Guinea-Bissau: „Einfacher Durchfall kann für ein Kind bereits tödlich enden.“

16.06.2015
In Guinea-Bissau sterben 116 von 1.000 Kindern – Ärzte ohne Grenzen startete daher im November 2014 ein pädiatrisches Hilfsprogramm in der Region Bafata: Interview mit dem medizinischen Koordinator Isabel Grovas.

Themengebiet:

Guinea-Bissau. New healthcare project for children in Bafata
Ramón Pereiro/MSF
Bafata, Guinea-Bissau, 17.04.2015: Ärzte ohne Grenzen startete ein pädiatrisches Projekt in der Region Bafata, um die hohe Kindersterblichkeit im Land zu senken. Unsere Teams arbeiten in der Kinderstation des Referenzspitals in Bafata, in dessen Einzugsgebiet 180.000 Menschen leben, sowie in mehreren Gesundheitszentren der Region.

In Guinea-Bissau sterben 116 von 1.000 Kindern – der westafrikanische Staat ist somit unter den zehn Ländern weltweit mit der höchsten Mütter- und Kindersterblichkeit. Ärzte ohne Grenzen startete daher im November 2014 ein pädiatrisches Hilfsprogramm in der Region Bafata. Unser medizinischer Koordinator Isabel Grovas war für die Eröffnung zuständig und erzählt im folgenden Interview, wie sich die Arbeit bisher entwickelt hat.

Wie kam es zum Start des Gesundheitsprojekts für Kinder in Guinea-Bissau?

Erstens sind die Kindersterblichkeitsraten alarmierend – ganz abgesehen davon, dass viele Todesfälle gar nicht erst registriert werden. Denn viele Kinder erreichen überhaupt keine Gesundheitseinrichtungen, sondern sterben Zuhause. Außerdem leidet das Gesundheitssystem in Guinea-Bissau unter massiven Defiziten: Man muss für Gesundheitsleistungen einen hohen Preis zahlen, es gibt oft keine Medikamente und es fehlen auch qualifizierte medizinische Fachkräfte.

Sie müssen sich das so vorstellen: Als unser erster Kinderarzt in Guinea-Bissau ankam, wussten wir nur von einem einzigen weiteren Pädiater im gesamten Land! Mittlerweile haben wir herausgefunden, dass es noch ein paar mehr gibt, aber es sind immer noch viel zu wenige, um all den Bedarf zu decken. Unter diesen Umständen mit einem so schwachen Gesundheitssystem hat eine kostenlose, qualitativ hochwertige medizinische Versorgung, wie wir sie anbieten, enorme Auswirkungen auf die Gesundheit von Müttern und ihren Kindern.

Wie ist die allgemeine Gesundheitslage im Land?

Guinea-Bissau erlitt im Jahr 2012 einen Staatstreich, der den Gesundheitszustand der Menschen im Land deutlich verschlechtert hat. Auch wenn es nun seit Mai 2014 eine legitimierte Regierung gibt, waren die vergangenen Jahre sehr schwer: Gesundheitseinrichtungen, die ohnehin schon in einer sehr prekären Situation waren, sind sämtliche Ressourcen und Mittel ausgegangen. Es ist in manchen Fällen bereits Monate her, seit medizinische Fachkräfte ihre Gehälter bekommen haben, was sich natürlich auf ihre Motivation und die Leistungen, die sie anbieten können, auswirkt.

Dazu kommt noch der Mangel an internationaler Hilfe, nachdem viele große Geldgeber ihre finanziellen Aufwendungen aufgrund der politischen Instabilität einstellten. Zusätzlich haben die schlechten Ernten der vergangenen zwei Jahre die Menschen dazu gezwungen, ihre Erträge zu einem viel niedrigeren Preis als noch in den vorhergehenden Jahren zu verkaufen. Der Großteil der Bevölkerung hat nicht mehr genügend finanzielle Ressourcen – was einem Kontext wie hier, wo man für medizinische Leistungen bezahlen muss, bedeutet: Kein Geld, keine Gesundheit.

Was sind die Hauptbedürfnisse der Kinder?

Viele Mütter suchen mit ihren kranken Kindern keine medizinischen Einrichtungen auf. In Anbetracht eines dermaßen schwachen Gesundheitssystems ist jedes kranke Kind mit großen Schwierigkeiten konfrontiert, egal wie leicht man die Erkrankung vielleicht behandeln könnte: weite Strecken bis zur nächsten Einrichtung, kaum ausgebildetes Fachpersonal, ein Mangel an Medikamenten, unklare Diagnosen und hohe Kosten für medizinische Betreuung. Das alles bedeutet, dass ein einfacher Durchfall für ein Kind in Guinea-Bissau tödlich enden kann.

Wie arbeitet Ärzte ohne Grenzen in Guinea-Bissau?

Wir müssen mehrere Aspekte berücksichtigen, um effiziente und effektive Hilfe für Kinder anbieten zu können. Erstens müssen wir intensiv mit den Gemeinden zusammenarbeiten, mit den Familien und Müttern, und in ihnen wieder Vertrauen in das öffentliche Gesundheitssystem wecken, damit sie ihre Kinder auch ärztlich betreuen lassen. Wir bieten kostenlose, qualitativ hochwertige medizinische Betreuung an, und das ist für sie eine große Veränderung. Wir stellen auch sicher, dass Mütter darin ausgebildet werden, wie sie schwere Krankheitsfälle frühzeitig erkennen und ihre Kinder so rechtzeitig zu einem Gesundheitszentrum bringen können.

Dann gibt es noch Familien, die in Gebieten weit weg von jeglichen medizinischen Einrichtungen leben. Eine sehr wichtige Rolle spielen hier „Community Health Agents“, also Gemeindegesundheitsbeauftragte, die medizinische Versorgung direkt zu einem Kind nach Hause bringen. Wir bilden mehr als 200 solcher Beauftragter aus, die in jene Regionen reisen werden, die am weitesten Weg von der Hauptstadt Bafata liegen.

Drittens verstärken wir unsere technische Unterstützung des primären Gesundheitssystems mit medizinischer Ausrüstung und Weiterbildungen für Fachkräfte. So sollen die Kapazitäten für Diagnose und Behandlungen ausgebaut werden. Wir stellen auch spezialisierte Unterstützung auf der Sekundärstufe bereit, zum Beispiel in der Kinderstation des Krankenhauses. Das hat zur Folge, dass die schwersten Fälle in das Spital überstellt und dort richtig behandelt werden können. All diese Aktivitäten finden statt, während wir eine kostenlose Betreuung und ein funktionsfähiges Überweisungssystem bereitstellen.

Wie hat sich die Gefahr der Ebola-Epidemie ausgewirkt?

Während wir das Projekt im November 2014 eröffneten, wütete die Ebola-Epidemie gerade in mehreren Ländern der Region. Daher konzentrierten wir einen großen Teil unserer Arbeit gemeinsam mit dem technischen Komitee des Landes auf die Bereitschaft und die Vorbeugung einer Epidemie. Der Mangel an Wissen über Ebola in der Region und die noch dazu eingeschränkten Kapazitäten des öffentlichen Gesundheitssystems hatten zur Folge, dass eine Früherkennung der ersten Fälle schlichtweg nicht möglich gewesen wäre. Doch glücklicherweise sind bis heute im Land keine Ebola-Fälle aufgetreten.

Wie haben die lokalen Behörden und die Bevölkerung auf das Projekt reagiert?

Ärzte ohne Grenzen wird von der Bevölkerung und den Gesundheitsbehörden sehr positiv wahrgenommen, es gibt eine große Akzeptanz unserer Arbeit. Wir bieten kostenlose, qualitative Gesundheitsversorgung an; das ist für alle ganz neu und sie reagieren daher auch sehr gut. Die Nachricht hat sich im Gebiet, wo wir aktiv sind, rasch verbreitet – mehr und mehr Mütter bringen ihre Kinder zu ärztlichen Untersuchungen. Die Zahlen sprechen für sich: Während im Februar 2014 nur zehn Kinder zu einer Untersuchung nach Bafata kamen, waren es im selben Monat des Jahres 2015 bereits 100.

Ärzte ohne Grenzen war erstmals 1998 in Guinea-Bissau aktiv und arbeitete seitdem immer wieder mit Unterbrechungen im Land. Im Laufe der vergangenen zwei Jahrzehnte reagierte die Organisation auf Krankheitsausbrüche wie Cholera, Meningitis oder Masern, versorgte Gewaltopfer und unterstützte Vertriebene. Im November 2014 begann Ärzte ohne Grenzen die Arbeit in der pädiatrischen Abteilung des Regionalkrankenhauses in Bafata sowie in Gesundheitszentren in Tantan Cossé und Contuboel.