24.06.2025
Während sich die internationale Aufmerksamkeit auf den Konflikt zwischen Israel und dem Iran richtet, haben israelische Streitkräfte ihre Einsätze im Westjordanland ausgeweitet. Für die palästinensische Bevölkerung wird der Zugang zu medizinischer Versorgung und grundlegenden Diensten zunehmend schwieriger.

In den Bezirken Dschenin, Nablus und Tulkarem kommt es aktuell vermehrt zu Militäroperationen und Truppenverstärkungen. Ärzte ohne Grenzen warnt, dass sich damit die seit Oktober 2023 ohnehin angespannte Situation für Palästinenser:innen im Westjordanland weiter zuspitzt.

Die medizinische Hilfsorganisation fordert ein sofortiges Ende aller Maßnahmen, die zu Zwangsvertreibungen und einem System, das einer Annexion gleichkommt, führen – dazu zählen der langfristige Militäreinsatz, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Zerstörung von Häusern, exzessive Anwendung von Gewalt sowie Verweigerung des Zugangs zu grundlegender Versorgung.

„Am 13. Juni haben israelische Militärangehörige mein Dorf in Tulkarem gestürmt. Sie haben zwei Wohnhäuser besetzt und in Militärposten umfunktioniert. Die Bewohner:innen wurden vertrieben. Seither patrouillieren sie regelmäßig im Ort, führen Befragungen, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Verhöre durch.“
Karim*, Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen

„In der vergangenen Woche wurde das Leben der Menschen im Westjordanland noch stärker als bisher von einer Besatzungsmacht bestimmt – während der Rest der Welt wegschaut. So kann es nicht weitergehen!“
Simona Onidi, Projektkoordinatorin für Dschenin und Tulkarem bei Ärzte ohne Grenzen

Am 13. Juni, am Tag der Eskalation im Westjordanland, sperrten die israelischen Behörden sämtliche großen Checkpoints und Zufahrten nach Hebron für vier Tage. Dadurch mussten Menschen, die medizinische Hilfe benötigten, lange Strecken zu Fuß zurücklegen – mit dem Risiko, beschossen zu werden oder gar nicht durchgelassen zu werden.

„Am 14. Juni wollte ich meinen Bruder von Bethlehem zu einem Arzttermin nach Hebron bringen – normalerweise dauert das höchstens 25 Minuten. Doch durch die neuen israelischen Sperren waren alle Hauptzufahrten blockiert. Wir waren drei Stunden unterwegs, und schlussendlich musste mein Bruder – obwohl er schwer krank war – zu Fuß durch einen geschlossenen Checkpoint gehen, so wie viele andere auch. Das ist brandgefährlich.“
Oday Al-Shobaki, Mitarbeiter im Bereich Kommunikation bei Ärzte ohne Grenzen

Wegen der Sperren an Checkpoints und der wachsenden Sicherheitsrisiken durch die Militäreinsätze musste Ärzte ohne Grenzen die Tätigkeit in mobilen Kliniken in Hebron und Nablus vorübergehend einstellen – damit fallen wichtige Angebote im Bereich der psychischen Betreuung, der sexuellen und reproduktiven Gesundheitsversorgung und der Basisversorgung weg. In Dschenin und Tulkarem mussten die mobilen Teams ihre Arbeitszeiten immer wieder anpassen. An manchen Tagen konnten sie vor Ort tätig sein, an anderen war das nicht möglich – je nachdem, ob israelische Militäreinheiten in den umliegenden Dörfern stationiert waren. Viele Patient:innen können derzeit nur telefonische Beratungen nutzen.

Seit Jahren finden im Westjordanland Militäroperationen und gewaltsame Hausdurchsuchungen durch das israelische Militär statt. Bereits 2022 erreichte die Zahl der Todesopfer unter Palästinenser:innen durch Gewalt israelischer Militärangehöriger oder Siedler:innen einen traurigen Höchststand. Seit Oktober 2023 haben die israelischen Behörden die repressiven Maßnahmen deutlich verschärft: Bewegungseinschränkungen, systematische Gewaltanwendung und gezielte Behinderung des Zugangs zu grundlegenden Diensten bestimmen zunehmend das Leben der Menschen.

Im Jänner 2025 startete das israelische Militär die Operation „Iron Wall“ im Norden des Westjordanlands – diese ist nach wie vor im Gange. Geflüchtetenlager wurden gewaltsam geräumt und mehr als 42.000 Menschen wurden zwangsweise vertrieben. Sie leben seither ohne feste Unterkunft, mit nur eingeschränktem Zugang zu Lebensmitteln, Wasser und medizinischer Versorgung.

„Diese neue Welle von Gewalt und Restriktionen in den letzten Tagen scheint eine Gelegenheit für das israelische Militär zu sein, die Kontrolle weiter auszubauen, palästinensische Gemeinden noch stärker zu zersplittern und ein System zu festigen, das laut Internationalem Gerichtshof einer rassistischen Trennung und Apartheid gleichkommt. Wir fordern die internationale Staatengemeinschaft auf, nicht bei bloßen Verurteilungen stehenzubleiben, sondern echten Druck auf die israelischen Behörden auszuüben: für ein Ende der exzessiven Gewalt und der Einschränkungen, die den Zugang zu medizinischer und humanitärer Hilfe blockieren. Gleichzeitig braucht es dringend mehr Unterstützung für vertriebene und isolierte Gemeinschaften im Westjordanland.“
Simona Onidi, Projektkoordinatorin für Dschenin und Tulkarem bei Ärzte ohne Grenzen

* Name geändert.

Werner Reiter | Ärzte ohne Grenzen

Werner Reiter

Press Officer