„Ich heiße Mahmoud!“ - Psychologische Hilfe in Jordanien

Kommentar von Raimund Alber
10.03.2017
„Ich heiße Mahmoud!“ - Psychologische Hilfe in Jordanien

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„Ich bin 10 Jahre alt. Meine Eltern sind oft böse auf mich, weil ich nachts ins Bett mache. Nicht jede Nacht. Aber oft. Ich weiß nicht warum ich das mache. Das passiert einfach. Ich habe oft Angst und ich träume viel. Dann wache ich auf und alles ist nass. Das erste Mal war das, nach dem ich etwas Schlimmes gesehen habe. Das ist schon lange her. Vier oder fünf Jahre. Da habe ich in einem kleinen Dorf gewohnt. Nicht weit weg von hier. Und das war sehr schön dort. Ich habe immer mit meinen Freunden gespielt. Wir sind zum Nachbarn gegangen. Der hatte einen Bauernhof, mit Schafen. Und einen roten Traktor. Und Olivenbäume. Und da haben wir uns versteckt.

Raimund Alber/MSF
Zeichnung eines Traums des zehnjährigen Mahmoud mit Posttraumatischer Belastungsstörung.

Und dann sind die Soldaten gekommen

Und ein Soldat hat dann … er hat auf meinen Nachbarn geschossen. Aber der hat gar nichts Böses gemacht?! Und ich habe gesehen, wie er umgefallen ist. Dann war er tot. Da habe ich große Angst gehabt, und bin nach Hause gelaufen. Meine Mama hat viel geweint, und mein Vater war böse und hat viel geschrien. Die Soldaten sind dann gekommen und haben meinen Vater mitgenommen. Und wir alle hatten große Angst. Er ist dann aber wieder nach Hause gekommen. Aber er hat anders ausgehen, weil ihn die Soldaten verprügelt haben.

Wir haben schnell alles gepackt und dann sind wir losgefahren. Und dann waren wieder Soldaten auf der Straße, aber die haben nichts gemacht. Und meine Mama hat dann gesagt, dass wir jetzt in Sicherheit sind. Aber da wo wir jetzt wohnen ist es nicht so schön wie zu Hause. Es ist sehr eng und alle meine 5 Geschwister und ich schlafen in einem Zimmer. Mein Vater ist immer zu Hause. Nur manchmal geht er arbeiten, kommt dann aber böse zurück. Er sagt, dass er nicht genug Geld verdient. Und einmal im Monat fährt er nach Irbid zu einer Bank und muss ganz lange warten, um Geld zu bekommen.

Wir gehören hier nicht her

Manchmal bekommen wir etwas zu Essen und Geschenke von den Nachbarn. Die sind sehr nett. Aber die anderen Nachbarn sind nicht so nett. Die sagen, dass wir hier nicht hergehören. Und auch in der Schule hat es früher oft Streit gegeben. Immer zwischen den neuen Kindern von drüben, und den Kindern, die von hier sind. Jetzt gehen die Kinder von hier am Vormittag in die Schule, und die neuen Kinder am Nachmittag und auch am Samstag. Wenigstens gibt es jetzt weniger Ärger in der Schule. Aber am Nachmittag sind die Lehrer oft müde. Und nach der Schule warten die Nachbarskinder manchmal und verprügeln mich, wenn ich nach Hause komme. Und wenn ich das meinem Vater erzähle, wird er auch wütend. Und manchmal schlägt er mich, weil er will, dass ich mich wehre. Ich erzähle es ihm einfach nicht mehr.

Ich bin auch oft wütend und schlage meine junge Schwester. Manchmal einfach so. Ich habe Angst schlafen zu gehen. Dann träume ich wieder. Ich sehe oft den Soldaten und den Nachbarn. Manchmal träume ich, dass der Soldat auf mich schießt. Und dann wache ich auf. Aber ich versuche leise zu sein. Weil, wenn ich schreie, dann kommt mein Vater und hält meine Hand über die Flamme des Gasherdes.

Manchmal legen meine Freunde und ich Steine auf die Straße, damit wir Tore haben. Ich bin einer der schnellsten. Und ich schieße auch viele Tore. Ich liebe Fußball. Dann vergesse ich wo ich bin. Dann vergesse ich, was ich gesehen habe.“

Raimund Alber/MSF

Das Patientenmanagement ist besonders komplex

In unserer PHC (Primary-Health-Care) Klinik in Turra behandeln wir Kinder, die unter PTBS (Post-traumatischer Belastungsstörung) leiden. Doch wie die Geschichte von Mahmoud zeigt, ist die Therapie unserer jüngsten Patienten, als die schwächsten und verletzlichsten Wesen einer Gesellschaft, oft nur der Anfang. Innerfamiliäre Stressoren, überholte Erziehungsstrategien und soziale Spannungen im gesamten Umfeld machen das Patientenmanagement besonders komplex. So behandeln wir die Traumatisierung mit einer kindgerechten Form der „Narrative Exposure Therapy“, versuchen unter systemischen Gesichtspunkten die gesamte Familie zu beraten, üben mit Kindern und Erwachsenen in den Communities in Workshops Konflikt-löse-Strategien und Verweisen die Familien weiter zu anderen (I)NGOs, die sie finanziell oder mit Sachgütern unterstützen.

Für uns ein großer und doch kleiner Erfolg

Mahmoud geht es nun nach 6 Sitzungen besser. Die Alpträume kommen nur mehr selten. Und wenn, dann braucht er jetzt keine Angst mehr zu haben, dass ihn sein Vater dafür bestraft. Er ist auch nicht mehr so aggressiv, weil er gelernt hat, mit seiner Angst und seinem Ärger besser umzugehen. Und er berichtet ganz stolz, dass ihm Fußball jetzt noch mehr Spaß macht, weil er nun mehr mit seinen Freunden spielt, anstatt gegen sie. Manchmal darf sogar seine junge Schwester mitspielen. Mahmoud hat noch Glück. Seine Eltern konnten die Angst vor dem Stigma überwinden. Sie zeigen sich offen und nehmen unsere Hilfe dankbar an. In einer Welt voller Vorurteile und stark eingebetteter, religiöser Regeln ein bedeutsamer Schritt. Für uns ein großer und doch kleiner Erfolg. Denn viele Kinder und Familien warten noch darauf gefunden zu werden. 

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