Noma: Die vernachlässigte Krankheit entstellt Gesichter und zerstört Leben

27.11.2018
,,Sie denken, ich sei kein Mensch.’’ Der 20 Jahre alte Bilya ist ein Überlebender der Noma Krankheit und momentan Patient im ,,Sokota Noma Hospital’’ im Nord-Westen Nigerias. Dort behandeln mir Menschen mit der tödlichen Krankheit.
Maryam, noma survivor
Claire Jeantet - Fabrice Caterini/INEDIZ
Maryam, aged four, plays in the courtyard of the noma hospital. She arrived at Sokoto Noma Hospital with her mother from Borno state and was first admitted in March 2016. She has already undergone four reconstructive operations, including a skin graft taken from her chest to replace tissue destroyed by noma. Sokoto, Nigeria. 2 November 2016.

,,Viele Leute laufen davon, wenn sie mein Gesicht sehen’’, erzählt Bilya. ,,Sie denken, ich sei kein Mensch.’’ Der 20 Jahre alte Bilya ist ein Überlebender der Noma Krankheit und momentan Patient im ,,Sokota Noma Hospital’’ im Nord-Westen Nigerias. Das Spital, das seit 2014 von Ärzte ohne Grenzen unterstützt wird, ist die einzige Einrichtung im Land und eine der wenigen weltweit, die sich vollkommen der Behandlung dieser tödlichen bakteriellen Krankheit verschrieben haben.

Bilya erkrankte an Noma als er gerade erst ein Jahr alt war. Innerhalb kürzester Zeit zerstörte die gefährliche Infektionskrankheit seine Nase und Oberlippenpartie. Dennoch hatte er Glück, überhaupt zu überleben: Denn neun von zehn Menschen, die sich mit Noma infizieren, sterben innerhalb der ersten zwei Wochen.

Die vernachlässigte und nur wenig bekannte Erkrankung ist nicht ansteckend. Zumeist betrifft sie Kinder unter fünf Jahren, die in ärmlichen Verhältnissen leben. Zu Beginn des Krankheitsverlaufs entzündet sich - ähnlich wie bei einem kleinen Mundgeschwür -  das Zahnfleisch der Betroffenen. Innerhalb der nächsten zwei Wochen beginnt die fortschreitende Infektion dann Knochen und Gewebe zu zerstören. Dieser Prozess betrifft vor allem den Kiefer, die Lippen, Wangen, Nase sowie die Augen. In Folge leiden Überlebende häufig unter großen Schmerzen. Oft haben sie auch Atembeschwerden und Schwierigkeiten beim Essen.

Betroffene leiden unter dem sozialen Stigma

Die Eltern betroffener Kinder wissen zumeist nicht, was mit ihren Kindern geschieht. Diese Unwissenheit hat tiefgreifende Auswirkungen, denn bei der Behandlung von Noma handelt es sich um einen Wettlauf gegen die Zeit. Viel zu häufig sterben Kinder, da eine Infektion nicht erkannt wurde, obwohl die Krankheit mittels Antibiotika leicht und effektiv behandelbar wäre.

Bilya hat überlebt, allerdings mit schweren Entstellungen im Gesicht. Mit zunehmendem Alter litt er immer mehr unter dem sozialen Stigma, das sein Aussehen verursacht.

Nun befindet sich Bilya im ,,Sokoto Noma Hospital‘‘ um sich dort einem plastischen chirurgischen Eingriff im Gesicht zu unterziehen. Viermal jährlich reist ein internationales Team an Chirurg:innen, Anästhesist:innen sowie Krankenpfleger:innen nach Sokoto, um dort Noma-Überlebende zu operieren. Das Krankenhaus, das zusammen mit dem nigerianischen Gesundheitsministerium betrieben wird, setzt seinen Schwerpunkt zudem auf ,,Community Outreach’’, das Identifizieren von bisher noch unbekannten Noma-Fällen in der Region, Gesundheitsförderung, sowie psychologische Unterstützungsangebote.

,,Wenn du Noma hast, gaffen dich alle Leute an"

Wie Bilya erkrankte auch die heute 40-jährige Hadiza im Kindesalter an Noma. Einen Großteil ihres Lebens wartete sie auf die Chance, sich einem chirurgischen Eingriff zu unterziehen, der nicht nur ihr Gesicht wieder herstellen, sondern ihr auch ihre Würde zurückgeben würde. ,,Wenn du Noma hast, gaffen dich alle Leute an’’, erzählt Hadiza. ,,Du wirst sogar von deinem eigenen Bruder diskriminiert.’’

Im ,,Sokoto Noma Hospital’’ traf Hadiza erstmals andere Menschen, die ebenfalls an Noma erkrankt waren. Auch bekam sie hier die Möglichkeit sich einer rekonstruktiven Operation zu unterziehen.

Eine kürzlich von Ärzte ohne Grenzen durchgeführte Studie ergab, dass Noma vor allem Kinder mit schlechter Mundhygiene betrifft, oder Kinder, die an Mangelernährung leiden. Anfällig sind auch Kinder, die bereits an einer anderen Krankheit, wie beispielsweise Masern, erkrankt sind. Ein weiterer Risikofaktor ist ein mangelnder Zugang zur Gesundheitsversorgung. Dieser Umstand steht in direkter Verbindung zu den vielerorts bestehenden Schwierigkeiten, eine Noma-Infektion frühzeitig zu erkennen. Allgemein herrscht zumeist große Unwissenheit über Ursachen und Symptome von Noma. Dies bedeutet eine große Hürde für die beiden Schlüsselfaktoren im Kampf gegen Noma: Präventionsarbeit sowie eine frühzeitige Erkennung der Krankheit.

Das öffentliche Bewusstsein für die Krankheit muss gestärkt werden

,,Man kann einer Verbreitung von Noma vorbeugen, indem man die Lebensumstände von Risikogruppen verbessert sowie das öffentliche Bewusstsein für diese Erkrankung stärkt’’, erläutert Karla Bill, die für Nigeria verantwortliche Gesundheitsberaterin von Ärzte ohne Grenzen. „Wird eine Infektion frühzeitig erkannt, ist sie mit Antibiotika gut behandelbar. Allerdings ist sehr wenig über diese Erkrankung bekannt. Man benötigt dringend mehr wissenschaftliche Untersuchungen und Ressourcen, um die Ursachen, Prävalenz und Risikofaktoren von Noma zu erforschen.’’

Der achtjährige Umar aus Sokoto und die sechsjährige Yaashe aus Borno haben beide Noma überlebt. Als die beiden Kinder jedoch endlich im ,,Sokoto Noma Hospital’’ eintrafen, hatte die Krankheit ihre Gesichter bereits halb zerstört. Umar und Yaashe wurden beide operiert und erholen sich nun im Krankenhaus. Sie hoffen, bald mit ihren Familien nachhause zurückkehren zu können, um dort ein neues Leben zu beginnen, mit anderen Kindern zu spielen  und frei von Schmerzen und Stigma zu sein.

Um mehr über Noma und die Überlebenden dieser Krankheit zu erfahren, besuchen Sie noma.msf.org