Dem. Rep. Kongo / Republik Kongo: Mehr als 100.000 Menschen leben nach Flucht unter erschreckenden Bedingungen

08.01.2010
Interview mit Laurent Sury, stellvertretender Nothilfekoordinator von Ärzte ohne Grenzen in der Demokratischen Republik Kongo
Republik Kongo 2009: Vertriebene im Distrikt Bétou
MSF
Republik Kongo, 18.11.2009: Vertriebene im Distrikt Bétou

Im Oktober kam es in der Umgebung der Stadt Dongo im Nordwesten der Demokratischen Republik Kongo zu heftigen Kämpfen. Etwa 100.000 Menschen sind vor extremer Gewalt über die Grenzen in die benachbarte Republik Kongo und in die Zentralafrikanische Republik geflohen, oder leben als Vertriebene im eigenen Land. Die Menschen haben keinen Flüchtlingsstatus und die Lebensbedingungen sind erschreckend. Nur wenige bekommen Hilfe. Laurent Sury, stellvertretender Nothilfekoordinator, berichtet von der Lage vor Ort.

Die meisten der Zehntausenden Geflüchteten haben in der Republik Kongo und in der Zentralafrikanischen Republik Zuflucht gesucht. Wovor fliehen sie?

Ursprünglich gab es einen internen Konflikt über Fischereirechte nahe der Stadt Dongo in der Dem. Rep. Kongo. Einige Mitglieder der Gemeinde haben Ende Oktober andere Bewohner der Stadt angegriffen. Die Armee der Dem. Rep. Kongo hat daraufhin eine Offensive gestartet. Einige Bewohner wurden direkt angegriffen, andere haben sich entschieden, dass sie nicht in einer Region mit so hoher Militärpräsenz leben wollen. Wir haben das epidemiologische Forschungszentrum Epicentre gebeten, eine rückblickende Sterblichkeitsstudie für die Zeit vom 28. Oktober bis Mitte Dezember zu erstellen. Die Ergebnisse werden derzeit noch analysiert, sie zeigen aber bereits viele Todesfälle, die auf die Gewalt in Dongo zurückzuführen sind – mehr als die ursprünglich angenommen 147 von 200 Todesfällen. Die Studie wurde in dem Distrikt Bétou in der D.R. Kongo durchgeführt, in dem im November viele Vertriebenen angekommen sind. Es sind auch Menschen ertrunken, als sie versucht haben, durch den Fluss zu schwimmen. Außerdem gab es Todesfälle aufgrund von Krankheiten, aber nur wenige. Die militärische Intervention scheint fast vorbei zu sein, da die Armee Anfang Januar die letzte Region eingenommen hat – das Heimatdorf des Rebellenführers. Wir haben noch nicht viele Informationen über die Situation in Equatoria und über die Menschen, die vor der Gewalt nicht fliehen konnten. Es gibt derzeit etwa 60.000 Vertriebene in der Provinz Equatoria, 90.000 sind in die Republik Kongo und 15.000 in die Zentralafrikanischen Republik geflohen.

Könnte sich die Gewalt in die Flüchtlingslager in der Republik Kongo ausweiten?

Teams von Ärzte ohne Grenzen arbeiten in vielen Orten entlang des Flusses Ubangi, vom Ort Mongoumba im Süden der Zentralafrikanischen Republik bis zum Ort Impfondo in der Republik Kongo. Wir haben keine spezielle Gewalt beobachtet. Unter den Flüchtlingen sind auch Mitglieder der Miliz. Es gab ein paar Kämpfe, aber nichts Gravierendes. Die Menschen haben unseren Mitarbeitern erzählt, dass sie sich jetzt in der Republik Kongo relativ sicher fühlen und nicht nach Equatoria zurückkehren wollen, weil sie nicht glauben, dass sie dort sicher wären. Einige haben nicht nur vor den Rebellen Angst – sie wurden von ihren Nachbarn brutal angegriffen. Sie haben noch immer große Angst. Sie haben keinen Flüchtlingsstatus, der sie beschützt und können daher gezwungen werden, zurückzukehren.

Die Hilfe kommt nur langsam an und die, die ankam, war schnell von den Zehntausenden ankommenden Menschen aufgebraucht. Wie sind derzeit die Lebensbedingungen?

Die Umweltbedingungen sind relativ gut. Der Wald und der Fluss decken die grundlegenden Bedürfnisse. Die meisten Vertriebenen haben noch keinen Zugang zu Trinkwasser und sind vom Flusswasser abhängig. Sie halten sich in kleinen Gruppen entlang des Flusses auf, der auch die Grenze zwischen der D.R. Kongo und der Republik Kongo ist. Ihre Heimatdörfer sind nur ein paar Kilometer entfernt auf der anderen Seite des Flusses. Einige sind bei Gastfamilien oder in öffentlichen Gebäuden untergekommen. Andere haben sich aus den Materialien, die sie finden konnten, Unterkünfte gebaut und andere schlafen unter freiem Himmel. Unsere Teams werden für 3.000 Familien, die bisher noch keine Hilfe bekommen haben, Plastikplanen und Mosquitonetze verteilen. Ihre Lage ist sehr unterschiedlich. Einige konnten sich vor der Flucht vorbereiten, andere mussten fliehen, ohne etwas mitnehmen zu können. Die Bedürfnisse werden nicht gedeckt, die Vereinten Nationen (UN) kümmern sich jetzt aber um die Menschen. Hilfslieferungen sind schwierig, da lange Strecken mit dem Kanu zurückgelegt werden müssen, um ein paar Hundert Menschen zu erreichen. Um Zeit und Geld zu sparen, sind die Teams von Ärzte ohne Grenzen, die normalerweise mobil arbeiten, jetzt an bestimmten Orten stationiert.

Was tut Ärzte ohne Grenzen für die Flüchtlinge?

Wir haben unsere Aktivitäten gemäß den ankommenden Flüchtlingen ausgeweitet. Das derzeitige Programm ist ziemlich umfassend. Die Flüchtlinge hatten nur begrenzten Zugang zu medizinischer Hilfe, einerseits weil es nur wenige Gesundheitseinrichtungen gibt, aber auch weil sie kostenpflichtig ist. Unsere Priorität war ursprünglich die medizinische Hilfe im Distrikt Bétou, in dem wir nun in fünf Orten arbeiten, zusätzlich zu der Unterstützung des Krankenhaus, in dem wir Nothilfe, Chirurgie und Kinderpflege anbieten. Ende November haben wir nach der Ankunft neuer Flüchtlinge die Lage südlich in Richtung Dongo und Impfondo untersucht. Aufgrund der Ergebnisse haben wir in weiteren sechs Orten Behandlungen angeboten und das Gesundheitszentrum in Dongo und das Krankenhaus in Impfondo unterstützt. Im Dezember hat die Zahl der Flüchtlinge in der Zentralafrikanischen Republik zugenommen und auch dort haben wir die Aktivitäten ausgeweitet. Anfang Januar haben wir im Ort Mongomba erste medizinische Behandlungen durchgeführt. Im Durchschnitt kamen 100 Patienten pro Tag. Die meisten Krankheiten waren Atemwegsinfektionen, Durchfall und Malaria. Die Behandlung ist für die Flüchtlinge aber auch für die Einheimischen bei Ärzte ohne Grenzen kostenlos. Ein anderes Team arbeitet im Moment in den Städten Bomboma und Bokonzi in der Provinz Equatoria in der D.R. Kongo. Dort halten sich geschätzte 30.000 Vertriebene auf.