Südsudan: Gewalt zwingt Mitarbeiter und Patienten von Ärzte ohne Grenzen zur Flucht

240 lokale Mitarbeiter fliehen in den Busch
31.01.2014
SS MSB5238 Jerome Starkey web
Jerome Starkey
Lankien, Südsudan, 22.01.2014: Patient Daniel Pouk wird im Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Lankien im Bundesstaat Jonglei behandelt, nachdem er während der Kämpfe zwischen Regierungs- und Rebellentruppen verwundet wurde.

Juba/Wien, am 31. Jänner 2014. Die anhaltende Gewalt im südsudanesischen Bundesstaat Unity hat tausende Menschen zur Flucht in den Busch gezwungen – darunter auch 240 lokale Mitarbeiter von Ärzte ohne  Grenzen /Médecins Sans Frontières (MSF), die in Leer tätig waren. Ein Team von 30 Mitarbeitern hat mehrere Dutzend schwer erkrankte Patienten aus dem Krankenhaus in Leer mitgenommen und hat sie in den Busch begleitet. Andere Patienten, die das Krankenhaus aus eigener Kraft verlassen konnten, sind ebenfalls geflohen. Derzeit befindet sich niemand mehr in dem Spital.

„Trotz der unglaublich schwierigen Umstände haben unsere Mitarbeiter den Betrieb im Krankenhaus in Leer so lange wie möglich aufrecht erhalten“, berichtet Raphael Gorgeu, Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen im Südsudan. „In den vergangenen drei Tagen wurde die Situation jedoch zu instabil und der einzige Weg, weiterhin medizinische Hilfe anbieten zu können, war, die Patienten aus dem Krankenhaus zu bringen und mit der Bevölkerung in den Busch zu flüchten.“

Zwölf internationale Team-Mitglieder von Ärzte ohne Grenzen mussten aufgrund der sich rapide verschlechternden Sicherheitslage bereits am 21. Jänner aus Leer evakuiert werden. Obwohl die meisten Bewohner bereits aus der Stadt geflohen waren hatten sich viele der lokal angestellten Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen dazu entschlossen, weiterhin zu bleiben um die lebensrettende medizinische Hilfe im Krankenhaus aufrecht zu erhalten. Ärzte ohne Grenzen ist extrem besorgt um die Sicherheit und das Wohlergehen dieser Mitarbeiter und der Patienten.

Mehr als 270.000 Menschen ohne Gesundheitsversorgung

„In den vergangenen sechs Wochen haben unsere Teams im Südsudan unter extremen Bedingungen gearbeitet – wir waren dazu gezwungen, mehrmals zu evakuieren. Unsere Teams waren in Gebieten tätig, wo der Konflikt aktiv ausgetragen wird, und unsere Einrichtungen wurden geplündert“, so Gorgeu. „Das Krankenhaus in Leer war das einzige funktionierende Krankenhaus im Süden des Bundesstaates Unity. Da es nicht mehr sicher ist, in dieser Einrichtung zu arbeiten, sind nun mehr als 270.000 Menschen von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten.“

Seit dem Ausbruch der Krise wurden zehntausende Menschen aus ihren Häusern im Süden des Bundesstaats Unity vertrieben. Dies betrifft auch die mehr als 10.000 Menschen, die durch Kämpfe in Bentiu vertrieben wurden und in Leer Zuflucht gesucht hatten. Sie wurden nun zum zweiten Mal vertrieben. Je länger die Menschen ohne ausreichend Nahrung, sauberem Wasser oder Notunterkünften unter freiem Himmel leben müssen, desto wahrscheinlicher sind Krankheitsausbrüche und Mangelernährung.

„Unsere Kollegen haben einen unglaublichen Einsatz gezeigt: Nur mit einfachem medizinischem Material ausgestattet, haben sie die Patienten weiter versorgt, Wunden verbunden, Krankheiten wie Malaria behandelt und sich so gut wie möglich um die Gesundheit der Menschen gekümmert“, erklärt Gorgeu. „Sie haben nur noch wenig medizinisches Material zur Verfügung – wenn die Vorräte aufgebraucht sind, wird sich die Situation für die Menschen weiter verschärfen.“

Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit 25 Jahren in Leer. Die Teams boten ambulante und stationäre medizinische Behandlungen für Kinder und Erwachsene an, führten chirurgische Eingriffe durch, begleiteten Geburten, behandelten HIV/Aids und Tuberkulose und betrieben eine Intensivstation. Die Teams sind bereit, nach Leer zurückzukehren, sobald es die Sicherheitslage erlaubt.

Ärzte ohne Grenzen appelliert an alle Konfliktparteien, die Neutralität medizinischer Einrichtungen zu respektieren und Hilfsorganisationen den Zugang zu Menschen in Not zu gewähren, damit sie allen Patienten  – unabhängig von ihrer Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit – eine medizinische Behandlung zu ermöglichen können.

Ärzte ohne Grenzen arbeitet seit 1983 in dem Gebiet der heutigen Republik Südsudan und betreibt 14 Hilfsprogramme in neun der zehn Bundesstaaten des Landes. Neben den regulären Hilfsprogrammen in Agok, Aweil, Bentiu, Gogrial,  Maban, Malakal, Nasir, Yambio, Lankien, Yuai und Yida gibt es vier zusätzliche Nothilfe-Programme in Juba, Awerial, Malakal und Nimule. Währen der ersten fünf Wochen der Krise hat Ärzte ohne Grenzen 71.973 Behandlungen durchgeführt, 2.710 PatientInnen stationär aufgenommen (davon 1.600 Kinder unter 5 Jahren), 1.252 Kriegsverletzte versorgt und 1.610 Geburten begleitet. In den Hilfsprogrammen von Ärzte ohne Grenzen im Südsudan sind derzeit 278 internationale und 2.890 südsudanesische Mitarbeiter beschäftigt.