
Wir sind alle erschüttert.
Der Österreicher Marcus Bachmann ist momentan stellvertretender Einsatzleiter in Malakal im Südsudan, wo wir ein Krankenhaus betreiben. Das dortige Lager zum Schutz der Zivilbevölkerung, eine UNO-Schutzzone, wurde vergangene Woche angegriffen – 19 Menschen starben, darunter auch zwei Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen. Im Einsatzblog berichtet aus erster Hand von vor Ort: “Der Umstand, dass bewaffnete Angreifer eine Schutzzone voller schutzsuchender Zivilisten angreifen kann, erschüttert uns alle.“
Es ist erschütternd. Ich bin erschüttert. „I keep working“, ich mache weiter, und es geht gut, weil ich ein gutes Team um mich habe. All das passiert natürlich, wenn mein Einsatzleiter auf Urlaub und ich für drei Wochen allein hier bin.
Ihr habt ja sicher schon von dem Angriff auf das „Protection of Civilians (PoC)“-Camp in Malakal gelesen – in einem Lager zum Schutz der Zivilbevölkerung. Praktisch alle Einsatzzentralen von Ärzte ohne Grenzen haben davon berichtet. Unsere Pressemitteilung wurde ja international groß aufgegriffen, wenn auch nicht so sehr in Österreich. Daher wollte ich euch kurz Bescheid geben und aus erster Hand von hier berichten.
Nun ist es also passiert, die größte anzunehmende Katastrophe: Zwei Kollegen aus dem Südsudan sind bei dem Angriff getötet worden. Ein weiterer wurde verletzt. Der Angriff begann am Mittwoch dem 17. Februar um 22:30 Uhr, unsere Kollegen waren “zu Hause” bei ihren Familien in den Notunterkünften im Vertriebenenlager. Zumindest einer unserer Kollegen, Abraham, wurde gezielt von den bewaffneten, mutmaßlich uniformierten Angreifern, die das Lager attackierten, getötet, als er versuchte, Schwerverletzte zu bergen und in unsere Notaufnahme zu tragen. Abraham, Leiter unserer Community-Aktivitäten, war schon lange bei uns, und als die Schießerei losging, versuchte er sofort, anderen beizustehen. Drei unserer Kollegen wurden Augenzeugen, wie er und andere, die Verletzten helfen wollten, oder die Brände, die die Soldaten legten, löschen wollten, gezielt erschossen wurden. Peter, ein Wachmann, wurde ebenfalls durch Schüsse getötet. Die genauen Umstände sind nicht bekannt.
Das Team in Malakal ist geschockt, Abraham und Emmanuel waren sehr geschätzte Kollegen, vor allem auch unter unseren einheimischen Mitarbeitern. 97% unserer südsudanesischen Kollegen hier in Malakal sind ja selbst Flüchtlinge, die im Lager leben. Der Umstand, dass bewaffnete Angreifer eine Schutzzone voller schutzsuchender Zivilisten angreifen kann, erschüttert uns alle.
Das Resultat ist erschütternd. In unserem Spital zählten wir in den ersten 24 Stunden 16 Tote, mit unseren zwei Kollegen sind es 19. Das ist die Zahl, die in den Medien kursiert. Ein weiterer Patient verlor zwei Tage später in unserem Krankenhaus sein Leben.
Unser Krankenhaus blieb als einzige medizinische Einrichtung intakt. Wir konnten selbst nicht glauben, dass nach unseren beiden kurzfristigen Evakuierungen – zweimal für je zwei Stunden – nicht alles abgebrannt und geplündert war. Nicht einmal die Apotheke war geplündert. Die Menschen hier scheinen auf “ihr” Spital aufzupassen. Alle anderen Gesundheitseinrichtungen von IMC (International Medical Corps) und IOM (International Organisation of Migration) wurden vollkommen zerstört.
Das Ausmaß der Zerstörung ist unfassbar, geschätzte 2/3 des Lagers sind abgebrannt bzw. zerstört:
In den ersten Nächten suchten über 40.000 Menschen Schutz in der logistischen Basis von UNMISS (United Nations Mission in South Sudan), wo sie sich ein wenig besser “geschützt” fühlten. Es ist so eng, dass Menschen dort nur sitzend Platz fanden.
Das Team in Malakal leistet einen unfassbar tollen Job, alle arbeiten unter unfassbaren Bedingungen. Nach 5 Tagen sind sie aber am Rande des Kollapses. Am Freitag musste ich das Team in Malakal auf das Notwendigste reduzieren. Mit unserem Ärzte ohne Grenzen-Helikopter flogen wir alle nicht essentiell wichtigen Teammitglieder aus. Zugleich musste ich das Team von Wau Shilluk, das auf der anderen Seite des Nils vis-à-vis von Malakal in einem nicht von der Regierung kontrollierten Gebiet liegt, evakuieren. Gott sei Dank haben mir die belgischen Kollegen von Ärzte ohne Grenzen ihr Flugzeug geborgt. Und zugleich haben wir in Kollaboration mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz sechs Schwerstverletzte ausgeflogen, damit sie operiert werden konnten. Alle haben überlebt, doch leider hat ein junger Mann sein Bein verloren.
Bisher haben nur der UN-Weltsicherheitsrat und die EU dazu gefordert, diesen Angriff als mögliches Kriegsverbrechen zu untersuchen.
Es scheint, dass ich allzu oft bei meinen Einsätzen nicht mit guten Nachrichten aufwarten kann. Es ist traurig, vor allem für unsere Kollegen, deren Heimatland das ist.
Liebe Grüße,
Marcus
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