Katastrophale Lebensbedingungen töten mehr Menschen als Gewalt

Ärzte ohne Grenzen fordert dringend und sofort massive Hilfsleistungen zur Bekämpfung der humanitären Not im Nordosten Nigerias.
28.09.2016
Nigeria-Ngala_19-20-September-2016
Silas Adamou Moussa/MSF
MSF teams provided food and medical care and are scaling up assistance.

Die humanitäre Not im Nordosten Nigerias hat mittlerweile katastrophale Ausmasse erreicht. Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) fordert dringend und sofort massive Hilfsleistungen in abgelegenen Gebieten wie auch in der Hauptstadt des Bundesstaates Borno.

Der andauernde Konflikt zwischen Boko Haram und dem nigerianischen Militär hat verheerende Auswirkungen auf die Lebensbedingungen im Bundesstaat Borno. In verschiedenen Gebieten sind Menschen in Städte oder Lager geflüchtet, die vom Militär kontrolliert werden. Dort sind die Vertriebenen vollkommen von externer Hilfe abhängig, die jedoch nicht bei ihnen ankommt. „Obwohl bereits vor drei Monaten ein Nahrungsmittelnotstand ausgerufen wurde, ist die Hilfe für die Menschen in Borno komplett gescheitert“, sagt Hugues Robert, Leiter der Noteinsätze von Ärzte ohne Grenzen. „Wir fordern nochmals einen massiven Hilfseinsatz, der unverzüglich starten muss.“

80.000 Vertriebene in Ngala von Aussenwelt abgeschnitten

Am 19. September 2016 haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen die Stadt Ngala erreicht, wo 80.000 Vertriebene in einem von der Aussenwelt abgeschnittenen Lager leben. Sie benötigen dringend Nahrung und medizinische Versorgung. Die Menschen sitzen in diesem Lager fest und können es nicht verlassen. Erste medizinische Untersuchungen von mehr als 2.000 Kindern unter fünf Jahren haben gezeigt, dass eines von zehn Kindern an lebensbedrohlicher Mangelernährung leidet. Die Menschen im Lager berichten, dass sie weniger als einen halben Liter Wasser pro Person und Tag zur Verfügung haben. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen stellten Nahrung und medizinische Versorgung sicher und erweitern nun die Unterstützung.

Untersuchungen im nahegelegenen Gambaru zufolge leidet hier eines von sieben Kindern an starker Mangelernährung. Den 123.000 Bewohnern der Stadt mangelt es an Grundnahrungsmitteln und sie haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, nachdem das einzige Spital in der Stadt niedergebrannt ist. Die Sicherheitslage auf den Strassen ist zu gefährlich, als dass die Menschen in einer anderen Stadt medizinische Hilfe suchen könnten.

Hauptursache für hohe Sterberate ist Hunger

Die desolate Situation von Ngala und Gamburu zeigt sich auch in Bama, Banki und Gwoza. Alle Städte waren wegen der unsicheren Lage bis vor kurzem nicht erreichbar und wurden nun von Ärzte ohne Grenzen mit Nahrung und medizinischer Hilfe versorgt.

Besonders beunruhigend ist die Situation auch in der Hauptstadt von Borno, Maiduguri, wo keine Kämpfe stattfinden und Hilfsorganisationen die Bevölkerung in den letzten zwei Jahren unterstützen konnten. An mehreren Orten in Maiduguri war die Rate an Mangelernährung dennoch so hoch wie in den Konfliktgebieten. In der Hauptstadt leben 2,5 Millionen Menschen, wovon mehr als die Hälfte Vertriebene aus anderen Gebieten des Staates Borno sind. Auch hier haben die Teams von Ärzte ohne Grenzen Kinder untersucht und herausgefunden, dass eines von fünf an schwerer Mangelernährung leidet. Die Sterberate ist fünfmal höher als jene Rate, die als Grenzwert für einen Notfall gilt. Die Hauptursache dafür ist Hunger.

Hilfe bislang unzureichend und unkoordiniert

„Bis jetzt ist die geleistete Hilfe völlig unzureichend, unkoordiniert und schlecht auf die Bedürfnisse der Menschen abgestimmt, die an den Folgen dieses Konfliktes leiden“, sagt Natalie Robert, Programmverantwortliche für Noteinsätze von Ärzte ohne Grenzen. „Um eine noch grössere humanitäre Katastrophe zu verhindern, müssen Nahrung und medizinische Hilfe sofort in abgelegene aber zugängliche Gebiete des Bundesstaates Borno gebracht werden. Die nigerianischen Behörden haben die Verantwortung, diese Hilfeleistungen für tausende Menschen sicherzustellen, die in unmittelbarer Lebensgefahr schweben.“

Ärzte ohne Grenzen leistet im Nordosten Nigerias seit 2014 medizinische Hilfe für Menschen, die durch die Gewalt vertrieben wurden. In anderen Teilen des Landes, wie Zamfar, Port Harcourt und Jahun, betreibt die Organisation weiterhin umfangreiche Projekte der Kinderheilkunde und Familienplanung und leistet Hilfe bei medizinischen Notfällen, wie Meningitis- und Masernausbrüchen.

2015 hat Ärzte ohne Grenzen über 33.500 ambulante Behandlungen durchgeführt, 18.100 Patienten und Patientinnen gegen Malaria behandelt, 9.200 Geburten betreut und 2.400 chirurgische Eingriffe durchgeführt.