“Diese Naturkatastrophe ist auch für die Philippinen beispiellos“

11.11.2013
Bericht unserer Nothilfekoordinatorin Dr. Natasha Reyes zur Lage nach dem Taifun Haiyan

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Dr. Natasha Reyes, Nothilfekoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen
MSF / 26. April 2013
11.11.2013: Dr. Natasha Reyes, Nothilfekoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen auf den Philippinen. Ein Notfallteam ist seit dem 9. November in Cebu auf der Inselgruppe Visayas unterwegs. In den kommenden Tagen werden 50 weitere Mitarbeiter - Ärzte, Pflegekräfte, Logistiker und Psychologen - in die zerstörten Gebiete reisen, und dort Nothilfe leisten. Zudem schickt Ärzte ohne Grenzen insgesamt 329 Tonnen Hilfsgüter und medizinisches Material mit drei Cargo-Flugzeugen nach Cebu.

Dr. Natasha Reyes ist Philippina und arbeitet zurzeit für Ärzte ohne Grenzen als Notfall-Koordinatorin in ihrer Heimat. Sie schildert die Lage nach dem verheerenden Taifun Haiyan.

„Ich bin selbst Philippina und weiß deswegen, wie belastbar meine Landsleute sind. Wieder und wieder wurden wir von Naturkatastophen getroffen. Wenn ich jetzt aber höre, wie fassungslos, wie verzweifelt und hoffnungslos die Menschen sind, wird für mich klar, wie schrecklich die Situation ist.

Diese Naturkatastrophe ist auch für die Philippinen beispiellos, es ist wie ein schweres Erdbeben und schwere Überschwemmungen zugleich.

 

Niemand weiß, wie die Situation in den ländlichen Gebieten ist

 

Momentan arbeiten wir noch wie in einem schwarzen Informations-Loch. Was wir wissen, ist dass die Situation schrecklich ist. Am meisten Sorgen bereitet uns aber das, was wir noch nicht überschauen können. Berichten zufolge ist die ganze Stadt Tacloban mit 400.000 Einwohnern zerstört. Hunderte anderer Städte und Dörfer liegen entlang der Strecke, die der Taifun zurückgelegt hat. Die gesamte Kommunikation dorthin ist abgeschnitten. Ehrlich gesagt weiß niemand, wie die Situation in diesen eher ländlichen und abgelegenen Orten ist. Es wird auch noch einige Zeit dauern, bis wir ein vollständiges Bild haben.

Der Fokus von Ärzte ohne Grenzen liegt zunächst auf der Provinz Leyte, die zuerst getroffen wurde, als der Taifun auf Land traf. Wir wissen, dass viele medizinische Einrichtungen zerstört oder beschädigt wurden - medizinische Geräte wurden einfach weggespült. Zudem werden sehr viele medizinische Mitarbeiter vermisst, wodurch die Personalressourcen stark erschöpft sind.

 

Wir rechnen mit Schwerverletzten

 

Verletzte werden mit dem Motorrad oder bis zu sechs Stunden zu Fuß aus der Umgebung zum Flughafen gebracht, wo das philippinische Militär medizinische Hilfe leistet. Aber dort fehlen Medikamente und Material, weswegen wir dort mit einem medizinischen Team Unterstützung leisten werden.

Das regionale Krankenhaus in Tacloban wurde von einer Sturmflut getroffen, und große Teile der Ausstattung wurden weggespült. Es ist unklar, was noch übrig ist. Wir konnten in Tacloban ein weiteres, noch funktionsfähiges Krankenhaus ausmachen. Dort wollen wir in den nächsten Tagen die Arbeit aufnehmen.

Dann gibt es die Verletzten, von denen mit Sicherheit noch viele eine medizinische Versorgung benötigen. Das Hauptproblem ist bei Katastrophen wie Taifunen meist die Tatsache, dass so viele Menschen ihr Dach über dem Kopf verloren haben. Das Ausmaß der Verletzungen ist mit Schnitten, gebrochenen Gliedmaßen und Kopfwunden meist relativ gering. Dieses Mal sind aber so viele Häuser und Gebäude zusammengebrochen, dass wir auch mit Schwerverletzen rechnen.

 

Ost-Samar wird vermutlich das nächste Ziel sein

 

Eine weitere große Gefahr sind Tetanus-Infektionen. Aus unserer Erfahrung nach dem Tsunami in Aceh und anderen Katastrophen wissen wir, dass Menschen oft in den Trümmern ihrer Häuser nach Sachen suchen. Dabei ziehen sie sich leicht Schnitte zu, die sich schnell infizieren. Daher sind Impfungen gegen Tetanus lebenswichtig.

Unsere Priorität ist es jetzt zunächst, uns um die dringendsten medizinischen Bedürfnisse zu kümmern. Danach kommt alles andere - Unterkünfte, Wasser, Nahrung. Die Menschen haben alles verloren. Berichten zufolge laufen Menschen ziellos und völlig verzweifelt umher. Die psychosozialen Bedürfnisse werden riesig sein, daher wird in den nächsten Tagen ein Psychologe zu unserm Team stoßen. Zunächst aber einmal müssen wir jetzt Mitarbeiter und Hilfsgüter in das betroffene Gebiet bringen. Tacloban selbst hat eine begrenzte Kapazität für Flüge, aber wir tun unser Bestes, damit unsere Teams loslegen können.

Sobald unsere Teams hier verstärkt sind, wird unsere Strategie dahin gehen, ins Umland und auf die umliegenden Inseln von Tacloban zu gelangen. Vermutlich wird Ost-Samar das nächste Ziel sein – mit einem Helikopter und Schnellbooten und anschließend mit Kähnen und mobilen Teams versuchen wir, die Bevölkerung an der Küste zu erreichen."