Stoppt EU-Verhandlungen hinter verschlossenen Türen und industriefreundliche Verträge

08.11.2010
Zugang zu bezahlbaren Medikamenten gefährdet
Europa! Hände weg von unseren Medikamenten
06.10.2010

Brüssel/Wien, 8. November 2010. Angesichts der heute in Brüssel wiederaufgenommenen dreitägigen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Indien ruft die humanitäre medizinische Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen in einem offenen Brief die Verhandlungsführer der EU auf, jegliche Maßnahmen zu unterlassen, die den Zugang zu bezahlbaren generischen Medikamenten aus Indien einschränken würden. Der Brief wird heute in Brüssel im Rahmen einer Protestaktion vor dem Verhandlungsort übergeben.

„Der europäische Handelskommissar Karel De Gucht versucht der europäischen Pharmaindustrie eine Hintertür zu lukrativen Monopolen zu öffnen, die zu hohen Medikamentenpreisen führen. Dadurch werden lebensnotwendige Medikamente für Patienten in ärmeren Ländern unerschwinglich”, sagte Dr. Tido von Schoen-Angerer, internationaler Direktor der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen. „Das indische Gesetz regelt schon heute den Patentschutz. Europa versucht nun durch rechtliche Tricks deutliche stärkere Restriktionen für die Generikaproduktion durchzusetzen.“

Europa drängt darauf, eine sogenannte Datenexklusivität im Abkommen festzuschreiben, die den Markteintritt generischer Medikamente um bis zu zehn Jahre verzögern würde. Diese Datenexklusivität blockiert das von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Verfahren, bereits bestehende klinische Studien von identischen Produkten für die Zulassung von Generika zu nutzen. Als Indien beispielsweise im Jahr 2008 das Patent für die Sirup-Form des Aids-Medikaments Nevirapin für Kinder zurückwies, konnten sich die Generikahersteller sicher sein, eine preisgünstigere Alternative produzieren und verkaufen zu können. Hätte die Datenexklusivität bereits zu diesem Zeitpunkt in dem von Europa jetzt geforderten Umfang bestanden, hätten die Produzenten mit dem Verkauf der Medikamente bis zu zehn Jahre warten müssen.

„Unsere medizinischen Programme sind auf eine konstante Versorgung mit preisgünstigen Medikamenten angewiesen. Für Menschen, die an HIV/Aids leiden, sind diese Medikamente überlebenswichtig und eine zehnjährige Wartezeit auf neue Arzneien ist unmöglich. Sie würden die Wartezeit nicht überleben“, erklärte die Österreicherin Ariane Bauernfeind, Projektkoordinatorin von Ärzte ohne Grenzen für Südafrika, Malawi, Lesotho und Simbabwe. „Ohne eine Behandlung erleben die Hälfte der Kinder, die mit HIV/Aids geboren werden, ihren zweiten Geburtstag nicht.“

„Bisher wird das EU-Abkommen schön geredet und unsere Bedenken werden in keiner Weise Ernst genommen. Ärzte ohne Grenzen fordert Handelskommissar De Gucht auf, die Auswirkungen auf Patienten in ärmeren Ländern endlich zuzugeben“, sagte Oliver Moldenhauer, Koordinator der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland heute bei der Übergabe des offenen Briefes in Brüssel.

Indien gilt als „Apotheke der Armen“, da dort bezahlbare Versionen von Medikamenten produziert werden. Mehr als 80 Prozent der Medikamente, die Ärzte ohne Grenzen für die Behandlung von mehr als 160.000 HIV-Infizierten weltweit einsetzt, werden von indischen Produzenten.