Ma’salam Sa'ada – Ein Rückblick

Acht spannende und ereignisreiche Wochen als Krankenschwester im Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen im aktuellen Krisengebiet Jemen liegen hinter mir. Vor einer Woche bin ich zurückgekommen – Zeit für einen kleinen Rückblick.
Kommentar von Vera Schmitz
16.09.2015

Acht spannende und ereignisreiche Wochen als Krankenschwester im Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen im aktuellen Krisengebiet Jemen liegen hinter mir. Vor einer Woche bin ich zurückgekommen – Zeit für einen kleinen Rückblick.

Vera Schmitz in Jemen

Ich mit A., unserem kleinen "Helden", kurz vor meiner Abreise aus dem Jemen. Mehr dazu untenstehend... (c) Vera Schmitz/MSF

„Und, wie wars?“ – ist meist eine der ersten Fragen mit denen ich, endlich daheim angekommen, konfrontiert werde. „Spannend, toll, super interessant, arbeitsintensiv, lehrreich“ – das sind die Schlagwörter, mit denen ich diese Frage meist beantworte. Aber natürlich war es viel mehr als das und ist wie immer nur schwer in Worte zu fassen. Ich will es trotzdem versuchen.

Spannend war es tatsächlich sehr – und das in mehrfachem Sinn.

Zum Einen natürlich die persönliche Anspannung, wenn wieder Flugzeuge fliegen, die Bodenabwehr aktiv ist oder man die Bombeneinschläge hört – man gewöhnt sich daran, aber eine erhöhte Wachsamkeit bleibt natürlich doch. Die Anspannung, wenn jedes einzelne Bett, trotz Bettenaufstockung, bereits am Abend belegt ist, und ich am Ende nur noch auf eine ruhige Nacht hoffen konnte, möglichst ohne neue Patienten. Die Anspannung, wenn man 24h „on Call“, also auf Rufbereitschaft, ist, und mitten in der Nacht dann einen Anruf aus dem Kreisssaal bekomme: „Baby mushkilla“ – ein Neugeborenes nach der Geburt hat ein Problem – atmet es nicht? Muss ich reanimieren?

Spannend, weil es wieder eine neue Herausforderung war, die dort in Sa'ada auf mich gewartet hat. Die Arbeit in einem Spital, welches vor allem Kriegsverletzte behandelt, Opfer von Luftangriffen und mit Schusswunden, ist etwas, auf das man sich allenfalls theoretisch vorbereiten kann. Ich habe also auch dieses Mal wieder viel Neues hinzugelernt. Und spannend, zu erfahren, dass ich diese Herausforderung bewältigen kann und die Aufgaben, die sich mir im Laufe des Einsatzes gestellt haben, so gut es eben ging meistern konnte.

Spannend, weil ich wieder einmal die Gelegenheit hatte, viele einzigartige und besondere Menschen kennenzulernen oder sogar auch wiederzutreffen – einige meiner internationalen Kollegen kannte ich bereits aus meinen vorhergegangenen Einsätzen im Südsudan und in Guinea. Die jemenitischen Mitarbeiter arbeiten hart und geben seit Ausbruch des Krieges ihr Bestes für die Patienten und ihr Volk. Ohne die Menschen vor Ort, ohne ein gutes Team, ist die Arbeit mindestens doppelt so schwer. Daher bin ich sehr dankbar, dass ich auch dieses Mal wieder mit so tollen Menschen arbeiten und leben durfte.

Spannend, als Frau in einem konservativen, muslimischen Umfeld zu leben und zu arbeiten, inklusive dem Tragen der typischen Kleidung (Abaya) und Kopftuch – wodurch ich persönlich auch ein neues und besseres Verständnis für die Kultur gewonnen habe.

Spannend, weil es ein sehr arbeitsintensives Projekt war. Oft von früh morgens bis spät am Abend – und das Handy liegt in der Nacht dann einsatzbereit neben meinem Bett.

Spannend ist auch immer wieder die Kommunikation mit den einheimischen Mitarbeitern. Mein Arabischwortschatz wird zwar immer größer und es ist erstaunlich, wie viel man mit ein paar Wörtern Arabisch, Händen, Füßen und im besten Fall noch ein paar Wörtern Englisch des Gegenübers schon kommunizieren kann! Kommunikation verbindet ungemein – und nicht selten hat solch ein Kommunikationsversuch dann im gemeinsamen Lachen geendet, weil wir uns eben nicht verstanden haben – oder etwas ganz anderes, als das, was gemeint war :-)

Natürlich gab es auch schwierige Momente.

Zum Beispiel in der Nacht, in der durch einen Bombenangriff eine mehrköpfige Familie unter den Trümmern ihres Hauses begraben wurde. Wir kämpften lange, am Ende leider vergeblich, um das Leben der Mutter und eines der Kinder. Aber dafür haben ein anderer Bruder und seine Schwester nur leicht verletzt überlebt.

Oder an einem anderen Tag, an dem ich frühmorgens aus dem Kreisssaal zu einem Neugeborenen gerufen wurde. Dieses Neugeborene, nennen wir ihn A. (siehe Foto oben), hatte große Probleme, selbstständig zu atmen. Trotz aller Bemühungen stellte sich bis zu einem gewissen Punkt keine Besserung ein. Es stellte sich dann heraus, dass vermutlich ein Herzfehler Grund für diese Probleme war, und meine Kollegin und ich hatten wenig Hoffnung, dass er die nächsten  24 Stunden überleben würde. Doch hat A. es uns allen gezeigt und wie ein Löwe um sein junges Leben gekämpft und tut dies weiterhin – zwei Infektionen haben ihn seither schon schwer mitgenommen, doch unser kleiner Held, wie wir ihn mittlerweile getauft haben, gibt nicht auf. Da braucht es ein neugeborenes Kind, um uns allen zu zeigen, was möglich ist und dass es sich stets lohnt, zu kämpfen!

Unglaublich beeindruckend ist aber auch die Landschaft des Jemen. Berge, Steinwüste und dann die Lehmbauten mit wunderschön gearbeiteten und verzierten Fenstern.

Vera Schmitz/MSF
Eindrücke von meiner Rückfahrt von Sa'ada in die Hauptstadt Sana'a.

Zum Schluss noch ein paar Gedanken an meine Leser: Zuallererst ein Herzliches Dankeschön für's Lesen und für die vielen positiven Reaktionen, die ich bereits zu meinen vorherigen Einträgen bekommen habe! Das freut und bestätigt mich sehr!

Ich habe jedoch auch die Bitte und den Aufruf, dem aktuellen Krieg im Jemen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Für viele Menschen im Jemen ist medizinische und sonstige Hilfe weiterhin unerreichbar oder schlicht nicht vorhanden. Der Import von Hilfsgütern wird weiterhin sehr erschwert, Nahrung, Wasser und Benzin sind knapp. In den Medien ist der Jemen leider sehr unterrepräsentiert. Die Menschen brauchen dringend Unterstützung von außen - doch inmitten der vielen anderen akuten Krisen in der Welt wird oft vergessen, dass auch dort täglich Bomben fallen und unzählige Menschen verletzt werden und sterben.

Auf der anderen Seite bin ich aber auch positiv überwältigt von der Reaktion meiner Mitmenschen in Österreich und Deutschland inmitten der sogenannten Flüchtlingskrise. Am Tag meiner Rückkehr sind die ersten tausenden Flüchtlinge an den Bahnhöfen in Wien angekommen und die breite Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung macht mich froh und stolz.

Danke an dieser Stelle an alle, die daran beteiligt waren und sind!

Danke! 
Eure Vera

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17.09.2015
13:49
Franziska Stei…

Danke für diesen spannenden Bericht. Vielen Dank für Ihren Einsatz!

17.09.2015
13:08
Effie

I loved Yemen, Vera. The staff are so competent and feisty :) Enjoy your mission, Effie

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