise sind immer weiter gestiegen.

Deshalb überrascht es mich nicht wirklich, dass viele dieser Kliniken ganz zusperren mussten. 

Die einzige Option

Das bedeutet, dass unsere Klinik die einzige Einrichtung in Choloma ist, die sexuelle und reproduktive Gesundheitsversorgung leistet. Sie ist auch das einzige Geburtszentrum in der Region. Die einzige andere Einrichtung, wo Frauen ihre Kinder bekommen können, befindet sich in San Pedro Sula, mit dem Auto 35 bis 40 Minuten entfernt. Einige der Frauen haben auch Angst davor, in diese Krankenhäuser zu gehen, weil sie auch COVID-19-Behandlungszentren und völlig überfüllt sind. 

Während des gesamten Lockdowns ist unsere Klinik 24 Stunden pro Tag geöffnet gewesen. Doch dann wurden achtzehn unserer Mitarbeiter:innen in Heimquarantäne geschickt, weil sie COVID-19-Symptome aufgewiesen haben. Deshalb mussten wir einige unserer Angebote einschränken wie zum Bespiel die Schwangerschaftsvorsorge für Frauen, die keine Hochrisikoschwangerschaften haben. 

Die meisten anderen Angebote haben wir aufrecht gehalten, darunter auch die Empfängnisverhütung und Geburtshilfe. Die durchschnittliche Zahl der monatlichen Geburten ist sogar von 55 auf 75 gestiegen. Dabei ist es fast unmöglich, sich während des Lockdowns zu bewegen, weil es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, nicht einmal Taxis, keinen Krankentransport, und die meisten haben kein Auto. 

Wir haben außerhalb der Klinik auch ein Zelt aufgestellt, um soziale Distanzierung zu ermöglichen und somit weiterhin unser Angebot im Bereich Empfängnisverhütung gewährleisten zu können. Wir haben angefangen, Frauen größere Vorräte an Verhütungsmitteln wie der Pille zu geben, weil die Klinik von Ärzte ohne Grenzen im Grunde die einzige Einrichtung ist, die während des Lockdowns noch diese Leistungen erbringt.

Ich finde es ungeheuerlich, dass Frauen in dieser Zeit der Zugang zur Familienplanung verweigert wird. Familienplanung gehört zur essenziellen Gesundheitsversorgung. Honduras ist eines von nur sechs Ländern weltweit, in denen Schwangerschaftsabbrüche strikt verboten sind. Nicht nur das – das Gesetz verbietet selbst Notfallverhütung.

Selbst wenn eine Frau vergewaltigt wurde oder wenn eine Schwangerschaft bedeutet, dass sie die Schule verlassen muss oder ihre Arbeit verliert – ein Schwangerschaftsabbruch und Notfallverhütung sind illegal. Selbst wenn sie ihr Kind nicht ernähren kann, oder wenn sie selbst noch ein Kind ist. Sie kann die Schwangerschaft nicht einmal abbrechen, wenn sie für sie lebensbedrohlich ist. 

Familienplanung nicht vernachlässigen

Familienplanung zählt immer zur essenziellen Gesundheitsversorgung, vor allem für Frauen in Honduras. Sie ist nicht nur ein Recht, sondern eine Entscheidung, die Frauen treffen: Wann, wie und ob sie ein Kind bekommen wollen oder nicht. Es ist frustrierend für Frauen, im Lockdown keinen Zugang dazu zu haben, und es ist frustrierend für mich als Ärztin, ihnen nicht helfen zu können.

Ich hoffe, wir können auch nach der Pandemie weiterhin Telemedizin anbieten. Wenn wir sie ausbauen, können wir viel mehr Frauen erreichen, die nicht in eine Gesundheitseinrichtung kommen können.

Doch der Bedarf ist größer als die Versorgung, die Ärzte ohne Grenzen anbieten kann. Ich glaube, der Zugang von Frauen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit, besonders zur Familienplanung, wird in der Pandemie einfach vernachlässigt.

Es fühlt sich so an, als würden wir rückwärtsgehen. Frauen die Entscheidung über die Familienplanung zu nehmen, ist, als würde man ihnen die Macht über ihren eigenen Körper nehmen – die Macht zu entscheiden, ob sie ein Kind bekommen wollen oder nicht. Es fühlt sich an, als würden wir rückwärtsgehen und alles verlieren, wofür wir gekämpft haben.

*Seit dieser Blog geschrieben wurde, ist die Zahl der COVID-19-Fälle in Honduras auf über 33.000 gestiegen. Die Zahl der Verstorbenen liegt bei 900.

Bild oben: Maura Emelina Lainez Vaquiz, Dezember 2019. Die Ärztin, selbst aus Honduras, ist seit zwei Jahren für Ärzte ohne Grenzen in Choloma tätig.

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