Serbien: Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch EU-Grenzpolizei

04.10.2017
Ein neuer Bericht zeigt, dass Kinder und Jugendliche auf der Flucht an den Grenzen entlang der Balkanroute systematischer Gewalt ausgesetzt sind.
Serbia: Games of violence
Marko Drobnjakovic
Irfanullah poses for a photograph as he stands inside a disused, decrepit factory that refugees use as temporary shelter, in the town of Sid, Serbia, Monday, July 17, 2017. “My name is Irfanullah, I’m from Chaparhar district, province of Nangarhar, Afghanistan. I left Afghanistan 18 months ago and I’m in Serbia since one year. For three months I lived in Subotica and Horgos. When the people are going through Hungry, they [ the authorities] are behaving really badly. I tried three or four times. They (Hungarian Police) let you be bitten by dogs and they use [pepper] spray. I stayed six months in Hungary and then after when my fingerprints were discovered they pushed me back to Bulgaria. I’m here in the camp in Sid for four months. In Serbia the problems have increased for refugees, the police raids have increased and this one time they took 170 guys to Presevo camp. In another other raid they took 90 guys.”

Kinder und Jugendliche auf der Flucht sind an den Grenzen entlang der Balkanroute systematischer Gewalt ausgesetzt. Das zeigt ein neuer Bericht mit dem Titel „Games of Violence“ (Gewaltspiele), den die humanitäre Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) heute veröffentlicht. Der Bericht dokumentiert anhand medizinischer Daten und Aussagen junger Patienten, wie vonseiten der EU-Grenzbehörden und der Polizei an den Grenzen Serbiens mit Ungarn, Bulgarien und Kroatien kontinuierlich Gewalt ausgeübt wird.

„Unsere Teams in Serbien berichten, dass Kinder und junge Erwachsene bei dem Versuch, Serbien zu verlassen, massiver Gewalt ausgesetzt sind. Das Vorgehen der Grenzpolizei der EU-Mitgliedsstaaten ist erschreckend”, sagt Marcus Bachmann, der im Wiener Büro von Ärzte ohne Grenzen für humanitäre Angelegenheiten zuständig ist. “Die Geschichten unserer Patienten und Patientinnen, die unsere Ärzte und Krankenschwestern seit über einem Jahr hören, ähneln einander sehr: Junge Menschen werden geschlagen, gedemütigt, mit Hunden gejagt. Die körperlichen und psychischen Verletzungen, die unsere Teams behandeln, sind zum überwiegenden Teil die unmittelbaren Folgen dieser Gewalt.“

Schläge, Hundebisse und Tränengas

In den ersten sechs Monaten 2017 haben 92 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die in den psychologischen Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen betreut wurden und von Übergriffen berichteten, die EU-Grenzpolizei oder Behörden als Täter genannt, vor allem in Bulgarien, Ungarn und Kroatien. Fast die Hälfte dieser Kinder (48 Prozent) hat die bulgarischen Behörden hervorgehoben. Von Jänner bis Juni 2017 haben die medizinischen Teams von Ärzte ohne Grenzen, die in mobilen Kliniken in Belgrad Hilfe leisten, darüber hinaus 62 Vorfälle vorsätzlicher Gewalt an der ungarischen Grenze und 24 Vorfälle an der kroatischen Grenzen dokumentiert. Die große Mehrheit dieser Berichte folgt dem gleichen Muster von Schlägen, Hundebissen und dem Einsatz von Tränengas, die Teams von Ärzte ohne Grenzen bereits in den vergangenen zwei Jahren beobachtet haben. Sie zeigen auf, dass gegen Menschen, die versuchen, in die Europäische Union zu gelangen, offensichtlich systematische Gewalt  ausgeübt wird.

Bachmann: „Es darf nicht sein, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union vorsätzlich Gewalt gegen Kinder und junge Erwachsene einsetzen, um sie davon abzuhalten, innerhalb der EU um Asyl anzusuchen. Dieses Vorgehen ist auch kontraproduktiv: Es hält Kinder und Jugendliche nicht von ihrem Vorhaben ab, sondern treibt sie in die Hände jener Schlepper, die die EU und ihre Mitgliedsstaaten vorgeben zu bekämpfen.“

Ärzte ohne Grenzen ist seit Ende 2014 in Serbien im Einsatz und unterstützt Flüchtlinge, Asylwerber und Migranten an den Grenzübergängen unter anderem mit medizinischer und psychologischer Hilfe. Seit Jänner 2016 ist Ärzte ohne Grenzen auch in der serbischen Hauptstadt Belgrad tätig und bietet dort medizinische Grundversorgung und psychologische Hilfe für Migranten an, die in inoffiziellen Lagern der Stadt leben. 2017 hat Ärzte ohne Grenzen eine permanente Klinik im Stadtzentrum eröffnet und setzt sich für Zugang zu Gesundheitsversorgung und Unterkünften sowie für den Schutz von gefährdeten Männern, Frauen und Kindern in Serbien ein.

Bericht „Games of Violence“ zum Download