Kommentar von
28.05.2025
Der Steirer Franz Luef war sechs Wochen lang als Einsatzleiter im Gazastreifen. Während der monatelangen Blockade von Hilfsgütern hat er miterlebt, wie Menschen um jede Mahlzeit bangen, vor Angriffen fliehen und Krankenhäuser bombardiert werden.

Anfang April erreiche ich den Gazastreifen – mitten der längsten Blockade von Hilfsgütern. Schon bei meiner Ankunft ist die Lage dramatisch: Seit Wochen gibt es keine neuen Lieferungen von Lebensmitteln, Medikamenten oder Treibstoff. Noch reichen die Vorräte, aber ich fürchte mich bereits vor dem Moment, wenn sie ausgehen.

Mein Zuhause für die nächsten sechs Wochen ist unsere Unterkunft in Al Malawi. Früher war das eine humanitäre Zone. Der Ort galt als sicher. Doch seit die Angriffe wieder zunehmen, ist auch hier niemand mehr sicher. Auch rund um unsere Unterkunft gibt es immer wieder Luftangriffe.

Überleben im Ausnahmezustand

Al Mawasi liegt im südwestlichen Teil von Khan Yunis. Wir leben dort in einem kleinen Haus, das vor der Eskalation des Kriegs für Hochzeiten genutzt wurde. Eigentlich liegt das Land rundherum brach. Heute ist es überfüllt mit Zelten von Vertriebenen. Sie kommen aus dem Norden, Osten und Süden des Gazastreifens und hoffen, hier vor Angriffen sicher zu sein.

Am Weg zu meinem Arbeitsplatz, dem Nasser Krankenhaus in Khan Yunis, bahne ich mir einen Weg zwischen den notdürftigen Zelten und Plastikplanen durch. Manche Familien suchen auch in den Resten von zerstörten Häusern Schutz. Durch Bomben und Beschuss fehlen an den meisten Gebäuden Wände und Fassaden. Beim Vorbeigehen kann ich in ihre Wohnzimmer sehen. Und doch geben die Häuser ihnen zumindest ein wenig Schutz vor Witterung und Angriffen.

„Es gibt keinen sicheren Ort im Gazastreifen“

Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen sind nach dem humanitären Völkerrecht vor Angriffen geschützt. In diesem Krieg gibt es auch dort Schüsse und Luftangriffe.

Beinahe täglich verbreitet die israelische Regierung Aufrufe zur Evakuierung. Sie kündigt Angriffe an und fordert die Menschen auf, an sichere Orte zu fliehen. Doch diese sicheren Orte gibt es nicht mehr. Für die Bevölkerung bedeutet das: Es gibt kein Vor oder Zurück.

Eines Morgens erreicht mich erneut eine Evakuierungsaufforderung. Kurz danach wird die Meldung wieder zurückgenommen. Doch dann folgt trotzdem ein Angriff. Ein paar Stunden später gibt es die nächste Aufforderung. Egal, ob Evakuierungsbefehl oder nicht, die Angriffe finden jederzeit und überall statt.

Gesundheitseinrichtungen unter Beschuss

Das Nasser Krankenhaus ist das letzte funktionierende Spital im Süden des Gazastreifens. Wir unterstützen dort eine Geburtenstation, eine Kinderstation und die Neonatologie. Während meines Einsatzes wird das nahegelegene Europäische Gaza Krankenhaus bombardiert, schwer beschädigt und schließlich geschlossen. Wir nehmen die evakuierten Patient:innen auf – darunter zwei Kleinkinder, die wir auf unserer Station in Inkubatoren versorgen können.

Neben dem großen Krankenhaus haben wir auch drei Zentren für die primäre Gesundheitsversorgung. Diese Einrichtungen bestehen aus improvisierten Strukturen aus Plastikplanen und Wellblechplatten, geschützt von Sandsäcken. Die Sandsäcke halten bei Einschlägen in der Nähe Granatensplitter auf. So sind unsere Patient:innen und auch wir zumindest teilweise geschützt.

Immer wieder suchen Menschen die Nähe unserer Einrichtungen. Sie hoffen, dass sie in Krankenhäusern oder Kliniken nicht angegriffen werden. Nach einer Evakuierungsaufforderung scharen sich die Menschen um unser Fahrzeug.

Laut internationalem Völkerrecht müssen Krankenhäuser im Krieg geschützt werden. Trotzdem kommt es immer wieder zu Angriffen in der Nähe von unseren Gesundheitseinrichtungen oder sogar direkt auf Krankenhäuser. Weder unsere Einrichtungen noch unser Personal sind sicher. Elf meiner Kolleg:innen wurden bereits getötet.

Kein Essen, keine Medikamente, kein Strom

Über zwei Monate lang erreicht kein einziges Hilfsgut den Gazastreifen. Keine Lebensmittel, keine Medikamente und kein Treibstoff. Die Menschen rationieren, was sie noch haben. Viele essen nur einmal am Tag. Die Genesung unserer Patient:innen ist dadurch massiv erschwert.

Unsere medizinischen Teams sind sehr besorgt über die Lage. Die Zahl mangelernährter Kinder, Schwangerer und stillender Mütter steigt rapide. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass die Situation ganz schnell eskalieren kann. Wenn die Bevölkerung nicht bald ausreichend versorgt wird, kommt es zu einer Hungersnot mit gravierenden Auswirkungen.

Besonders grausam ist auch, dass viele wichtige Medikamente fehlen – wie etwa Schmerzmittel. Wir müssen Kinder mit Brandwunden behandeln und ihre abgestorbene Haut entfernen, ohne die Möglichkeit, ihre Schmerzen zu stillen. Das ist für die Kinder kaum auszuhalten. Und auch für uns sehr schwer. Wir brauchen dringend neue Lieferungen an Medikamenten und Hilfsgütern. Sonst können wir keine Menschen mehr versorgen.

Das gesamte Krankenhaus, auch die Intensivstation und die Inkubatoren für Neugeborene, werden nur über Generatoren betrieben, die Treibstoff brauchen. Es gibt keine andere Stromversorgung.

Gibt es keinen Treibstoff mehr, fallen die Generatoren aus. Das bedeutet dann das Ende des Krankenhauses.

Auch die Wasserversorgung ist von Generatoren abhängig. Meerwasser muss erst in speziellen Anlagen entsalzen werden. Einige dieser Anlagen wurden bereits zerstört und funktionieren nicht mehr. Sauberes Trinkwasser ist Mangelware. Und ohne sauberes Wasser können wir kein Krankenhaus betreiben, keine Patient:innen behandeln oder Operationen durchführen.

Wir erheben unsere Stimme

Wir versorgen nicht nur Menschen im Gazastreifen, wir berichten auch von Missständen, die wir mit eigenen Augen sehen: das Leid der Bevölkerung, die Angriffe auf Krankenhäuser und die Blockade von Hilfsgütern.

Nach sechs Wochen kann ich den Gazastreifen wieder verlassen, nachdem die israelischen Behörden meine Ausreise erst noch einmal nach hinten verschoben haben. Meine Kolleg:innen sind weiterhin vor Ort und leisten Hilfe. Mittlerweile durften 100 LKWs mit Hilfsgütern die Grenze überqueren. Deutlich weniger als die 500 LKWs, die vor Oktober 2023 täglich in den Gazastreifen durften. Viel zu wenig, um den Bedarf der Bevölkerung zu decken. Viel zu spät, um schreckliches Leid und Hunger zu verhindern. Aber noch kann die Situation für die Menschen im Gazastreifen verbessert werden.