Keine Frau sollte bei der Geburt sterben

Hebamme Nina Egger aus der Steiermark berichtet über ihren Einsatz in Haiti.
Kommentar von Nina Egger
07.03.2017

In Port-au-Prince, der Hauptstadt Haitis, betreibt Ärzte ohne Grenzen das Krankhaus CRUO (Centre de référence des urgences obstétricales), eine Klinik, die auf geburtshilfliche Notfälle spezialisiert ist. Hebamme Nina Egger aus der Steiermark berichtet in der aktuellen Ausgabe des Magazins Diagnose über ihren Einsatz vor Ort.

MSF
Unsere Hebamme Nina Egger mit Kolleginnen bei ihrem Einsatz in Haiti Ende 2016 (Foto: 2. von rechts).

Das CRUO ist ein mächtiges Krankenhaus mitten in der Hauptstadt. Nach der Anmeldung  werden Frauen, die entweder selbständig  ins Krankenhaus kommen oder von anderen Einrichtungen überwiesen werden, erstuntersucht. Unsere Aufnahmekriterien sind sehr streng, um wirklichen Notfällen die notwendige Aufmerksamkeit schenken zu können. So werden Frauen mit Blutung vor oder nach einer Geburt, Zwillingsschwangerschaften oder Mütter, deren Kinder nicht mit dem Kopf nach unten liegen aufgenommen. Beim Großteil der Aufnahmen handelt es sich um Patientinnen mit Präeklampsie, früher auch als Schwangerschaftsvergiftung bekannt.

Ich kannte dieses gesundheitliche Problem aus Österreich, aber das Ausmaß, wie ich es in Haiti gesehen habe, hatte ich noch nicht erlebt. Durchschnittlich entbinden etwa 500 Frauen im Monat in CRUO und mehr als 30 Prozent all der Frauen sind wegen Bluthochdruck und Eiweiß im Urin hier – die Symptome einer Präeklampsie. Die Therapie besteht daraus, den Blutdruck zu senken, einem Krampfanfall vorzubeugen und Mutter und Kind streng zu überwachen. Denn, eine unbehandelte Präeklampsie führt früher oder später zur Eklampsie, einem Krampfanfall. Im schlimmsten Fall führt dieser zum Tod von Mama und Baby. Es gibt keine Heilung, das Beenden der Schwangerschaft ist die einzige Möglichkeit. Es gilt daher, den besten Zeitpunkt für die Entbindung zu finden – früh genug um Mutter und Kind nicht zu gefährden, spät genug um dem Baby Zeit zum Wachsen zu geben.

Ich erinnere mich gut an meine erste Entbindung in der Intensivstation von CRUO. Meine Kollegin bat mich gegen Mittag um Unterstützung mit einer Schwangeren im achten Monat, die kurz davor mit Eklampsie eingeliefert worden war. Die junge Frau krampfte, war nicht ansprechbar und hatte Schwierigkeiten zu atmen. Das Baby war glücklicherweise noch am Leben. Während wir damit beschäftigt waren, die Mutter zu stabilisieren, merkten wir, dass sie bereits Wehen in relativ kurzen Abständen hatte. Kurz darauf platzte die Fruchtblase und wir bereiteten alles vor, um das Baby in Empfang zu nehmen. Die Mutter war wieder bei Bewusstsein, aber nicht orientiert. Ich tat mein Bestes, ihr während der Wehen beizustehen. Nach etwa zwei Stunden brachte die junge Frau ihren Sohn zur Welt. Der kleine Bub musste seinen ersten Tag auf der Neonatologie verbringen, da seine Mutter nicht in der Lage war, sich um ihn zu kümmern. Aber sie hatte Glück im Unglück und der Krampfanfall hat keinen körperlichen oder geistigen Schaden hinterlassen. Bereits am nächsten Tag konnte sie ihren Sohn glücklich im Arm halten. Wie die meisten Kinder in Haiti, bekam auch dieses Baby noch keinen Namen, bevor es aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Die Familien wollen sichergehen, dass die Kinder gesund und stark sind, bevor sie sich für einen Namen entscheiden. Die Übergangslösung ist meistens „Liebling“.  

Manchmal kommt leider jede Hilfe zu spät. Immer wieder kommt es vor, dass Frauen in die Klinik eingeliefert werden und nur noch der Tod des Kindes festgestellt werden kann. Auch, dass Frauen während oder nach der Geburt sterben, ist hier weitaus öfter der Fall als in Österreich. Statistisch gesehen sterben in Haiti 350 von 100.000 Frauen als Folge von Schwangerschaft und Geburt. In Österreich liegt die Zahl bei vier. Ich bin sehr stolz, hier mitzuarbeiten, denn keine Frau sollte sterben, während sie neues Leben zur Welt bringt.

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