Kommentar von Florian Schweitzer
07.05.2025
Florian Schweitzer war mit Ärzte ohne Grenzen im Tschad im Einsatz. Er erzählt, wie er als Finanzmanager dazu beigetragen hat, einen Noteinsatz auf stabile Beine zu stellen.

An einem Freitagmorgen Mitte Februar lande ich in Wien. Nach meinem sechsmonatigen Einsatz im Osten des Tschads fühle ich mich erschöpft und erfüllt. Erschöpft, weil ich in meiner Rolle als Finanzmanager für Ärzte ohne Grenzen alles mir Erdenkliche gegeben habe, um einen Notfalleinsatz in ein langfristiges Projekt umzustellen. Erfüllt, weil ich während meines Einsatzes dazu beigetragen habe, über 46.000 Menschen in einem Geflüchtetenlager langfristig zu unterstützen.

Zurück zum Anfang. Es ist Mitte August 2024, als ich meine Sachen packe und mich von meiner Familie und Freund:innen verabschiede. Mein Reiseziel ist das Geflüchtetenlager Aboutengue im Osten des Tschads, unweit der Grenze zum Sudan, wo wir seit der Eskalation des Sudankonflikts im Jahr 2023 im Einsatz sind.

Die Situation dort ist nicht einfach. Mehr als 46.000 Menschen leben auf engem Raum in Zelten oder einfachen Hütten, nachdem sie aufgrund des Konflikts im Nachbarland Sudan fliehen mussten. Neben Aboutengue (vormals Ourang) gibt es noch andere Geflüchtetenlager in der Region: wie zum Beispiel Metche und Adré, wo wir ebenfalls im Einsatz sind. Auch vor der aktuellen Krise waren wir von Ärzte ohne Grenzen seit Jahrzehnten im Tschad tätig, etwa um das ressourcenarme Gesundheitssystem bei Epidemien und Impfkampagnen zu unterstützen.

Notfalleinsatz ohne Pausen

Als ich ankomme, ist das Projekt noch ein Noteinsatz. Seit etwas mehr als einem Jahr arbeiteten fast 350 lokale Kolleg:innen zusammen mit 22 wechselnden internationalen Einsatzkräften  unermüdlich. Die meisten lokalen Kolleg:innen haben seit Einsatzbeginn keinen Urlaub genommen. Ruhetage gibt es selten. In einem Notfallprojekt mit solch großen und komplexen Anforderungen zählt jede Minute.

Der Kern unseres Einsatzes bildet ein Krankenhaus mit 65 Betten, das eine Intensivmedizin, Kinderstation, Neonatologie, Entbindungsstation und Innere Medizin beherbergt. Zusätzlich werden im Ambulatorium mehr als 1.500 Menschen pro Woche betreut.

Neben der medizinischen Versorgung kümmern wir uns auch noch um andere Themen. Beispielsweise haben wir drei Grundwasserquellen inklusive Wassernetzwerk errichtet, um das Lager mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Fast 950 Latrinen wurden im Lager gebaut und notwendige Hilfsgüter, wie zum Beispiel Seife, werden regelmäßig verteilt. Die tschadischen Dörfer in der unmittelbaren Umgebung unterstützen wir ebenfalls medizinisch sowie wassertechnisch.

Unsere Hilfe wird bleiben

Bei akuten Notsituationen, wie im Falle der plötzlichen Kriegseskalation im Sudan, beginnen die meisten unserer Einsätze als Notfallprojekte. Es gilt, die dringendsten Bedürfnisse der Menschen so schnell wie möglich zu decken. Geplant wird von Woche zu Woche. Das liegt auch daran, dass sich die Bedürfnisse der Menschen zu Beginn einer Krise schlagartig ändern können.

Zu Beginn des Noteinsatzes musste es schnell gehen. Das Krankenhaus wurde in Großzelten eingerichtet. Das Büro und die Schlafsäle der internationalen Einsatzkräfte bestehen größtenteils aus Holz und Plastikplanen.

Wenn eine Krise länger anhält und nach intensiver Analyse der Situation, beschließen wir oftmals Projekte langfristig zu unterstützen. Auch in Aboutengue ist eindeutig, dass unsere Hilfe für die Bevölkerung langfristig notwendig sein wird. Schrittweise soll unser Einsatz zwischen Mitte 2024 und Mitte 2025 zu einem regulären Projekt ausgebaut werden. Als Finanzmanager bin ich während meinem Einsatz in diesen Prozess maßgeblich involviert.

Der langfristige Plan

Zuallererst muss ein langfristiger Projektplan entwickelt werden: Dieser Plan deckt nicht nur die finanziellen und personellen Bedürfnisse für 2025 ab, sondern berücksichtigt auch etwaige Szenarien und Risiken der weiteren Jahre. Darin legen wir fest, dass wir noch drei weitere Grundwasserbrunnen errichten werden. So können wir die Versorgung mit sauberem Trinkwasser langfristig gewährleisten. Da einige Latrinen nicht mehr funktionstüchtig sind, müssen wir diese mit neuen ersetzen. Um Latrinen entleeren zu können, werden wir unweit vom Geflüchtetenlager eine Abwasserbehandlungsanlage bauen.

Um die medizinische Behandlung zu verbessern, investieren wir schrittweise in neue Geräte. Gleichzeitig stocken wir unsere Apotheke auf, auch um etwa chronische Erkrankungen wie Diabetes besser behandeln zu können. Wir bieten unseren Kolleg:innen unterschiedlichste Trainings an. So können wir medizinische Kompetenzen von Ärzt:innen, Pflegefachkräften und Hebammen erweitern. Wo möglich, nehmen sich unsere lokalen Kolleg:innen ihre langersehnten Urlaube.

Da die Zelte und temporären Bauten ausgedient haben, wollen wir schrittweise feste Gebäude errichten. Dafür müssen zuerst Maurer:innen, Schreiner:innen, Elektriker:innen und andere Handwerker:innen im Schnellverfahren ausgebildet werden. Um Ziegelsteine und andere Baumaterialien zu erhalten, arbeiten wir eng mit lokalen Händler:innen und Kleinstunternehmen zusammen. Obwohl wir während meines Einsatzes sehr zügig vorankommen, wird die Bauphase wohl erst Anfang 2026 abgeschlossen sein.

Perspektive für Aboutengue

Als Finanzmanager habe ich bei all diesen Entscheidungen mitgewirkt. Zuerst in unzähligen Diskussionsrunden, dann beim Verfassen von detaillierten Budgets und Projektplänen. Und dann mussten wir auch noch Verträge und Abkommen verfassen und deren Einhaltung kontrollieren. Außerdem haben wir auch interne Prozesse wie zum Beispiel unsere Buchhaltung an jene der anderen regulären Projekte angepasst.

Wie so oft bei unseren weltweiten Einsätzen habe auch ich nicht alles geschafft, was ich mir vorgenommen habe. So oder so bin ich zuversichtlich, dass unser Einsatz in Aboutengue noch viele Jahre bestehen wird - um Menschenleben zu retten und Geflüchteten aus dem Sudan eine langfristige Perspektive zu geben.