Flüchtlingslager Dadaab: Ärzte ohne Grenzen fordert sofortige Maßnahmen

01.10.2012
Flüchtlinge müssen besser geschützt werden.
Dadaab, das größte Flüchtlingslager der Welt
Lynsey Addario/MSF
Dadaab, 07.12.2011: Die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft im weltweit größten Flüchtlingslager ist unzureichend.

Nairobi/Genf/Wien, 1. Oktober 2012. Anlässlich der 63. Tagung des Exekutivausschusses des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) in Genf fordert die internationale medizinische Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) die Vertragsstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention dringend dazu auf, sich gemeinsam mit der Regierung von Kenia dafür einzusetzen, den Flüchtlingen im weltgrößten Flüchtlingslager in Dadaab verstärkt zu helfen. Die Menschen im kenianischen Dadaab leben weiterhin unter prekären Bedingungen und in einem Klima der Angst. Zum besseren Schutz dieser Menschen müssen dringend wirksame Maßnahmen umgesetzt werden.

„Wir stellen das Ausmaß der geleisteten Hilfe für die Flüchtlinge ernsthaft in Frage", sagt Bruno Jochum, Generaldirektor der Einsatzzentrale von Ärzte ohne Grenzen in Genf, der vergangene Woche das Lager Dagahaley, eines der Dadaab-Lager, besucht hat. „Angesichts der derzeitigen Sicherheitslage wurden die Hilfsleistungen stark eingeschränkt. So ist es nicht überraschend, dass die Flüchtlinge erneut mit Cholera und einem erneuten Ausbruch von Hepatitis E zu kämpfen haben."

Internationale Gelder wurden um 40% reduziert

Seit dem vergangenen Jahr wurde die internationale Finanzierung für die Flüchtlingslager um mehr als 40 Prozent gekürzt, während gleichzeitig die Zahl der Flüchtlinge weiterhin gewachsen ist. Vor allem jetzt, da die Regenzeit kurz bevorsteht, ist Ärzte ohne Grenzen sehr besorgt über den Mangel an Unterkünften und sanitären Anlagen. Es ist offensichtlich, dass die derzeit geleistete Hilfe nicht ausreichend ist. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis in den Lagern von Dadaab die nächste humanitäre Krise ausbricht.

Ärzte ohne Grenzen verurteilt auch den unzureichenden Schutz der Flüchtlinge. „Die Tatsache, dass neu angekommene Flüchtlinge nicht registriert werden, ist inakzeptabel und ein klarer Verstoß gegen die Flüchtlingskonventionen und internationale Abkommen", betont Jochum. „Wir unterstützen die laufenden Gespräche zwischen der kenianischen Regierung und dem UNHCR, um bei diesem kritischen Thema eine Lösung zu finden. Die Registrierungen müssen so rasch wie möglich wieder aufgenommen werden."

Flüchtlinge können nicht in ihre Heimat zurück

Angesichts der Tatsache, dass in Somalia weiterhin ein gewaltsamer Konflikt herrscht, ist eine umfangreiche Rückführung der Flüchtlinge vorerst keine Option. Die Sicherheitsbedingungen vor Ort lassen weder angemessenen Schutz noch Hilfslieferungen zu.

Auch wenn sich die Sicherheitslage innerhalb der Lager in Dadaab in den vergangenen Monaten vergleichsweise verbessert hat, kommt Gewalt immer noch allzu häufig vor – die Lager sind somit noch nicht die sichere Zufluchtsstätte, die sie sein sollten. Auch die Aktivitäten von Hilfsorganisationen, einschließlich jene von Ärzte ohne Grenzen, werden stark behindert. Seit im Juli ein erneuter Zwischenfall die Sicherheit von humanitären Helfern gefährdete ist es für die internationalen Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen nicht mehr möglich, dauerhaft in den Lagern zu arbeiten. Dadurch ist derzeit nicht gewährleistet, dass Ärzte ohne Grenzen auf einen medizinischen Notfall angemessen reagieren und qualitativ gute medizinische Hilfe leisten kann.

Wohl der Flüchtlinge muss oberste Priorität haben

Ärzte ohne Grenzen fordert, dass die Registrierung von neu ankommenden Flüchtlingen umgehend wieder aufgenommen wird und dass Maßnahmen umgesetzt werden, die ihren Schutz sicherstellen. Außerdem müssen mehr Anstrengungen unternommen werden, um die grundlegenden Bedürfnisse der Flüchtlinge, wie etwa Unterkünfte und sanitäre Anlagen, zu decken. Das Wohl der Flüchtlinge in Dadaab muss für die Vertragsstaaten der Flüchtlingskonvention oberste Priorität haben.

In Dagahaley, einem der fünf Lager des Dadaab-Komplexes, betreibt Ärzte ohne Grenzen ein Spital mit 200 Betten. Im Ernährungsprogramm werden zurzeit 400 schwer mangelernährte Kinder behandelt. Im Schnitt führen die Ärzte ohne Grenzen-Mitarbeiter pro Monat 14.000 medizinische Untersuchungen durch und nehmen insgesamt 1.000 Patienten aus der Flüchtlings- und aus der Lokalbevölkerung stationär auf. Das Angebot des Spitals beinhaltet die Pflege von Kindern und Erwachsenen, eine Mutter-Kind-Versorgung, chirurgische Eingriffe und die Behandlung von HIV/Aids und Tuberkulose. Ärzte ohne Grenzen betreibt außerdem vier Gesundheitsposten in Dagahaley, deren Angebot Schwangerschaftsfürsorge, Impfungen und psychologische Betreuung umfasst.

Vor einem Jahr, im Oktober 2011, wurden die beiden Ärzte ohne Grenzen-Mitarbeiterinnen Montserrat Serra und Blanca Thiebaut aus dem Flüchtlingslager Dadaab entführt, während sie dort für somalische Flüchtlinge Hilfe leisteten. Sie werden nach wie vor festgehalten. Ärzte ohne Grenzen fordert alle Konfliktparteien in Somalia auf, auf eine sichere Freilassung der beiden Mitarbeiterinnen hinzuwirken.

Hinweis

Derzeit zeigt Ärzte ohne Grenzen in Wien „Leben auf der Flucht". Die Ausstellung besteht aus einem Flüchtlingslager, das auf dem Wiener Karlsplatz aufgebaut wurde. In zehn originalgetreu nachgebauten Zelten können Besucher und Besucherinnen sich darüber informieren, wie Menschen in Flüchtlingslagern – wie etwa Dadaab in Kenia – leben und wie die Hilfe von Ärzte ohne Grenzen konkret funktioniert. Die Ausstellung kann noch bis Sonntag, dem 7. Oktober besucht werden. Weitere Informationen: www.aerzte-ohne-grenzen.at/flucht