06.05.2025
Wegen extremer Gewalt und hohen Verletztenzahlen infolge koordinierter Angriffe bewaffneter Gruppen in Port-au-Prince könnte das von Ärzte ohne Grenzen betriebene Trauma-Krankenhaus in Tabarre an seine Kapazitätsgrenzen stoßen.

Dies würde den Zugang der Einwohner:innen von Port-au-Prince zu medizinischer und insbesondere chirurgischer Versorgung erheblich einschränken. Die Trauma-Klinik ist eine der letzten in der Hauptstadt.  

„Die Zahl der Schwerverletzten ist in den vergangenen vier Wochen stetig gestiegen. Fast 40 Prozent davon sind Frauen und Kinder“, sagte Seybou Diarra, Koordinator des Krankenhauses von Ärzte ohne Grenzen in Tabarre. „Wir sind bereits überlastet und können nicht noch weitere Wände einziehen. Wir richten jetzt Krankenzimmer in Besprechungsräumen ein. Die medizinischen Teams sind erschöpft, die Zunahme der Gewalt rund um die medizinische Einrichtung erschwert unserer Aktivitäten. Wir befinden uns in der Nähe von Gebieten, die regelmäßig angegriffen werden, es besteht ein hohes Risiko für Querschläger.“ 

Das Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in Tabarre, dessen Kapazitäten bereits um die Hälfte erhöht worden sind, steht unter großem Druck: Bereits seit Februar ist die Lage angespannt und das Krankenhaus aufgrund der steigenden Zahl schwerverletzter Menschen stark überlastet. Obwohl offiziell 50 Betten für Verletzte zur Verfügung stehen, werden regelmäßig mehr als 70 Patient:innen aufgenommen. Bei einer Auslastung von mehr als 75 Patient:innen ist es praktisch unmöglich, neue Fälle anzunehmen.  

Haiti, das seit Jahren unter politischer Instabilität und einer angespannten humanitären Lage leidet, erlebt seit Mitte Februar einen erneuten Anstieg der Gewalt. Bewaffnete Gruppen haben sich zu einer Koalition zusammengeschlossen und versuchen, ihre Kontrolle über Port-au-Prince auszuweiten. Stadtteile, die bislang außerhalb ihrer Kontrolle waren, geraten durch die verschärften Kämpfe immer weiter unter Druck.  

Laut dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) sind mehr als 60 Prozent der Gesundheitseinrichtungen in Port-au-Prince geschlossen oder nicht funktionsfähig. Die noch geöffneten Einrichtungen leiden unterdessen unter einem gravierenden Mangel an Personal, Ausrüstung und spezialisierten Dienstleistungen. Innerhalb nur eines Monats ist die Zahl der Krankenhäuser, die Traumapatient:innen behandeln können, von vier auf zwei gesunken. 

Das Universitätskrankenhaus Mirebalais, eines der letzten Krankenhäuser, das Traumapatient:innen versorgen konnte, stellte am 23. April aufgrund der unsicheren Lage den Betrieb ein. Ärzte ohne Grenzen musste nach einem Sicherheitsvorfall im März ebenfalls die Aktivitäten im Traumazentrum in Carrefour beenden. Und die Einrichtung Hôpital Universitaire de la Paix, die noch geöffnet ist, ist überlastet.  

„Für Haitianer:innen wird der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen immer schwieriger.  Und für all diejenigen, die verletzt sind und eine Traumaversorgung benötigen, ist es fast unmöglich geworden, medizinische Versorgung zu erhalten“, erklärt Diarra. „Wenn sich die Lage nicht beruhigt, befürchte ich, dass viele Verwundete sterben werden, weil sie nicht behandelt werden.“  

Ärzte ohne Grenzen fordert den Schutz der Zivilbevölkerung und die Achtung von Gesundheitseinrichtungen in Kampfgebieten. 

Seit mehr als 30 Jahren leistet Ärzte ohne Grenzen medizinische Nothilfe für die Bevölkerung in Haiti. Im Jahr 2024 führten die Teams mehr als 72.000 Konsultationen durch und behandelten 31.500 Notfälle. Die Teams der Organisation zählten 7.400 chirurgische Eingriffe und 1.300 Geburten. Ärzte ohne Grenzen ist in den am stärksten gefährdeten Gebieten von Port-au-Prince aktiv und auch darüber hinaus präsent, um lebenswichtige Hilfe zu leisteninsbesondere in den Bereichen Traumaversorgung, Müttergesundheit, sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie Unterstützung für Überlebende sexualisierter Gewalt. 

Werner Reiter | Ärzte ohne Grenzen

Werner Reiter

Press Officer