Bericht: Menschen in Afghanistan haben keinen ausreichenden Zugang zu medizinischer Hilfe

04.03.2020
Trotz jahrzehntelanger internationaler Hilfe hat die afghanische Bevölkerung keinen ausreichenden Zugang zu medizinischer Versorgung. Hauptgründe dafür sind die Unsicherheit im Land, die großen Entfernungen zu funktionstüchtigen Krankenhäusern, die hohen Kosten von Behandlungen und fehlendes Personal und Ausrüstung.
Displaced families in Herat
Noor Ahmad Saleem/MSF
Azada Barez, MSF medical doctor in Kahdistan clinic, Herat province

Trotz jahrzehntelanger internationaler Hilfe und Investitionen haben die Afghanen nicht ausreichend Zugang zu medizinischer Hilfe. Zu diesem Ergebnis kommt ein heute von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) vorgestellter Bericht. Hauptgründe dafür sind die Unsicherheit im Land, die großen Entfernungen zu funktionstüchtigen Krankenhäusern, die hohen Kosten von Behandlungen und fehlendes Personal und Ausrüstung.

„Unsere Patienten berichten von langen, gefährlichen Wegen, um mangelernährte Babys, Schwangere oder verletzte Angehörige ins Krankenhaus zu bringen. Sie berichten von Kliniken, in denen es nicht genügend Medikamente oder qualifiziertes Personal gibt. Sie kämpfen mit Schulden durch Behandlungskosten", sagt Julien Raickman, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Afghanistan.

Das medizinische Personal in den von Ärzte ohne Grenzen betriebenen und unterstützten Gesundheitseinrichtungen sieht regelmäßig die mitunter tödlichen Folgen einer verzögerten Aufnahme. Von allen Kindern, die in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres im Boost-Krankenhaus in der Provinz Helmand innerhalb von 24 Stunden nach Einlieferung verstarben, waren 44 Prozent zu spät gekommen, um ihnen noch zu helfen. Viele der Patienten im Boost-Krankenhaus müssen vor der Fahrt abwägen, ob die Straßen vermint sind, ob es unterwegs Checkpoints gibt und ob es sicher ist, in der Dunkelheit oder bei anhaltenden Kämpfen zu reisen.

Angst nachts hinaus zu gehen

Der Bericht „Reality Check: Die vernachlässigte Gesundheitskrise Afghanistans“ beruht auf ausführlichen Interviews mit Patienten, deren Betreuern und Mitarbeitenden von Ärzte ohne Grenzen in den Provinzen Herat und Helmand. Die Hindernisse beim Zugang zu medizinischer Versorgung sind nicht weniger geworden seit Ärzte ohne Grenzen 2014 zuletzt einen Bericht veröffentlichte.

„Wir haben Angst, nachts rauszugehen. Also müssen wir immer bis zum Tagesanbruch warten, um ins Krankenhaus zu fahren“, beschreibt der Betreuer einer Patientin auf der Entbindungsstation des Boost-Krankenhauses. „Bei jedem kranken Familienmitglied warten wir, auch auf die Gefahr hin, dass es stirbt.”

Armut hat ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf den Zugang der Menschen zu medizinischer Versorgung. Bis zu 89 Prozent der im Regionalkrankenhaus Herat befragten Patienten und Betreuenden gaben an, dass sie medizinische Versorgung wegen finanzieller Probleme aufschieben mussten. Die Eltern eines mangelernährten Babys erklärten, dass sie acht Tage brauchten, um Geld für die Fahrt zusammenzubekommen. Ein anderer sagte schlichtweg: „Wir können keine Lebensmittel kaufen. Wie sollen wir Medikamente und Ärzte bezahlen?"

Ärzte ohne Grenzen ist seit 1980 in Afghanistan aktiv und hat derzeit sechs Projekte in sechs Provinzen: Kabul, Khost, Kandahar, Kundus, Helmand und Herat. Im Jahr 2018 tätigten die Teams 411.700 ambulante Konsultationen, begleiteten 74.600 Geburten und nahmen 6.890 größere chirurgische Eingriffe vor. Die medizinische Versorgung durch Ärzte ohne Grenzen ist kostenlos. Die Organisation finanziert die Hilfe in Afghanistan ausschließlich durch Privatspenden und nimmt keine staatlichen Gelder an.