Zusammenhalt auf der Entbindungsstation

Kommentar von International Bloggers
04.07.2022
Die Gynäkologin Katharina Thies stellt einige der Patientinnen in der Entbindungsklinik von Khost vor, die gemeinsam Tragödien und Freude erleben.

Shakila

Jetzt geht es ihr besser, sie ist zwar noch etwas blass, aber sie sitzt aufrecht auf ihrem Bett in der Entbindungsstation. Als Shakila vor zwei Tagen im Krankenhaus von Khost ankam, hatte sie schweren Bluthochdruck und lebensbedrohliche Blutungen.

Sie erwartete ihr sechstes Kind, aber im Gegensatz zu den anderen Müttern auf der Station wird sie kein Baby mit nach Hause nehmen. Ihr kleines Baby war bereits im Mutterleib gestorben, als sie unsere Einrichtung erreichte.

Shakila lebt in einem kleinen Dorf, das mehr als eine Autostunde von unserem Krankenhaus entfernt ist. Sie hat keinen Zugang zu kostenloser Schwangerschaftsvorsorge und nicht genug Geld, um eine Privatklinik für Vorsorgeuntersuchungen zu bezahlen. Das bedeutete, dass ihr Bluthochdruck unerkannt und unbehandelt blieb - bis die Blutungen und Schmerzen begannen, die auf eine vorzeitige Ablösung der Plazenta zurückzuführen waren.

Unser Team konnte den Bluthochdruck behandeln und Bluttransfusionen verabreichen, um Shakilas Leben zu retten - aber für ihr Baby war es zu spät.

Traurigerweise sehen wir solche Fälle in Afghanistan regelmäßig, und viele davon könnten durch eine angemessene und kostenlose Schwangerschaftsvorsorge vermieden werden.

Amina

Eine Frau in Afghanistan zu sein, ist zweifellos an sich schon hart, auch ohne den Verlust eines Kindes betrauern zu müssen. Während meiner Tätigkeit als Gynäkologin im Entbindungskrankenhaus von Khost habe ich jedoch festgestellt, dass die Frauen, die ich hier kennen gelernt habe, alles, was das Leben ihnen auferlegt, mit Akzeptanz und Anmut bewältigen.

Als ich Shakila heute Morgen zur Visite besuche, sehe ich, dass sie ein neugeborenes Baby stillt. Einen Moment lang bin ich unsicher, ob ich die richtige Patientin habe, und überprüfe die Akte in meiner Hand noch einmal. Doch dann klärt mich die Hebamme, die neben uns steht, auf.

Das Baby ist Aminas, deren Bett neben dem von Shakila steht und die noch nicht genug Muttermilch hat. Als Shakila sah, dass das Baby hungrig war, bot sie sofort ihre Hilfe an. Ohne zu zögern und ohne Rücksicht auf ihren eigenen Kummer.

Katharina Thies

Als Shakila sah, dass das Baby hungrig war, bot sie sofort ihre Hilfe an.

Katharina Thies

Das scheint außergewöhnlich, ist aber nur ein kleines Beispiel dafür, wie ich die Frauen in Khost erlebt habe. Ich glaube, dass viele von ihnen einer anderen Frau die gleiche Freundlichkeit entgegenbringen würden. Sie unterstützen sich gegenseitig auf jede erdenkliche Weise.

Fatima

Und sie sind unglaublich stark. Fatima ist jung, ich würde sie auf nicht mehr als 20 Jahre schätzen, aber hier zählt niemand wirklich die Geburtstage. Sie ist im neunten Monat mit ihrem ersten Kind schwanger, und als ich sie treffe, hat sie bereits Wehen.

Ihr rechtes Bein ist jedoch mit einem externen Fixateur ruhig gestellt, so dass sie nicht in der Lage ist, ihr Knie zu beugen, geschweige denn zu gehen. Sie hat sich eine Schnur um den Fuß gebunden, mit der sie ihr Bein anhebt, um es wenigstens im Bett zu mobilisieren. Aber professionelle orthopädische Hilfsmittel wie Krücken oder ein Rollstuhl waren für sie nicht zu bekommen.

Katharina Thies

Fatimas Mutter konnte sie zurück ins Haus bringen, nicht ohne selbst angeschossen zu werden.

Katharina Thies

Fatimas Mutter erzählt mir die grausame Geschichte hinter der Verletzung. Es geschah im September 2021, kurz nachdem sie erfahren hatte, dass sie schwanger war. Fatima hatte gerade das Haus verlassen, um ein paar Besorgungen zu machen, als direkt vor dem Haus ein Kampf ausbrach.

Fatima geriet zwischen die Fronten, und ihr Bein wurde durch Schüsse schwer verletzt. Fatimas Mutter konnte sie zurück ins Haus bringen, allerdings nicht ohne selbst angeschossen zu werden - glücklicherweise nicht so schwer wie ihre Tochter.

Was für Fatima folgte, war eine Odyssee von Arztbesuchen, mehreren Operationen und monatelanger Ruhigstellung, während derer ihre Schwangerschaft voranschritt.

In Ehrfurcht

Die Hebamme im Kreißsaal ist besorgt, ob Fatima auf natürlichem Weg gebären kann, da sie das Bett nicht verlassen kann. Aber Fatima ist entschlossen, es zu versuchen. Für eine Frau in der Provinz Khost ist ein Kaiserschnitt oft nicht die beste Option, wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Anzahl der Kinder sechs oder mehr beträgt.

Eine Geburt war noch nie einfach oder schmerzfrei, aber gängige Schmerzmittel wie Lachgas oder eine Epiduralanästhesie sind hier einfach nicht verfügbar. Die Frauen hier entbinden in der Regel ohne jegliche Schmerzmittel. Und Fatima kann während der Wehen nicht einmal stehen oder sich bewegen, wie es andere Frauen in den Wehen tun, um mit den Schmerzen fertig zu werden.

Katharina Thies

Ich bin sehr stolz auf sie und bewundere ihre Stärke - die sie zweifellos auch ihrer kleinen Tochter beibringen wird...

Katharina Thies

Ihre Mutter sitzt hinter ihr im Bett und stützt ihren Oberkörper, und zwischen den Wehen stützt Fatima ihren Kopf auf die Schulter der Mutter. Wenn der Schmerz zu stark wird, beißt sie einfach in ihr Tuch, um ihn zu ertragen.

Und ihre Motivation und Ausdauer zahlen sich aus - nach neun Stunden Wehen bringt Fatima ihr kleines Mädchen vaginal zur Welt. Ich bin sehr stolz auf sie und bewundere ihre Stärke - die sie zweifellos auch ihrer kleinen Tochter beibringen wird.

Genau diese Stärke und das Mitgefühl der afghanischen Frauen sind inspirierend, ebenso wie ihre Akzeptanz des Lebens, wie es eben ist, und wie sie versuchen, etwas Freude darin zu finden. Ich bin für immer dankbar für alles, was sie mich gelehrt haben.