Das Ende meiner langen Reise

04.09.2013
Patientinnen-Bericht einer Heilung von extrem resistenter Tuberkulose

Sie lagen auf einer kleinen Untertasse – fünf leuchtend gelbe Kapseln, eine große weiße Tablette sowie eine braune Kapsel. Mit einem letzten, mutigen Schluck beendet die 23-jährige Phumeza Tisile ihr Ritual, das in den vergangenen zwei Jahren täglich zu ihrem Leben gehörte: Sie schluckt die letzten von insgesamt 20.000 Tabletten, die sie einnehmen musste, um eine der schwersten Formen der multiresistenten Tuberkulose zu heilen: Die extrem resistente Tuberkulose (XDR-TB). Als sie den letzten Schluck nimmt, laufen ihr Freudentränen über die Wangen.

„Ich hätte nie gedacht, dass dieser Tag kommen würde", sagt Phumeza und strahlt: „Ich habe XDR-TB geschlagen! Endlich geheilt zu sein, ist sehr aufregend. Zunächst war es sehr beängstigend. Aber du lebst mit der Hoffnung – der Hoffnung, dass du eines Tages geheilt sein wirst. Ich wollte nicht zu einem Fall in der Tuberkulose-Statistik werden, und das hat mich aufrecht gehalten."

Phumeza hat die XDR-TB nach einer anstrengenden, zwei Jahren andauernden Behandlung gegen alle Widrigkeiten geschlagen. Die Chancen auf Heilung der Krankheit liegen bei unter 20 Prozent. Da es sehr lange gedauert hat, eine richtige Diagnose zu erhalten, lagen ihre Überlebenschancen zu Beginn sogar noch darunter.

 

Gefährliche Verzögerung

 

Bevor Phumeza von Ärzte ohne Grenzen behandelt wurde, kam es bei der genauen Diagnose ihrer XDR-TB zu Verzögerungen, da der Prozess der Ermittlung einer XDR-TB-Infektion mit den verfügbaren Diagnosetests im öffentlichen Sektor sehr langwierig ist. Phumeza erhielt daher anfangs in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen eine ineffektive Behandlung auf herkömmliche Tuberkulose, bevor man herausfand, dass sie eine XDR-TB aufwies. Darüber hinaus litt sie unter schwerwiegenden Nebenwirkungen, die bei vielen PatientInnen während einer multiresistenten TB-Behandlung auftreten. Bei ihr gehört dazu auch dauerhafte Taubheit.

 

Schwer zu schlucken

 

Zu dieser Zeit begann Dr. Jennifer Hughes, TB Ärztin von Ärzte ohne Grenzen in Khayelitsha, Phumeza im Mai 2011 zu behandeln. Neun Monate waren damals bereits vergangen, in denen Phumeza in der erfolglosen Behandlung auf herkömmliche TB in einer öffentlichen Einrichtung verbracht hatte. Dr. Hughes erläutert, dass Phumezas Geschichte die beiden größten Hindernisse zeige, um multiresistente Tuberkulose effektiv zu behandeln: Der Mangel an Diagnostika, um XDR-TB früher zu erkennen – und die begrenzte Reichweite von Medikamenten, um die Krankheit zu behandeln.

„Die Verzögerung von Phumezas Behandlung kam durch bestehende Schwierigkeiten in der Diagnostik zustande, die Ärzten heute zur Verfügung steht, und die für Patienten wie Phumeza von Nachteil ist. Wir brauchen wirklich eine bessere Diagnostik, wenn wir Leben retten und multiresistente TB bekämpfen wollen", sagt Dr. Hughes. „Angesichts einer solchen begrenzten Chance auf Heilung mit den bestehenden Medikamenten ist es wichtig, dass wir für Patienten wie Phumeza bessere Medikamente entwickeln und nutzen."

Für PatientInnen, die versuchen, multiresistente Formen der Tuberkulose zu bekämpfen, sind zwei Jahre Behandlung eine anstrengende und schmerzhafte Angelegenheit. „Ich musste mindestens drei Medikamente einnehmen, mehr als 20 Tabletten täglich, sowie weitere ergänzende Mittel und Injektionen. Es ist einfach zu viel. Viele andere Patienten stimmen dem sicher zu ", sagt Phumeza, die in Bezug auf ihre Tabletten von "kleinen Biestern" spricht, da sie sich durch deren Nebenwirkungen oft schrecklich fühlte.

Während ihrer zweijährigen Behandlung hat Phumeza auf der Website MSF TB + ME gebloggt – die Unterstützung und Kommentare, die sie dort erhalten hat, haben ihr sehr geholfen, zuversichtlich zu bleiben.

 

Neue Hoffnung – mit einem hohen Preis

 

Eines der Medikamente, die Dr. Hughes Phumezas Heilung zuschreibt, ist ein hochwirksames Antibiotikum namens Linezolid, das Phumeza als Teil des verstärkten TB-Therapieprogramms von Ärzte ohne Grenzen in Khayelitsha erhielt. Das Programm bietet XDR-TB-PatientInnen individuell zugeschnittene Kombinationen neuer und wirksamer Medikamente, um die aktuelle Standard-Therapie für XDR-TB zu verbessern. Obwohl Daten von Ärzte ohne Grenzen vielversprechende Ergebnisse bei der Verwendung von Linezolid als Teil einer XDR-TB-Therapie zeigten, ist das Medikament in Südafrika aus zwei Gründen nicht weit verbreitet: Zum einen ist es extrem teuer, weil es unter Patentschutz steht; zum anderen ist das zur Verfügung stehende Produkt nicht für die Behandlung multiresistenter TB in Südafrika registriert, so dass es schwierig ist, das Medikament in öffentlichen Einrichtungen für eine TB-Behandlung zu erhalten.

Der Pharmakonzern Pfizer ist der einzige Anbieter von Linezolid in Südafrika, der mehrere Patente auf das Medikament hält. Bei den Preisen, die Pfizer verlangt, kostet eine zwei Jahre dauernde Behandlung für eine multiresistente TB-Patientin wie Phumeza mehr als 35.862 EUR pro Patient, wenn das Medikament frei auf dem Markt erworben wird.

Erschwinglichere und qualitätsgeprüfte generische Versionen von Linezolid sind in anderen Teilen der Welt erhältlich, aber trotz des Appells von Ärzte ohne Grenzen hat das Gesundheitsministerium noch nicht versucht, legale Freiräume im Einklang mit internationalen Handelsabkommen zu nutzen, um die Barrieren für TB-PatientInnen zu überwinden und weniger teures Linezolid zugänglich zu machen.

 

Zurück zu ihrer Zukunft

 

Nun, da sie von XDR-TB geheilt ist, kann sich Phumeza wieder ihrem Traum zuwenden, weiter zu studieren. Doch durch ihren Kampf gegen XDR-TB hat sich ihr Fokus verschoben. „Die Erfahrung mit XDR-TB hat mich verändert. Ich bin nicht die gleiche Person, die ich einmal war. Ich möchte mich wieder an der Uni einschreiben. Doch ich weiß, dass es wegen meiner Taubheit schwierig werden wird. In der Geschäftswelt wird man mich nicht akzeptieren. Aber vielleicht werde ich ein Studium im Gesundheitswesen belegen."