Griechenland: Tausende Migranten und Asylbewerber sitzen auf Inseln fest

21.07.2015
Ärzte ohne Grenzen fordert EU, UNHCR und griechische Behörden dringend auf, bessere Aufnahmebedingungen zu gewährleisten.
Kara Tepe Camp in Lesbos, Greece.
Georgios Makkas
Lesbos, Griechenland, 18.07.2015: Leila (31) und Jorahan (35) aus Kundus in Afghanistan kochen Tee für sich und ihre Kinder im Kara Tepe Lager auf der Insel Lesbos.

Brüssel/Athen/Wien, am 21. Juli 2015 – Trotz wiederholter Appelle an die griechischen Behörden und an die EU, die mangelhaften Aufnahmekapazitäten in Griechenland zu verbessern, sitzen derzeit tausende Migranten und Asylbewerber unter prekären Bedingungen auf mehreren griechischen Inseln fest, berichtet die internationale humanitäre Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF). Die Organisation weist darauf hin, dass die derzeitige Situation eine Verletzung der Verpflichtungen seitens Griechenlands und der EU gegenüber den Schutzsuchenden ist, und fordert rasche Maßnahmen, um die Lage zu verbessern.

Aufnahmesystem vor dem Kollaps

Auf Lesbos ist das Aufnahmesystem kurz davor zu kollabieren. In den vergangenen Tagen sind rund 5.000 Menschen, mehrheitlich aus Syrien, Afghanistan und dem Irak angekommen. Das Aufnahmezentrum Moria kann jedoch nur 700 Personen aufnehmen; die Einrichtung ist überbelegt, es herrschen schlechte hygienische Bedingungen und es mangelt an Nahrung. Tausende Neuankömmlinge sind deshalb gezwungen, im Freien zu übernachten.

Georgios Makkas
Lesbos, Griechenland, 19.07.2015: Müll sammelt sich neben den Zelten der Flüchtlinge in Moria, die hygienischen Bedingungen sind äußerst schlecht.

Die meisten befinden sich derzeit in Kara Tepe: Auf einem Grundstück ohne jegliche organisierte Strukturen, mit kaum Zugang zu Wasser, Notunterkünften, Latrinen sowie medizinischer Versorgung. Es gibt zwar Bemühungen seitens der Behörden, Nahrung zu verteilen, doch die Rationen sind unzureichend und decken die Bedürfnisse nicht ab. Ein Notfall-Team von Ärzte ohne Grenzen ist bereits auf der Insel eingetroffen.

Georgios Makkas
Lesbos, Griechenland, 19.07.2015: Ein syrisches Baby liegt auf dem Boden des Kara Tepe Lagers. Die Familie hat weder Milch noch Geld, um Babynahrung zu kaufen. Sein Vater Deshevan (26): "Es gibt hier nichts für uns. Keine Toiletten, keine Sauberkeit. Auch nicht ausreichend Essen für alle. Dabei ist uns das gar nicht wichtig: Was wir brauchen - aber nicht bekommen - sind Informationen über unsere Papiere."

Auf der Insel Kos, wo Ärzte ohne Grenzen ebenfalls medizinische und humanitäre Hilfe leistet, schlafen derzeit 700 Menschen zwischen Abfällen und Glassplittern am Boden eines baufälligen Gebäudes, das eigentlich nur 200 Personen Platz bietet. Die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen behandeln regelmäßig Patienten die an der Krätze und an Hautinfektionen leiden, direkte Folgen der unhygienischen Bedingungen. Ärzte ohne Grenzen ist bemüht, die Wasserversorgung und das Sanitärangebot zu verbessern; um die Lebensumstände signifikant zu verbessern, müssen sich aber auch die lokalen Behörden der Situation stärker annehmen.

EU muss aktiv werden

Ärzte ohne Grenzen und andere Hilfsorganisationen können zwar humanitäre Hilfe leisten; diese Hilfe wird jedoch ernsthaft behindert, wenn kein angemessenes Aufnahmesystem aufrechterhalten wird“,  sagt Stathis Kyroussis, der Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland. „Die derzeitige Situation ist eine Verletzung der Verpflichtungen seitens Griechenlands und der EU gegenüber Asylbewerbern und Migranten in Griechenland. Angesichts der tiefen Wirtschaftskrise kann man nicht davon ausgehen, dass Griechenland diese Situation alleine in den Griff bekommen kann. Die EU-Mitgliedsländer sollten dringend humanitäre Ressourcen wie Nothilfe-Gelder und Hilfsgüter zur Verfügung stellen, um Griechenland zu unterstützen. Auch das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR muss jetzt direkte Verantwortung übernehmen und seine Hilfe aufstocken“, so Kyroussis.

Georgios Makkas
Lesbos, Griechenland, 19.07.2015: Mohammed, Tarik, Ahmed und Abbas aus Latakiyah, Syrien, an ihrem ersten Tag im Moria Lager: "Wir kommen aus einem Land, wo Krieg herrscht. Wir müssen einfach nur einen Ort finden, der sicher ist."

Auf Lesbos plant Ärzte ohne Grenzen, in Kürze medizinische Behandlungen anzubieten, auch sind Reinigungsdienste, die Verteilung von Hilfsgütern und die Verbesserung der Wasserversorgung und des Sanitärangebots geplant. Die Organisation hat bereits damit begonnen, Busse zur Verfügung zu stellen, damit Neuankömmlinge die 70 Kilometer von der Ankunft an der Nordküste bis zum Registrierungszentrum in der Inselhauptstadt Mitilini nicht zu Fuß bewältigen müssen.

Georgios Makkas
Lesbos, Griechenland, 19.07.2015: Einige Menschen gehen an einem verlassenen Fabriksgebäude in Moria vorbei.

„Es ist nicht akzeptabel, dass Menschen in einem leer stehenden Gebäude oder auf einem Feld voller Abfälle einfach sich selbst überlassen werden, ohne Wasser oder Latrinen“, sagt Elisabetta Faga, die Nothilfekoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos. „Die griechischen Behörden müssen weitere Aufnahmemöglichkeiten bereitstellen, in denen auch andere Hilfsorganisationen humanitäre Hilfe leisten können. Die Behörden müssen auch sicherstellen, dass eine effiziente Registrierungsprozedur eingerichtet wird, und dass Neuankömmlinge Informationen erhalten, wie es weitergeht und wohin sie gehen müssen.“

Ärzte ohne Grenzen in Griechenland

Seit März leistet Ärzte ohne Grenzen auf den Dodekanes-Inseln in der Ägäis medizinische Hilfe und verteilt Hilfsgüter an Migranten, derzeit vor allem auf Kos. Seit Mitte März wurden 2.750 medizinische Behandlungen durchgeführt und mehr als 20.000 Hilfsgüter wie Seife, Zahnbürsten oder Handtücher verteilt. Ärzte ohne Grenzen hat auch mobile Kliniken eingerichtet: Seit Juni Boot besuchen die Teams mit einem Boot kleinere Orte auf den Dodekanes-Inseln, wo Menschen aus der Türkei ankommen.

In Idomeni, an der mazedonischen Grenze, betreibt Ärzte ohne Grenzen mobile Kliniken und verteilt Hilfsgüter an Menschen, die von Griechenland aus den Balkan in Richtung Nordeuropa durchqueren wollen. Seit dem 1. April haben die Teams hier 2.403 Patienten behandelt und Hygieneprodukte, Energie-Nahrung, Decken und Socken verteilt.