Gaza: “Die dringendsten Fälle behandeln wir zuerst”

08.08.2014
Teamleiterin Michele Beck schildert ihre Eindrücke aus dem Al-Shifa Krankenhaus
Das chirurgische Team im Operationssaal des Al-Shifa Krankenhauses in Gaza-Stadt.
Nicolas Palarus/MSF
Gaza-Stadt, Palästinensische Gebiete, 06.08.2014: Das chirurgische Team im Operationssaal des Al-Shifa Krankenhauses in Gaza-Stadt.

Michele Beck leitet das medizinische Team von Ärzte ohne Grenzen in Gaza. Während des Beschusses durch die israelische Armee sind im Hauptkrankenhaus Al-Shifa immer neue Patienten eingeliefert worden. Ein Großteil der Opfer waren Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder. Michele Beck hat ihre Eindrücke der medizinischen Notsituation so geschildert:

"Die Verwundeten kommen ununterbrochen im Al-Shifa Krankenhaus in Gaza an. Sie kommen in Wellen. Wie viele genau es sind, das hängt von der jeweiligen Intensität der Bombardierung ab. Viele der Verletzten leiden unter zahlreichen Traumata, Verbrennungen und Wunden, die durch Granatsplitter verursacht wurden. Wir kümmern uns zusammen mit den Teams des palästinensischen Gesundheitsministeriums um sie. Von den Patienten im Al-Shifa Krankenhaus sind, meinen persönlichen Schätzungen nach, rund 30 Prozent Frauen und 30 Prozent Kinder. Allerdings ist es schwierig, genaue Zahlen zu nennen und trotz des Chaos regelmäßige Aufzeichnungen zu machen. Das Wichtigste ist für uns, dass wir die Patienten medizinisch versorgen.

Die ganze Nacht im Operationssaal

Eines nachts kamen zwei kleine Mädchen zu uns in die Notaufnahme. Sie waren vier und sechs Jahre alt und befanden sich beide in einem sehr kritischen Zustand. Die Schwestern hielten sich im Flüchtlingscamp Jabaliya auf nahe einer Stelle, die von einer Bombe getroffen wurde. Als sie bei uns eintrafen, hatten sie mehrere Verletzungen an den Beinen und im Gesicht, Knochenbrüche, sowie Verletzungen an Kopf und Brust. In ihrem Alter ist der Brustkorb noch nicht vollständig ausgebildet, und die Explosion war so gewaltig, dass ihre Lungen stark beschädigt wurden. Die Mädchen verbrachten die gesamte Nacht im Operationssaal. Danach wurden sie zudem post-operativ betreut. Ihre Verletzungen sind jedoch so schwerwiegend, dass ich schlicht nicht sagen kann, ob sie überleben werden.

Es kommen einfach zu viele Patienten

Eines ist sicher: Es kommen einfach zu viele Patienten. Wir versuchen die dringendsten Fälle zu behandeln und diejenigen zu retten, die am stärksten verwundet sind. Unsere Teams arbeiten rund um die Uhr. Im Al-Shifa Krankenhaus sind es derzeit sieben internationale Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen . Die Chirurgen, Anästhesisten und Krankenschwestern arbeiten Seite an Seite mit ihren palästinensischen Kollegen – unter anderem in der Notaufnahme. Die palästinensischen Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums machen einen tollen Job: Sie sind in Kriegschirurgie erprobt und haben Erfahrung mit vielen Verletzten, die auf einmal kommen. Ein Sanitäter von Ärzte ohne Grenzen stabilisiert möglicherweise einen Notfallpatienten, der dann von einem Chirurgen aus dem Team des Gesundheitsministeriums operiert wird – und umgekehrt. Wir teilen die Arbeit so unter uns auf, wie es am effizientesten und damit am besten für unsere Patienten ist.