“Helfen Sie mir, unsere Aufmerksamkeit zurück auf Westafrika zu lenken.“

11.11.2014
Arzt Dr. Craig Spencer hat eine Ebola-Infektion überlebt - und fordert, die Aufmerksamkeit dorthin zu richten, wo sie am dringendsten gebraucht wird

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Der u.s.-amerikanische Arzt Dr. Craig Spencer war mit Ärzte ohne Grenzen in Guinea im Einsatz gegen Ebola - und hat eine Infektion mit dem Virus überlebt. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus fordert mit folgendem Statement, die Aufmerksamkeit nach Westafrika zu lenken:

Mein Name ist Craig Spencer. Ich bin Arzt und ein Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen , auch bekannt als MSF. Ich bin stolz, einer von mehr als 3.300 Helfern von Ärzte ohne Grenzen zu sein, die gegen den Ebola-Ausbruch in Westafrika ankämpfen.

Ich möchte zunächst kurz innehalten und dem medizinischen Team hier im HHC Bellevue Hospital Center danken. Ihre großartige Pflege und Unterstützung haben ermöglicht, dieses Virus zu überleben. Seit ich am 23. Oktober eingeliefert wurde, habe ich ein außergewöhnliches Niveau an medizinischer Behandlung, Unterstützung und Zuspruch vom gesamten medizinischen und administrativen Team erhalten. Ich möchte mich speziell bei Dr. Laura Evans bedanken, die meine Behandlung von Anfang an geleitet hat und jeden Tag bei mir war. Heute bin ich gesund und nicht länger ansteckend.

Erkennung und Isolation wichtig, um Ebola zu überleben

Meine Heilung von Ebola zeigt, dass die Protokolle für Gesundheitspersonal, das aus Westafrika zurückkehrt, effektiv waren, als ich mich infizierte. Ich bin ein lebendes Beispiel dafür, wie diese Protokolle funktionieren – und dafür, dass rechtzeitige Erkennung und Isolation wichtig sind, um Ebola zu überleben und eine Übertragung auf andere zu verhindern.

Mein Fall hat internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Man sollte aber nicht vergessen, dass meine Erkrankung nur einen kleinen Bruchteil der bisher mehr als 13.000 gemeldeten Fälle in Westafrika darstellt – dem Zentrum dieses Ausbruchs, wo Familien auseinandergerissen und Gemeinschaften zerstört werden.

Das ist der Grund, warum ich freiwillig für Ärzte ohne Grenzen in Guinea im Einsatz war. Ich habe mehr als fünf Wochen in einem Ebola-Behandlungszentrum in Guéckédou gearbeitet, dem Epizentrum des Ausbruchs.

Die Helden, über die wir nicht sprechen

Während dieser Zeit weinte ich, wenn ich Kinder im Arm hielt, die nicht stark genug waren, um die Infektion zu überleben. Und ich erlebte unfassbare Freude, wenn Patienten gesund wurden und mich nach ihrer Entlassung als Bruder in ihre Familien einluden. Nach meiner Diagnose riefen mich viele dieser Patienten auf meinem privaten Telefon an, um mir gute Besserung zu wünschen und zu fragen, ob sie irgendetwas für mich tun könnten. Am meisten beeindruckt aber haben mich meine guineischen Kollegen, die von Anfang an an vorderster Front gegen die Epidemie gekämpft und Freunde und Angehörige sterben gesehen haben, aber dennoch mit so viel Mitgefühl und Würde weiter kämpfen, um ihre Gemeinschaften zu retten. Sie sind die Helden, über die wir nicht sprechen.

Bitte helfen Sie mir dabei, unsere Aufmerksamkeit zurück auf Westafrika zu lenken und sicher zu stellen, dass medizinisches Personal und andere Helfer nach ihrer Heimkehr nicht stigmatisiert und bedroht werden. Freiwillige Helfer müssen dabei unterstützt werden, diesen Ausbruch an seinem Ursprung zu bekämpfen.

Ich bin unbeschreiblich dankbar für die große Ermutigung und Unterstützung, die ich während der vergangenen Wochen von meiner Familie, von vielen Freunden und Freundinnen sowie von mir völlig unbekannten Personen erhalten habe. Außerdem danke ich meiner Heimatinstitution, dem Medical Center der Columbia University, besonders dem Vorstand der Notfallmedizin, Dr. Joseph Underwood, für die beispiellose Unterstützung, die ich vom Moment meiner Entscheidung für diesen Einsatz bis nach meiner Diagnose erhalten habe.

Und ich möchte auch Ärzte ohne Grenzen öffentlich meine tiefe Dankbarkeit aussprechen. Es ist kaum in Worte zu fassen, wie gut die Organisation in dieser schwierigen Zeit alles für mich und meine Familie geregelt hat.

Zu guter Letzt möchte ich auch den Medien im Voraus dafür danken, mein Recht und das Recht meiner Familie auf Privatsphäre zu respektieren. Ich werde nach diesem Statement keine öffentlichen Kommentare mehr abgeben und bitte Sie, Ihre Aufmerksamkeit dorthin zu richten, wo sie am dringendsten gebraucht wird: Auf den Ursprungsort des Ebola-Ausbruchs in Westafrika.

Danke.

Dieses Statement ist am 11. November 2014 in der Rubrik "Kommentar der Anderen" in der Tageszeitung Der Standard erschienen.