Extreme Dürre verschärft Gesundheitskrise in Somalia zusätzlich

08.06.2022
Eine der schwersten Dürreperioden überhaupt macht den Menschen in Somalia und Somaliland nach vier schlechten Regenzeiten und einer Heuschreckenplage zu schaffen. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen leisten in mehreren Spitälern im Land medizinische Hilfe.

Eine der schwersten Dürreperioden überhaupt macht den Menschen in Somalia und Somaliland nach vier schlechten Regenzeiten und einer Heuschreckenplage zu schaffen. Wassermangel und ausgetrocknete Böden haben den Viehbestand – und somit die Lebensgrundlagen – der somalischen Hirtengemeinschaften dezimiert. Ernten fallen aus, Lebensmittelpreise steigen, ein Großteil der Bevölkerung leidet Hunger. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen leisten in mehreren Spitälern im Land medizinische Hilfe. Ein besonderer Fokus liegt auf der Behandlung von Kindern, die an potenziell tödlichen Krankheiten wie Masern, Cholera und Mangelernährung leiden.

Hunderttausende Menschen verlassen nach und nach ihre Dörfer. Sie hoffen darauf, in städtischen Gebieten Essen, sauberes Trinkwasser, eine sichere Unterkunft sowie medizinische Versorgung zu finden. Viele von ihnen haben sich bereits in Lagern für Binnenvertriebene niedergelassen. Die Lager sind überfüllt und es fehlen Toiletten, Handwaschstationen und oft auch sauberes Wasser – Bedingungen, unter denen sich potenziell tödliche Krankheiten wie Masern oder Cholera rasant ausbreiten können.

Teams von Ärzte ohne Grenzen sind in Baidoa, Mudug, Jubaland, Hargeisa und Las Anod im Einsatz. Patient:innen berichten, dass sie dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Sie haben beschwerliche Reisen hinter sich; viele von ihnen gehen bis zu 150 Kilometer am Stück, um Hilfe zu erhalten. Immer wieder kommt es vor, dass Flüchtende sterben.

"20 Tage lang waren wir unterwegs, mit unseren Kindern auf dem Arm", berichtet ein 75-Jähriger, der sich mit seiner Familie in einem Lager in der Region Lower Juba niedergelassen hat, dem Team von Ärzte ohne Grenzen. "Unsere Esel sind wegen der Dürre verendet, und Geld für ein Auto haben wir nicht. Man hat uns gesagt, dass Familien, die ihr Vieh verloren haben, in Lower Juba Hilfe erhalten."

Vermeidbare Krankheiten fordern unzählige Todesopfer

Die aktuelle Dürre folgt auf jahrzehntelange Konflikte, extreme Armut und heftigen Krankheitsausbrüchen. Gerade bei Kindern sind Masern und Durchfall häufige Todesursachen. Der schwere Wassermangel und die unsichere Ernährungslage begünstigen ihre Ausbreitung. Dabei wären diese Krankheiten mit einfachen Mitteln vermeidbar.

"Die Menschen in Somalia werden von einer Krise nach der getroffen", so Djoen Besselink, der für Ärzte ohne Grenzen in Somalia im Einsatz ist. "Viele von ihnen sind verzweifelt. Einige berichten von furchtbaren Entscheidungen, die sie treffen mussten. Zum Beispiel, wenn sie ein Kind sterben lassen mussten, um ein anderes zu retten."

Masern auf dem Vormarsch

6.000 Masern-Verdachtsfälle haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen im Jahr 2022 in verschiedenen Spitälern in Somalia und Somaliland bis Mitte Mai bereits registriert. Die Impfquoten bei Kindern gehörten in Somalia schon immer zu den niedrigsten weltweit. Die COVID-19-Pandemie hat die Bemühungen um Routineimpfungen für Kinder unter fünf Jahren im Land weiter eingeschränkt. "Im Februar haben wir im Spital in Baidoa seit Beginn des Masern-Ausbruchs bereits mehr als 2.500 Kinder behandelt", sagt Bakri Abubakr, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Somalia.

Aus Baidoa wurden im April 2022 auch erste Cholera-Fälle gemeldet. Das Risiko, an Cholera zu sterben, ist für Kinder dreimal so hoch als für Erwachsene. Die schlechten Bedingungen in den überfüllten Lagern begünstigen eine schnelle Ausbreitung der Krankheit. Baidoa, eine Stadt mit rund 130.000 Einwohner:innen, beherbergt derzeit mehr als das Doppelte der eigenen Bevölkerung an Vertriebenen. Viele Familien leben auf engstem Raum zusammen.

Akute Mangelernährung Grund zur Sorge

Im Februar untersuchten die Teams von Ärzte ohne Grenzen in Baidoa 81.706 Kinder unter fünf Jahren auf Mangelernährung. Drei Prozent von ihnen waren schwer akut mangelernährt, während die allgemeine Rate von akuter Mangelernährung bei 17 Prozent lag.

"In den 20 ambulanten therapeutischen Ernährungszentren rund um Baidoa nehmen wir wöchentlich zwischen 700 und 1.000 Kinder auf", so Bakri. "In einer Woche nahmen wir rund 1.000 Kinder in unser ambulantes therapeutisches Ernährungsprogramm auf. 30 Prozent von ihnen waren schwer akut mangelernährt. Diese aktuellen Zahlen spiegeln das Ausmaß Notsituation wider."

Immer mehr Menschen ziehen in die Städte, wodurch verfügbare öffentliche Dienste stark beansprucht werden. Insbesondere die Gesundheitseinrichtungen in Baidoa stehen durch den Zustrom zahlreicher vertriebener Familien und die zunehmenden Fälle von Cholera und Mangelernährung unter hohem Druck.

"Die Menschen in Somalia und Somaliland befinden sich zurzeit in einer Negativspirale. Es braucht eine umgehende, nachhaltige Reaktion von humanitären Organisationen. Ansonsten wird sich die Notlage nur noch weiter zuspitzen."