Kommentar von Petra Füreder
22.04.2022
Die Geoinformatikerin Petra Füreder stellt vor, wie es zu der Kooperation ihres Fachbereichs mit Ärzte ohne Grenzen kam, um mit aktuellen Karten entlegener Gebiete Einsätze zu unterstützen.

Seit nunmehr 10 Jahren haben wir am Fachbereich für Geoinformatik (Z_GIS) an der Universität Salzburg eine sehr enge Kooperation mit Ärzte ohne Grenzen, um satellitengestützte Informationen für ihre Einsätze bereitzustellen. Diese Informationen betreffen in erster Linie Größe, Struktur und Entwicklung von Geflüchtetenlagern, aber auch Ausmaß von Überflutungen, Schadenskartierungen nach Katastrophen oder die Veränderung von Umweltressourcen.

Wie alles begann

Den ersten Kontakt zu Ärzte ohne Grenzen stellten wir bereits 2008 her. Wir analysierten damals im Rahmen eines EU-Forschungsprojektes Satellitenbilder von Geflüchtetenlagern in Darfur, um anhand von Zelten und Hütten auf die dort lebende Bevölkerung zu schließen. Wir kannten nur die Sicht von „oben“ und konnten uns einige Strukturen, die wir auf den Bildern entdeckten, nicht erklären. Zu diesem Zeitpunkt kam uns zufällig ein Zeitungsartikel von einer Labortechnikerin unter, die gerade von einem Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen aus Darfur zurückkehrte. Wir baten sie um ein Treffen, um durch Fotos von vor Ort einen besseren Eindruck zu gewinnen und einen generellen Einblick zum Aufbau eines Geflüchtetenlagers und dem Leben dort zu bekommen.

Nach dieser ersten Kontaktaufnahme hatten wir mehrmalige Treffen mit Ärzte ohne Grenzen. Wir hatten das Glück, dass nicht nur wir begeistert von der Arbeit vor Ort waren. Auch bei Ärzte ohne Grenzen lösten wir eine gewisse Faszination von den Möglichkeiten der Satellitenbildauswertungen aus. 2010 wurde schließlich ein Kooperationsabkommen unterzeichnet, um Ärzte ohne Grenzen satellitengestützte Informationen zu Bevölkerungsabschätzungen und Wasserressourcen bereitzustellen.

Die erste Karte

Die erste Anfrage für eine Analyse bekamen wir im August 2011 für das Geflohenenlager Dagahaley in Kenia. Zu diesem Zeitpunkt gab es aufgrund einer massiven Dürrekrise am Horn von Afrika und der andauernden gewalttätigen Konflikte in Somalia, einen enorm raschen Zuwachs an Vertriebenen, der vor Ort nicht mehr abschätzbar war. Die Vertriebenen ließen sich im westlichen Außenbereich des Lagers nieder. Da die Unterkünfte in diesem Geflohenenlager mit Wellblechdächern gedeckt sind, konnte man die neuen Unterkünfte, die in erster Linie aus Zelten oder provisorisch gebauten Unterkünften bestanden, sehr gut unterscheiden.

Eine weitere Analyse einige Monate später zeigte, dass die Unterkünfte in den Außenbereichen des Vertriebenenlagers abgebaut wurden und sich im Gegenzug die Dichte der Unterkünfte innerhalb des Lagers erhöhte.

Entwicklung des satellitengestützten Informationsdiensts

Bei humanitären Organisationen gab es zu diesem Zeitpunkt noch eine gewisse Skepsis gegenüber Satellitenbildauswertungen. Wir nahmen an diversen Veranstaltungen von Ärzte ohne Grenzen teil, wie etwa den Humanitären Kongressen in Wien und Berlin und den MSF Scientific Days, um dort das Potential der Auswertung von Satellitenbildern vorzustellen. Mit der Zeit wurde diese Technologie innerhalb von Ärzte ohne Grenzen immer bekannter, u.a. auch durch die Gründung der eigenen GIS-Unit 2013 von Ärzte ohne Grenzen, die 2014/2015 durch GIS-Analysen während des Ebola-Ausbruchs in Westafrika die medizinischen Teams vor Ort erfolgreich unterstützen konnte und so große Aufmerksamkeit innerhalb von Ärzte ohne Grenzen erlangte.

Unser Fachbereich ist seit 2015 Partner der GIS-Unit von Ärzte ohne Grenzen, wodurch alle Kolleg:innen innerhalb von Projekten und Headquarters von Ärzte ohne Grenzen satellitenbasierte Analysen bestellen können. Dies wirkte sich entscheidend auf die Anzahl der Anfragen aus. Während es in den ersten Jahren eine kontinuierliche Zunahme der Anfragen gab, stiegen diese ab 2016 sprunghaft an. Es war für uns schön zu sehen, dass die Kartenprodukte für die Projekte vor Ort immer mehr an Bedeutung gewannen. Mit der Zeit wurden wir natürlich routinierter und konnten unsere Analysen verbessern – in diesem Zusammenhang forschen wir seit Jahren an der Automatisierung von Satellitenbildauswertungen, um die manuelle Interaktion möglichst gering zu halten.

Die enorme Flut an Anfragen, die zum Teil sehr komplex waren (wie etwa die Kartierung großer, dicht besiedelter Städte) oder riesige Flächen umfassten (beispielsweise die Kartierung der Landbedeckung in Westafrika, auf einer Fläche in etwa sechs mal so groß wie Österreich), brachte uns aber zum Teil doch sehr an unsere Grenzen. Wir hatten das Glück, dass uns zu Spitzenzeiten immer wieder Student:innen aus unserem Fachbereich unterstützten, ohne die wir es sonst nicht geschafft hätten, die Anfragen zeitgerecht abzuarbeiten.

Welche Informationen können wir aus Satellitenbildern gewinnen?

Grundsätzlich werden unterschiedliche Informationen von Ärzte ohne Grenzen angefragt. An erster Stelle steht klar die Information zur betroffenen Bevölkerung, auf die man anhand der Anzahl von Gebäuden, Hütten oder Zelten schließen kann. Häufig werden auch Karten zu Überflutungsflächen, die man anhand von Satellitenbildern gut kartieren kann, benötigt. Die Kartierung von Umweltressourcen und deren Veränderung ist ein klassisches Betätigungsfeld der Fernerkundung und ein Thema, das auch für die Projekte von Ärzte ohne Grenzen interessant ist, um etwa Aufschluss zu den Verbreitungsgebieten von Moskitos zu bekommen. Ein kleiner Teil der Anfragen hat die Detektion von zerstörten Gebäuden zum Thema. Oftmals wird aber auch nur ein aktuelles Satellitenbild ohne Analysen bestellt, das in weiterer Folge von der GIS-Unit von Ärzte ohne Grenzen für Standardkarten verwendet wird.

In unserem nächsten Blogbeitrag stellen wir euch die beliebtesten Kartenprodukte noch genauer vor.

Wie wird dieser Informationsdienst finanziert?

Von 2012 bis 2019 wurden die Anfragen zu Bevölkerungsabschätzungen, Wasser- und Umweltressourcen von einer Stiftung gefördert. Daneben gab es mehrere begleitende Forschungsprojekte, bei denen Ärzte ohne Grenzen auch als Projektpartner beteiligt war. Seit 2019 haben wir begonnen für die zunehmende Intensität an Anfragen auch einen operationellen Service und eine entsprechende kommerzielle Komponente zu entwickeln.

An unserem Fachbereich wird im Rahmen unseres Christian Doppler Labors GEOHUM (Geospatial and EO-based humanitarian technologies) fleißig an Weiterentwicklungen geforscht, um qualitativ hochwertige Geodatenprodukte für die Einsätze von Ärzte ohne Grenzen bereitstellen zu können. Über unsere Fortschritte dabei werden wir euch künftig auf dem Laufenden halten.

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