Das war mein Einsatz in Afghanistan

Kommentar von
10.08.2015
Ich war fast sechs Monate hier, bin fast in diese Kultur eingetaucht, habe fast alle Babys betreut, bereue fast nichts und habe fast alle meine Ziele umgesetzt!

Servus alle zusammen,

einige meiner Leser haben gemeint, ein Resümee, eine Zusammenfassung oder ein „Was hat´s gebracht?“ ist am Ende meines Einsatzes in Afghanistan notwendig. Da ich meine „Leser“ nicht enttäuschen möchte, wird wieder getippt!

Ich war fast sechs Monate hier, bin fast in diese Kultur eingetaucht, habe fast alle Babys betreut, bereue fast nichts und habe fast alle meine Ziele umgesetzt!

Jakob Krösslhuber/MSF
Ich habe mich vier Tage lang um das Baby gekümmert, bis wir eine Adoptivfamilie gefunden hatten!

Sechs Monate ist eine lange Zeit, dass wird einem erst bewusst, wenn man wieder heim reist. Das erste deutsche Wort am Flughafen ist noch gewöhnungsbedürftig. Der Euro ist fast fremd – und die Scheine sind so sauber…

Man lernt viele Menschen in so einem Projekt kennen. Viele begleiten einen die ganze Zeit und sind am Schluss treue Gefährten. Man merkt gar nicht, wie viel man sich erzählt im Alltag. Über das Fasten, wie Ehen aussehen, wie Religion betrachtet wird, was man über die Politiker im eigenen Land denkt und auch – immer höflich – was man von der anderen Kultur weiß. Oder glaubt zu wissen.

Jakob Krösslhuber/MSF
Unser Koch bei meiner Abschlussfeier am Ende meines Einsatzes.

Kult oder Kultur?

Zu Beginn fallen einem immer die Unterschiede auf: Die Sprache, das Aussehen und bestimmte Verhaltensmuster. Die Begrüßungen können ein beträchtliches Ausmaß annehmen. Das ist einerseits zeitraubend aber andererseits auch angenehm, wenn man das Gefühl hat, der Mensch gegenüber interessiert sich für einen. Doch eigentlich kann man sich kaum unterhalten.

Mit der Zeit fallen dann die Gemeinsamkeiten ins Auge: Das Essen in der Familie ist wichtig und wird oft zusammen eingenommen. Die Sorgen um die Patienten im Krankenhaus teilt sich oft eine ganze Horde von Verwandten.

Ältere Personen genießen einen hohen sozialen Stellenwert in Afghanistan. Nach einiger Zeit hab ich beschlossen, zu fragen, wie alt denn die Ärzte in meinem Team sind. Alle antworteten plausibel und dann fragte ich, wie alt sie mich schätzen würden. Alle schätzten mich mindestens 10 Jahre zu alt. Wie ich später herausfand, ist es höflich, andere älter und somit weiser zu schätzen. Im Gegensatz zu unserem Jugendwahn irgendwie amüsant.

Je mehr man sich mit dieser Kultur auseinander setzt, umso mehr Fragen kommen auf. Nicht auf alle gibt es Antworten, aber auf manche schon:

  • Wieso akzeptieren diese Menschen den Tod viel besser als wir?
    Weil Allah sie leiten wird und sie ihm vertrauen.
  • Wieso ist niemand wütend hier?
    Weil es als Verlust der Selbstkontrolle gilt, Wut zu zeigen – und das wiederum ist ein Zeichen von Schwäche.
  • Wieso will jeder mit mir Tee trinken?
    Weil es höflich ist, zu fragen, ob man Tee will – und höflich, dies mindestens 3 Mal zu verneinen.

Und der Bart, den ich mit nach Hause nehme, ist hier Kult und dort Kultur.

Nach fast sechs Monaten nehme ich nicht nur Arbeitserfahrungen mit nach Hause. Nein, auch das Leben in einer fremden Kultur mit fremden Sitten und Bräuchen. Oft weiß man auf den ersten Blick nicht, warum Menschen etwas machen. Dann muss man gelegentlich einen zweiten Blick wagen oder gar fragen.

Die Babys in meiner Obhut wurden zumindest nach bestem Wissen und Gewissen betreut. Mehr als nur einmal wünscht man sich Geräte und Diagnostik. Am Ende lernt man dann doch mehr zu akzeptieren, als man dachte. Umso mehr freut man sich, wenn Frühchen nach Hause gehen, der Sauerstoffbedarf sinkt, die Krämpfe plötzlich weg sind oder sich ein blaues Baby am Wiederbelebungstisch nach langen 20 Minuten dann doch plötzlich entscheidet: Atmen wäre jetzt ok.

Was lässt man zurück?

In meinem Fall eine Neugeborenen-Intensivstation (kurz „NICU“, das wissen die treuen Leser jetzt schon), die relativ gut funktioniert – und zwar auch ohne mich. Mein Ziel war von Beginn an, mich überflüssig zu machen. Die Aufgabe des nächsten Pädiaters wird sein, zu beobachten, ob alles läuft – das wäre zumindest mein Plan.

Jakob Krösslhuber/MSF
Das pädiatrische Team überreicht mir ein Abschlussgeschenk – ich trage zu diesem Anlass afghanische „Tracht“.

Fliegt gerade der gleiche Typ zurück, der los zog, um die Welt ein bisschen zu verändern?

Ja und Nein.

Ich habe mir Vieles so vorgestellt. Ich habe auch nicht das Bedürfnis bekommen, die ganze Welt auf einmal zu retten oder mich der Hoffnungslosigkeit zu unterwerfen. Menschen wurden begleitet und Freundschaften wurden geknüpft. Und vielleicht weiß ich wieder mehr zu schätzen was ich (oder wir) haben. Dieser Effekt wird wohl nur kurz halten aber er ist immer wieder eine Erfahrung wert.

Euer
Jacobcan, MR SOPA, Doctor tefel, Jacob you are the best oder Potato potato potato!

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1981 in Afghanistan tätig. Das Team in Dasht-e-Barchi arbeitet eng mit dem Gesundheitsministerium zusammen, um die Entbindungsstation im Bezirkskrankenhaus zu unterstützen. Die Organisation unterstützt auch das öffentliche Krankenhaus in Ahmad Shah Baba in Ost-Kabul und das Boost-Krankenhaus in Lashkar Gah in der Provinz Helmand. In Kundus betreibt Ärzte ohne Grenzen ein Unfallkrankenhaus und in Khost im Osten des Landes eine Mutter-Kind-Klinik. In allen Einrichtungen bietet Ärzte ohne Grenzen die lebensrettende medizinische Versorgung kostenlos an. Wir akzeptieren für die Arbeit in Afghanistan keine staatlichen Gelder. Die Aktivitäten werden ausschließlich aus privaten Spenden finanziert. 

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01.09.2015
23:10
pauline

sehr lobenswert, und gut, wenn jemand einen beruf hat, der dort nützlich ist

01.09.2015
09:19
Franz

Ein großes BRAVO für deinen Einsatz!
Franz

11.08.2015
21:08
Nina Gründel

Wow, vielen Dank für Deine Geschichte und Deine Erlebnisse.
Ich hoffe, dass all Deine Babys groß, glücklich und stark werden :)

11.08.2015
14:57
Nadin

Beeindruckende Erlebnisse. Sehr schön
liebe grüße

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