Südsudan: Neue Studien zeigen katastrophale Situation in Flüchtlingslagern

Hohe Sterblichkeits- und Mangelernährungsraten
02.08.2012
Südsudan 2012
Nichole Sobecki
Batil, Südsudan, 02.08.2012: Akim Faha hält ihre zwei Jahre alte Tochter Tuna Osman im intensiv-therapeutischen Ernährungszentrum im Flüchtlingslager Batil.

Juba/Wien, am 2. August 2012. Neue epidemiologische Daten aus zwei Flüchtlingslagern im Südsudan zeigen auf, dass die Sterblichkeits- und die Mangelernährungsraten weit über dem festgelegten Schwellenwert* einer akuten Krisensituation liegen, berichtet die medizinische Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF).

Mehr als 170.000 Flüchtlinge haben bisher den beschwerlichen Weg über die Grenze auf sich genommen, um vor dem Konflikt und der Nahrungsmittelunsicherheit in den sudanesischen Bundesstaaten Blue Nile und Süd-Kordofan zu fliehen. Viele von ihnen waren wochenlang zu Fuß unterwegs und haben die vier Flüchtlingslager im Südsudan in extrem geschwächtem und verletzbaren Zustand erreicht. Besonders in zwei der Lager sind die Lebensbedingungen äußerst schlecht. Die gesundheitlichen Auswirkungen sind verheerend: Seit Juni sterben im Flüchtlingslager Yida durchschnittlich fünf Kinder pro Tag, und im Lager Batil ist jedes dritte Kind mangelernährt.

Erschreckende Kindersterblichkeit

„Die Zahl der Kinder, die im Flüchtlingslager Yida sterben, ist erschreckend, und die 1.200 akut unterernährte Kinder, die sich in unserem Ernährungsprogramm im Flüchtlingslager Batil befinden, sind nur die Spitze des Eisberges“, berichtet André Heller-Pérache, der Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen. „Der Großteil unserer Patienten sind in beiden Lagern mangelernährte Kinder, die durch Durchfall, Malaria und Infektionen der Atemwege zusätzlich geschwächt sind. Sie geraten schnell in einen Teufelskreis von Krankheiten, der zu weiteren Komplikationen und zum Tod führen kann. Unsere medizinischen Teams arbeiten unter schwierigsten Bedingungen rund um die Uhr und versuchen, möglichst viele Leben zu retten.“

Studien für Yida und Batil

Die beiden von Ärzte ohne Grenzen durchgeführte epidemiologischen Studien wurden vor wenigen Tagen abgeschlossen. Im Lager Yida (Bundesstaat Unity), in dem derzeit 55.000 Flüchtlinge leben, zeigt die Erhebung in den Monaten Juni und Juli bei den Kindern unter fünf Jahren eine Sterblichkeitsrate von täglich vier Toten pro 10.000 Kinder. Dieser Wert ist das Doppelte des Schwellenwerts, ab dem von einer akuten Krisensituation gesprochen wird. Für die Population des Lagers bedeutet diese Rate, dass mindestens fünf Kinder pro Tag gestorben sind. Die meisten von ihnen starben an Durchfallerkrankungen und an akuten Infektionen.

Im Lager Batil (Bundesstaat Upper Nile), in dem 34.000 Flüchtlinge leben, zeigen die vorläufigen Ergebnisse einer weiteren Studie unter den Kindern eine allgemeine Mangelernährungsrate von 27,7 Prozent. Die Rate schwerer akuter Unterernährung liegt bei 10,1 Prozent. Das ist das Fünffache des Schwellenwerts für akute Krisen. Bei den Kindern unter zwei Jahren fallen diese Werte weitaus schlimmer aus: 44 Prozent der Kinder dieser Gruppe sind mangelernährt, davon leiden 18 Prozent an schwerer akuter Unterernährung.

Regenzeit verschlechtert die Situation

„Mit der Regenzeit haben sich diese Lager für die Flüchtlinge in einen Albtraum verwandelt", sagt Bart Janssens, der Verantwortliche für die Einsätze in der Brüsseler Einsatzzentrale von Ärzte ohne Grenzen. „Die Zugangsstraßen sind kaum mehr passierbar und die humanitären Teams vor Ort haben große Mühe, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Menschen leben können. Das hat katastrophale Auswirkungen auf die Gesundheit der Flüchtlinge. Wenn wir vermeiden wollen,  dass noch viel mehr Kinder lebensbedrohlich erkranken, ist jetzt eine deutliche Verstärkung der humanitären Hilfe notwendig. Besonders im Wasser- und Sanitärbereich, da Durchfall die häufigste Todesursache in den Lagern darstellt. Aber auch gezielte Lebensmittelverteilungen in Batil sind notwendig, wo die Unterernährungsrate weit über dem Schwellenwert für eine akute Krise liegt. In der jetzigen Situation müssen alle Organisationen in vollem Notfall-Modus arbeiten.“

Ärzte ohne Grenzen ist der größte Gesundheitsversorger in allen vier Flüchtlingslagern in den Bundesstaaten Upper Nile und Unity und betreibt ein umfassendes Hilfsprogramm. Im Lager Yida wurde die Zahl der Krankenhausbetten soeben verdoppelt, um die Versorgung der steigenden Zahl schwer erkrankter Personen zu ermöglichen. Insgesamt sind in den Flüchtlingslagern im Südsudan mehr als 180 internationale Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Einsatz. Verstärkung ist unterwegs, um auf den enormen Bedarf im Gesundheitsbereich reagieren zu können.

Aktivitäten von Ärzte ohne Grenzen in den vier Flüchtlingslagern im Südsudan Seit November 2011 laufen Noteinsätze von Ärzte ohne Grenzen für die Flüchtlinge aus den Bundesstaaten Süd Kordofan und Blue Nile im Sudan. Ärzte ohne Grenzen betreibt ein Feldkrankenhaus in jedem der vier Camps (Batil, Doro, Jamam und Yida) und führt mehr als 9.000 medizinische Untersuchungen pro Woche durch.  150 neue Patienten und Patientinnen werden jede Woche für stationäre Intensivbetreuung aufgenommen und 2.300 mangelernährte Kinder werden in den therapeutischen Ernährungsprogrammen der Organisation behandelt.  Ärzte ohne Grenzen impft auch gegen Masern, wenn neue Flüchtlingsströme ankommen und leistet Unterstützung bei der Versorgung der Lager mit Wasser sowie im Sanitärbereich. Wenn notwendig, leisten die Teams auch Unterstützung bei der Notverteilung von überlebenswichtigen Gütern des täglichen Bedarfs, wie etwa Seife, Plastikplanen und Notrationen von Lebensmitteln.

*Standardisierte Schwellenwerte in Krisensituationen:Rohe Sterblichkeitsrate (Gesamtbevölkerung) = 1 Todesfall / 10.000 / TagSterblichkeitsrate der Kinder unter fünf Jahren = 2 Todesfälle / 10.000 / TagGlobale (allgemeine) Mangelernährung bei Kindern (Gesamtzahl der schwer und  gemäßigt Unter-ernährten) = 15 ProzentSchwere akute Unterernährung bei Kindern = 2 Prozent

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