“Wir wussten nicht, was uns erwartete”

Elias Pavlopoulos, Einsatzleiter in Swasiland, über neues Konzept der integrierten HIV- & TB-Behandlung

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02.07.2014
Unser Mitarbeiter Muzi Nzima berät und unterstützt PatientInnen.
Giorgos Moutafis
Shiselweni, Swasiland, 10.10.2013: Unser Mitarbeiter Muzi Nzima berät und unterstützt PatientInnen - auf diesem Bild klärt er die Dorfgemeinde Emazembrni in der Region Shiselweni im Süden von Swasiland über HIV und Tuberkulose auf.

Interview mit Elias Pavlopoulos, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Swasiland

Was bedeutet „Dezentralisierung der integrierten HIV- und TB-Behandlung“ genau? Warum war dieses Konzept zentraler Bestandteil des Projekts?

Es bedeutet, nahe bei den Menschen zu sein und die Versorgung dorthin zu bringen, wo die Menschen leben. Wir haben die Versorgung von den Spitälern direkt in die lokalen Kliniken verlagert. In einem Land mit beschränkten Ressourcen wie Swasiland funktioniert dies am besten mit der Übertragung von Aufgaben. Das heißt, die Aufgaben – hauptsächlich jene der Krankenschwestern – werden an Laien-Berater und sogenannte Experten-Patienten übertragen: Personen, die selbst mit HIV/Aids und Tuberkulose (TB) leben. Dadurch wird das Pflegepersonal entlastet und hat mehr Kapazitäten für andere Aufgaben. Insgesamt wurde auf diese Weise die Akzeptanz der medizinischen Dienstleistungen bei der betroffenen Bevölkerung verbessert und die Stigmatisierung hat abgenommen, was für den Zugang zu Versorgung ein entscheidender Faktor ist. Wir haben festgestellt, dass sich sowohl das Selbstwertgefühl der Betroffenen verbessert hat, als auch die Akzeptanz durch die Gemeinschaft.

Was ist an diesem Projekt so innovativ?

Wir verfügen über die Technologie zur Bestimmung der Viruslast . Dies ist entscheidend um zu sehen, wie ein Patient auf antiretrovirale Medikamente reagiert oder ob eine Resistenz gegen Medikamente der ersten Generation vorliegt. Die Geräte zur Bestimmung der sogenannten CD4-Zellen, also zur Messung der Stärke des Immunsystems eines Patienten, sind nun tragbar und können nahezu überall aufgestellt werden. Das erleichtert die patientennahe Diagnostik. So erhalten Patienten in abgelegenen Gebieten die notwendige Versorgung an ein und demselben Ort. Hinzu kommen die einfacher zugänglichen Labordienstleistungen.

Die Kombination all dieser Verbesserungen hat es ermöglicht, viel mehr Menschen zu erreichen und deren Gesundheitszustand genau zu verfolgen. Uns steht damit ein regelrechtes Arsenal zur Bekämpfung von HIV und TB zur Verfügung. Wir befinden uns bei der Bekämpfung der Epidemie nun in einem neuen Stadium und es liegt jetzt an Regierungen und weiteren Akteuren, diese Gelegenheit zu nutzen und die vorhandenen Instrumente effizient einzusetzen.

Haben Sie mit diesen Ergebnissen gerechnet?

Als wir 2007 zum ersten Mal nach Shiselweni kamen, wussten wir nicht, was uns erwartete, da die Epidemie so gewaltig war. Der einzige Plan zu dieser Zeit war zu arbeiten. Niemand konnte voraussehen, dass wir fünf Jahre später eine 80-prozentige Abdeckung mit antiretroviralen Medikamenten haben würden. Wir konnten damals schlicht nicht wissen, wie weit die Zusammenarbeit mit den Gesundheitsbehörden gehen oder zu welchen Ergebnissen sie führen würde. Diese Zusammenarbeit und die Ausweitung der Maßnahmen durch Ärzte ohne Grenzen haben wesentlich zu den guten Ergebnissen beigetragen, die wir heute in Shiselweni haben. Shiselweni war eine der am stärksten von der Doppelinfektion HIV und Tuberkulose betroffenen Regionen. Die Zunahme der HIV-Behandlungen hat jedes Jahr zu einem erheblichen Rückgang bei den neuen Fällen von TB geführt. Als ich 2011 nach Swasiland kam, hatten wir es noch mit etwa 2.000 neuen TB-Infektionen jährlich zu tun. Nun sind wir in Shiselweni bei 700 neuen Fällen pro Jahr. Das ist eine enorme Verbesserung.

Ist Swasiland „über den Berg“? Hat das Land die Epidemie besiegt?

Nein, auf keinen Fall. HIV/Aids ist noch nicht vorbei. Wir haben die Auswirkungen der Epidemie reduziert, aber es liegt immer noch ein weiter Weg vor uns, damit es zu weniger neuen Infektionen kommt. 2008 gab es in Swasiland 2,7 Prozent Neuansteckungen. Dies hat sich auf 2,1 Prozent verringert. Das ist immer noch hoch und es kommt nach wie vor jedes Jahr zu vielen neuen Infektionen. Das ist das nächste, was es unter Kontrolle zu bringen gilt.

Was bleibt noch zu tun?

Das erste Ziel war es, den Zugang zu antiretroviralen Medikamenten auszubauen und zu verbessern. Das ist uns in den ersten fünf Jahren des Projekts gelungen. Nun müssen wir sicherstellen, dass wir uns in Richtung Eindämmung der Epidemie bewegen, indem wir neue Therapien und Präventionsansätze nutzen. Hier liegt noch ein weiter Weg vor uns. 2012 führten wir den Ansatz „Behandlung als Prävention“ ein und begannen mit einem Programm zur Verhinderung der Virusübertragung von Müttern auf ihre Kinder . Dabei werden schwangere Frauen systematisch getestet, damit sie im Fall einer HIV-Infektion so schnell wie möglich antiretrovirale Medikamente erhalten. Nun freuen wir uns, diese Medikamente in der jetzigen Projektphase auch Kindern und Erwachsenen frühzeitig zugänglich zu machen. Diese Strategien haben das Potenzial, die erzielten Erfolge zu beschleunigen und könnten zu einer Umkehr bei den HIV- und TB-Epidemien führen, die in Swasiland bereits zehntausenden Menschen das Leben gekostet haben.

Lesen Sie mehr über unsere Arbeit in Swasiland: "Kampf gegen HIV & Tuberkulose: Innovativer Ansatz gibt Hoffnung"