„Aquarius“ muss Rettungseinsatz einstellen - Das Sterben am Mittelmeer geht weiter

Nach einer politischen Kampagne gegen die Rettung von Menschen am Mittelmeer ist das von Ärzte ohne Grenzen gemeinsam mit SOS Méditerranée betriebene Rettungsschiff „Aquarius“ nun gezwungen, seinen Einsatz einzustellen. Das Ende des Rettungseinsatzes der „Aquarius“ hat zur Folge, dass mehr Menschen ertrinken werden, ohne Hilfe und Zeugen.

07.12.2018
Aquarius: denouncing and activity
Maud Veith/SOS Méditeranée
Central Mediterranean – 23 September, 2018 – Over the past 72 hours, Aquarius assisted two boats in distress and now has more than 60 survivors on board, several of whom are psychologically distressed and fatigued from their journeys at sea and experiences in Libya. SOS Mediterrannee and MSF are reeling from the announcement by the Panama Maritime Authority it has been forced to revoke the registration of the Aquarius under blatant economic and political pressure from the Italian government. “Five years after the Lampedusa tragedy, when European leaders said ‘never again’ and Italy launched its first large scale search and rescue operation, people are still risking their lives to escape from Libya . News from the Panama Maritime Authority arrived to the Aquarius while its teams were engaged in an active search and rescue operation in the Central Mediterranean.

Nach einer konzertierten politischen Kampagne gegen die Rettung von Menschen am Mittelmeer, ist das von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) gemeinsam mit SOS Méditerranée betriebene Rettungsschiff „Aquarius“ nun gezwungen, seinen Einsatz einzustellen. Bereits während der vergangenen zwei Monate musste die „Aquarius“ im Hafen ausharren, während auf dem Mittelmeer – der gefährlichsten Fluchtroute der Welt – weiter Menschen starben. Das Ende des Rettungseinsatzes der „Aquarius“ hat zur Folge, dass mehr Menschen ertrinken werden, ohne Hilfe und Zeugen.

„Was wir in den vergangenen Monaten erlebt haben, war eine gezielte Kampagne gegen die Rettung von verzweifelten Menschen auf dem Mittelmeer, angeführt von Italien und unterstützt von anderen EU-Staaten wie Österreich. Dabei wurde nicht davor zurückgeschreckt, humanitäre Helfer und Helferinnen auf eine Stufe mit Kriminellen zu stellen und unbegründete Anschuldigungen über unsere Teams zu verbreiten, wie dies Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz gemacht hat“, betont Laura Leyser, Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich. Die Angriffe durch Politiker und Politikerinnen haben die Arbeit von Hilfsorganisationen nicht nur verleumdet, sondern auch effektiv behindert. Gepaart mit der kurzsichtigen Migrationspolitik der EU untergraben diese Angriffe internationales Recht und die humanitären Prinzipien. Die Folge davon ist, dass Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée keine andere Möglichkeit sehen, als die „Aquarius“ außer Betrieb zu nehmen.

Obwohl die „Aquarius“ in voller Übereinstimmung und Transparenz mit den Behörden zusammenarbeitete, wurde dem Schiff aus politischen Gründen im Laufe des Jahres zweimal die Registrierung entzogen und steht nun vor absurden Vorwürfen krimineller Aktivitäten. Im Zuge der Schmutzkampagnen und Angriffe auf das Völkerrecht wurde den auf hoher See geretteten Menschen der Zugang zu sicheren Häfen verweigert, die Unterstützung durch andere Schiffe abgelehnt. Dadurch saßen Frauen, Männer und Kinder oft wochenlang auf den Rettungsschiffen fest.

Tod der Menschen im Mittelmeer wird nicht mehr zur Kenntnis genommen

Leyser: „Was im Zuge der Debatten rund um das Thema Seenotrettung leider völlig verloren gegangen ist, ist die Menschlichkeit: die Hetze gegen Helfer hat zu einem Klima geführt, in dem unsere lebensrettende Hilfe am Mittelmeer effektiv blockiert wird – wofür letztlich Menschen mit ihrem Leben bezahlen. Denn: Das Sterben im Mittelmeer geht trotzdem weiter, der Tod der Menschen wird nur nicht mehr zur Kenntnis genommen. Es ist niemand mehr da, um das Leid zu dokumentieren, oder gar zu helfen. Wir fordern die EU-Staaten, und insbesondere den österreichischen EU-Ratsvorsitz daher eindringlich dazu auf, Menschenleben zu schützen und an humanen, nachhaltigen und rechtskonformen Lösungen zu arbeiten – statt weiterhin die Rückführung von Notleidenden in das Bürgerkriegsland Libyen zu unterstützen, wo sie willkürlicher Haft, Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt sind.“

Das erzwungene Einsatzende der „Aquarius“ kommt zu einem kritischen Zeitpunkt. Über 2.130 Menschen sind 2018 im Mittelmeer ertrunken. Der Großteil von ihnen ist von Libyen aus in See gestochen. Europäische Mitgliedsstaaten verstärken das Leiden der Menschen, indem sie der libyschen Küstenwache ermöglichten mehr und mehr Menschen –  eindeutig völkerrechtswidrig – in das Bürgerkriegsland Libyen zurückzuführen. Heuer wurden mehr als 14.000 Menschen abgefangen und nach Libyen zurückgebracht.

Das alles ist geschehen, obwohl Europa sich 2015 gegenüber dem UNO-Sicherheitsrat verpflichtet hat, im Mittelmeer gerettete Menschen nicht nach Libyen zurückzubringen. „Heute unterstützen dieselben europäischen Länder gewaltsame Rückführungen und präsentieren diese ihren Bürgern als Erfolge im Umgang mit Migration“, sagt Karline Kleijer, Notfallkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen. „Wir müssen ganz klar die Konsequenzen dieser angeblichen Erfolge aufzeigen: Das Fehlen lebensrettender Hilfe auf hoher See bedeutet, dass Kinder, Frauen und Männer zu willkürlicher Gefangenschaft gezwungen werden, ohne Hoffnung auf Schutz und Freilassung. Und es wurde ein Umfeld geschaffen, das alle Schiffe davon abhält, ihren Verpflichtungen zur Rettung der in Not geratenen Personen nachzukommen.“

Seit Beginn ihrer Such- und Rettungseinsätze im Februar 2016 hat die „Aquarius“ fast 30.000 Menschen aus internationalen Gewässern zwischen Libyen, Italien und Malta gerettet. Die „Aquarius“ hat den letzten Einsatz am 4. Oktober beendet, als das Schiff im Hafen von Marseille eingelaufen ist, nachdem das Team 58 Menschen gerettet hatte. Gemeinsam haben alle Such- und Rettungsschiffe von Ärzte ohne Grenzen, die bisher im Einsatz waren, seit 2015 über 80.000 Menschen in Seenot gerettet. Trotz der jüngsten Bemühungen anderer Organisationen gibt es heute keine echte Kapazitäten für private Seenotrettung im zentralen Mittelmeerraum.

„Wir weigern uns, tatenlos zuzusehen, wie Menschen am Mittelmeer sterben“, sagt Kleijer. „Solange die Menschen weiterhin auf See und in Libyen leiden, wird Ärzte ohne Grenzen nach Möglichkeiten suchen, sie medizinisch humanitär zu versorgen.“