„Ich will helfen, wo ich gebraucht werde“ - ein junger Arzt aus Syrien berichtet
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Der junge syrische Arzt Mustafa M. versuchte, in seinem Land zu helfen – doch der Krieg zwang ihn zur Flucht. Heute lebt der 31-jährige Syrer in Oberösterreich, wo er freiwillig in einem Spital und in der Flüchtlingsbetreuung arbeitet. Seine Geschichte.
Hinweis: Mustafa M. wird am 3. März 2017 beim Humanitären Kongress in Wien diskutieren. Der syrische Arzt und Physiotherapeut ist am Podium zum Thema "Why Are People Forced to Flee?" (11-12:30h). Sichern Sie sich hier Ihr Ticket und diskutieren Sie mit!
"Ich wuchs mit meinen Eltern und vier Brüdern in einer kleinen Stadt auf. Nach dem Abschluss meines Medizinstudiums begann ich meine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Als im März 2011 bei Demonstrationen in Syrien Menschen verletzt und getötet wurden, mussten wir im Spital ein Dokument unterzeichnen, dass wir keine Demonstranten behandeln würden. Deshalb richteten wir ein geheimes Krankenhaus in einem Außenbezirk ein, um Verwundete zu versorgen.
Patienten exekutiert, Team inhaftiert
Doch die Polizei kam und exekutierte alle Patienten und Patientinnen. Das medizinische Team wurde ins Gefängnis gebracht. Sie sperrten uns zu viert in eine Zelle, die nur einen Quadratmeter groß war; wir mussten sogar im Stehen schlafen. Nach 48 Tagen schaffte ich es, aus dem Gefängnis zu entkommen. Ich wechselte meinen Namen und versteckte mich in Höhlen. Anfang 2013 flüchtete ich und kam über Umwege nach Griechenland.
Auf Facebook sah ich jedoch furchtbare Berichte aus Syrien. Also ging ich zurück, um meinen Landsleuten zu helfen. Zu diesem Zeitpunkt gab es kaum noch erfahrene Ärzte und Ärztinnen in Syrien. Es mangelte an allem. Ich vernetzte mich mit anderen Ärzten und organisierte Lieferungen von Medikamenten und medizinischem Material. Ich folgte der Frontlinie, um Verletzte zu versorgen und half allen, die Hilfe brauchten. Als Ärzte ohne Grenzen ein Feldspital in einer Höhle im Nordwesten des Landes einrichtete, besuchte ich das Projekt. Doch es gab dort genügend Ärzte, deshalb arbeitete ich später in einem Krankenhaus nahe der türkischen Grenze.
Ich hatte meine Grenze erreicht
Als dort ein Markt bombardiert wurde, war es das schlimmste, das ich je erlebt habe: 80 Tote, 200 Verletzte – doch wir hatten nur zwei Operationsräume und zu wenig Material zu Verfügung. Da wurde mir klar, dass wir uns in Syrien in einer Einbahnstraße befinden – der Weg führt zwangsläufig in den Tod. Ich hatte meine Grenze erreicht und floh erneut.
In der Türkei erzählte mir ein ehemaliger Kollege von Wien, wo er studiert hatte. Ich kontaktierte einen Schlepper, der mir sagte, dass er mich über das Mittelmeer bringen könne. Wir waren 206 Passagiere auf einem alten, rostigen Fischerboot. Als wir vor Ägypten waren, warf die Crew unser Gepäck ins Meer und verließ das Schiff. Kurz vor Malta kam ein Sturm auf: Alle weinten und schrien, das Schiff kenterte. Wir trieben mitten im Meer – Frauen, Kinder, ganze Familien. Ich kann nicht schwimmen und klammerte mich an alles, was ich finden konnte. Die Schreie wurden immer leiser. Es dauerte zwei Tage, bis ein Rettungsschiff kam. Wir waren nur 28 Überlebende.
Symbol des Überlebens
Endlich erreichten wir Sizilien, nach 14 Tagen auf dem Mittelmeer. Dort bekamen wir Essen und Wasser. Sie gaben mir einen Apfel – den ich aber nicht gegessen habe. Er war für mich das Symbol des Überlebens.
Am 9. September 2014 nahm ich dann den Zug von Mailand nach Wien. Mittlerweile lebe ich in Braunau und habe einen positiven Asylbescheid erhalten. Ich versuche, so rasch wie möglich Deutsch zu lernen, um hier arbeiten zu können. Ich bin als Freiwilliger in einem Krankenhaus und bei der Flüchtlingsbetreuung tätig. Ich will helfen, wo ich gebraucht werde – und mich zugleich diesem Land erkenntlich zeigen, in dem ich so viel Unterstützung erhalten habe."
Dieser Beitrag ist im Original erschienen in der Ausgabe 1/2016 des Magazins Diagnose - online lesen oder kostenfrei abonnieren auf: