2015 wurde unser Krankenhaus in Kundus, Afghanistan angegriffen. Sylvia Wamser war als klinische Psychologin vor Ort und erzählt hier von ihrem Einsatz.
Kommentar von Sylvia Wamser
04.11.2021

Sylvia Wamser unterstützt uns seit 2005 als klinische Psychologin und Psychotherapeutin. Seither war sie bereits weltweit in 15 Projekten sowohl als psychologische Unterstützung für unsere Mitarbeiter:innen, als auch für Patient:innen im Einsatz. Von ihrer Arbeit in Afghanistan 2015/2016, nach der Zerstörung eines unserer Krankenhäuser und dem Tod mehrerer Einsatzkräfte, erzählt sie hier:

Mein Einsatz in Afghanistan ist sehr rasch erfolgt. Denn eines unserer Spitäler in Kundus, im Norden des Landes, wurde von einem US-amerikanischen Flugzeugen angegriffen. Was ich dort gesehen habe - davon bekomme ich heute noch Gänsehaut.

Nach solchen kritischen Vorfällen ist es wichtig, dass man möglichst schnell dort ist, um die traumatisierten Menschen mit psychologischer Betreuung zu unterstützen. Leider hat es zwei Wochen gebraucht, bis wir es tatsächlich nach Kundus geschafft haben Eine sichere Anreise war sehr schwer. Außerdem, so banal es auch klingen mag, hat uns auch das Wetter immer wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Mehrfach waren wir schon mit dem Flugzeug auf dem Weg, doch die Sicht war dann doch wieder so schlecht, dass man umkehren musste. Zum Glück war vor uns schon ein kleines Team von psychosozialen Berater:innen des zerstörten Traumazentrums zur akuten und kurzfristigen psychologischen Unterstützung bei den Kolleg:innen. Darüber hinaus unterstützten sie uns auch als Dolmetcher:innen. 
 

In Kundus angekommen…

Beim Spital angekommen bot sich mir ein Bild, bei dem mir heute noch ein Schauer über den Rücken läuft. Sie müssen sich vorstellen, einzig die medizinisch-operativen Teile des Krankenhauses waren durch den Beschuss zerstört worden – die administrativen Teile blieben quasi unversehrt. Mitarbeiter:innen, die zu diesem Zeitpunkt im Krankhaus waren, haben mir davon berichtet, dass gezielt auf sie geschossen wurde. 

Bei diesem Angriff um 2 Uhr morgens wurden zwei aktive Operationssäle beschossen und niedergebrannt. Patient:innen sind in ihren Betten verbrannt. Selbst zwei Wochen später war der Anblick von so viel Zerstörung schrecklich. Ich dachte immer nur, so müssen sich meine Eltern im Krieg gefühlt haben. 

Von den 42 Toten waren 24 Kolleg:innen, 14 waren Patient:innen und vier Angehörige. Zusätzlich ist alles, was in diesem Krankenhaus dokumentiert wurde - Patient:innenakten, Verzeichnisse, einfach alles - verbrannt. Die Ordner waren nicht mehr als solche zu erkennen. Ich habe nicht einmal einen USB-Stick gefunden, der das Feuer überlebt hätte.
 

Wir behandeln als unabhängige, neutrale und unparteiische Organisation jeden Menschen.

Es gibt Vermutungen, warum es zum Beschuss dieses Krankenhauses kam. Was ich gehört habe ist, dass es das Gerücht gab, dass unsere Kolleg:innen dort ein paar hochrangige Taliban-Führer behandelten. Und dass deshalb dann das Krankenhaus beschossen wurde. Auszuschließen ist das natürlich nicht. Denn wir behandeln als unabhängige, neutrale und unparteiische Organisation jeden Menschen. Waffen müssen vor Betreten der Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen abgegeben werden. Und dann wird jeder Mensch gleichermaßen behandelt. 

Ich konnte die Gebäude erst nach einiger Zeit betreten, weil der Anblick für mich zu schrecklich war. Alles war verbrannt und geschmolzen. Diese Zerstörung und Vernichtung mit eigenen Augen zu sehen. Das alles in Kombination mit den Erzählungen der Kolleg:innen, die diese Nacht im Krankenhaus überlebt haben. Das lässt mich nicht mehr los! 

Wir machen weiter, wenn die Not am größten ist

Es motiviert mich weiterzumachen, wenn ich sehe, dass mittlerweile ein neues Traumazentrum in Kundus eröffnet wurde, wo weiterhin Menschen mit Verletzungen jeder Art behandelt werden. Möglich ist das nur, weil wir eine unabhängige Organisation sind, die zu 100% durch private Spenden finanziert wird. Dadurch können wir in politisch brisanten Situationen weiter in den Einsatzgebieten bleiben. Wir können in dem neu errichteten Spital viele Menschen behandeln und weiter machen, wenn die Not am größten ist. Für mich steht bei solchen Einsätzen nicht mein eigenes Leben im Vordergrund. Ich weiß, dass alles Mögliche gemacht wird, um meine Sicherheit zu gewährleisten. Mir geht es darum, Menschen bei der Bewältigung von traumatischen Erlebnissen zu unterstützen. 

Zu sehen, wie die Menschen sich nach einem Trauma erholen, gibt mir Kraft.

Zu sehen, dass meine Arbeit langfristig hilft, gibt mir immer wieder Kraft. Vor Kurzem erst hat sich ein Mitarbeiter des Krankenhauses in Kundus bei mir gemeldet: Um Bescheid zu geben, dass es dem Team nach der erneuten Machtübernahme durch die Taliban im August diesen Jahres gut geht.

Es zeigt sich in Kleinigkeiten, dass meine Arbeit Früchte trägt, dass Menschen dann mit besonders schwierigen Situationen besser umgehen können. Und dieses Wissen treibt mich in schwierigen Phasen an. Es ist immer wieder herausfordernd, aber schlussendlich dann auch umso befriedigender zu sehen, dass die eigene Arbeit, die Erfahrung und die Empathie, die man mitbringt, punktgenau unterstützen kann und den Menschen dabei hilft, sich selbst zu helfen.

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