Kampf gegen Chagas: Es ist an der Zeit, die Patienten in den Mittelpunkt zu stellen

09.07.2009
Ärzte ohne Grenzen ruft betroffene Länder dazu auf, Chagas-Patienten zu diagnostizieren und zu behandeln und fordert mehr Forschung und Entwicklung
Bolivien, April 2009: Ein Mädchen wird in einem Gesundheitszentrum von Ärzte ohne Grenzen in der Nähe von Cochabamba auf Chagas untersucht
Anna Surinyach
Bolivien, 03.04.2009: Jedes Jahr verursacht die Infektionskrankheit Chagas weltweit 14.000 Todesfälle. Bolivien zählt zu den Ländern mit der höchsten Verbreitung der Krankheit. Ärzte ohne Grenzen arbeitet in mehreren Gesundheitszentren an der Diagnose und der Behandlung von Chagas.

Dieses Jahr – hundert Jahre nach der Entdeckung von Chagas – startet die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontieres (MSF) die Kampagne „Chagas: Time to break the silence“. MSF ruft die betroffenen Länder dazu auf, Chagas-Patienten nicht länger zu vernachlässigen und Diagnose und Behandlung der Kranken zu fördern, anstatt sich nur auf Vektorkontrolle zu konzentrieren. MSF fordert im Kampf gegen eine der weltweit am meisten vernachlässigten Krankheiten auch vermehrte Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung für neue Medikamente, schnelle Diagnosetests in entlegenen Regionen und bessere Mittel zur Nachkontrolle.

Jährlich sterben 14.000 Menschen an Chagas, und Schätzungen zufolge sind 10 bis 15 Millionen Menschen infiziert. Die Krankheit ist in mehreren Ländern Lateinamerikas endemisch, aber aufgrund der weltweiten Migration treten immer mehr Fälle auch in den USA, in Europa, Australien und Japan auf. Chagas kann tödlich sein, aber bisher haben sich die betroffenen Regierungen mehr auf Prävention und Vektorkontrolle als auf die Behandlung von Patienten konzentriert. Würde man Chagas-Behandlungen in gängigen Gesundheitseinrichtungen anbieten, so wäre der Zugang von Patienten zu medizinischer Behandlung besser.

Je früher die Krankheit nachgewiesen wird, umso effizienter ist die Behandlung

Chagas wird vom Parasiten Trypanosoma cruzi verursacht. In den meisten Ländern Lateinamerikas wird die Krankheit durch die „Saugwanze“ übertragen, allerdings ist eine Übertragung auch von Mutter zu Kind, durch Bluttransfusionen, Organstransplantationen und verseuchte Nahrungsmittel möglich. Chagas-Patienten können über Jahre keine Symptome aufweisen, aber in der chronischen Phase der Krankheit entwickelt ein Drittel der Patienten dann ernsthafte Gesundheitsprobleme (vor allem Herz- und Darmbeschwerden), die zum Tod führen können. „Eines der Hauptprobleme besteht darin, dass die Patienten jahrelang keine Symptome haben und daher nicht wissen, dass sie krank sind und so keine Therapie erhalten. Aktive Untersuchungen in endemischen Gebieten sind daher wesentlich, um Infizierte zu finden und zu behandeln“ erklärt Dr. Nines Lima, Chagas-Beauftragte von Ärzte ohne Grenzen.

Je früher die Krankheit nachgewiesen wird, umso effizienter ist die Behandlung. Die einzigen existierenden Medikamente – Benznidazol und Nifurtimox – wurden vor über 35 Jahren entwickelt. Obwohl diese Medikamente bei Neugeborenen und gestillten Kindern sehr wirksam sind, werden nur 60 bis 70 Prozent der Jugendlichen und Erwachsenen erfolgreich damit behandelt. Je älter die Patienten sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Nebenwirkungen der Medikamente spüren. „Die Ärzte behandeln aus Angst vor den Nebenwirkungen keine Kinder damit, und schon gar nicht Erwachsene. Wir wollen zeigen, dass diese Nebenwirkungen bei beiden Gruppen kontrollierbar sind. Die Patienten einfach nicht zu behandeln, ist ethisch nicht mehr vertretbar“ erklärt Dr. Tom Ellmann, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Bolivien.

Vergessene Krankheit

Dennoch herrscht ein dringender Bedarf an besseren Medikamenten gegen Chagas. Die Krankheit hängt meistens mit Armut zusammen, daher stand Chagas jahrelang nicht auf der politischen Agenda und war nicht im Interesse der Forschung. Eine kürzlich veröffentlichte Studie hat gezeigt, dass im Jahr 2007 nur 10,1 Millionen US-Dollar für Forschung und Entwicklung im Bereich von Chagas ausgegeben wurden.

„Der Mangel an kommerziellem Interesse hat Chagas in Vergessenheit gebracht. Neue Wege, um  Anreize für die Forschung und Entwicklung zu schaffen und um bessere Therapien für die Patienten zur Verfügung zu haben, müssen gefunden werden“ so Gemma Ortiz, Leiterin der Chagas-Kampagne von Ärzte ohne Grenzen.

In den kommenden Monaten wird Ärzte ohne Grenzen für verstärktes internationales Engagement im Kampf gegen Chagas eintreten.

Ärzte ohne Grenzen betreibt seit 1999 Chagas-Programme. Derzeit arbeiten Teams in drei Distrikten außerhalb von Cochabamba in Bolivien – dem Land mit der weltweit höchsten Chagas-Prävalenzrate. Die Arbeit erfolgt in Zusammenarbeit mit dem bolivianischen Gesundheitsministerium in fünf Gesundheitszentren, wo Kinder und Erwachsene bis zu 50 Jahren diagnostiziert und behandelt werden. Außerdem errichtet MSF derzeit ein neues Hilfsprojekt in ländlichen Gebieten von Cochabamba, wo die einzelnen Dörfer in alle Aspekte der Bekämpfung der Krankheit einbezogen werden sollen (Prävention, Diagnose und Behandlung).

Ende 2008 hat Ärzte ohne Grenzen über 60.000 Menschen auf Chagas getestet und 3.100 Patienten behandelt, von denen 2.800 ihre Therapie erfolgreich beendeten. Dies beweist, dass trotz der nicht idealen Voraussetzungen die Diagnose und Behandlung von Chagas in armen Ländern und entlegenen Regionen durchführbar ist.