Wie Bildanalysen helfen, Kriegsverbrechen aufzuklären

Krankenhäuser unter Beschuss: Wie können die Täter zur Rechenschaft gezogen werden? Ein Forschungsinstitut hilft mittels "Forensic Achitecture" bei der Rekonstruktion des Tathergangs.
16.02.2017
Aereal image from the Kunduz Hospital
Bing
Aereal image from the Kunduz Hospital, source: Bing, shot in 2014

Krankenhäuser unter Beschuss: Seit 2015 wurden 96 von Ärzte ohne Grenzen betriebene oder unterstützte medizinische Einrichtungen bombardiert. Doch wie können die Täter zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie ihre Verantwortung bestreiten oder verharmlosen und die Angriffe als Fehler abtun?

Die Mehrheit der Angriffe ereignete sich in Syrien, aber auch im Jemen, in Afghanistan, in der Ukraine und im Sudan. Für Ärzte ohne Grenzen ist es grundlegend, den Sachverhalt zu ermitteln und zu klären, wer für die Luftangriffe verantwortlich ist. Das ist die Basis, um weiterhin medizinische Hilfe zu leisten und sich dabei des Schutzes ziviler Einrichtungen zumindest ansatzweise gewiss sein zu können, sowie Gerechtigkeit und Wiedergutmachungen einzufordern.

Forensische Untersuchung von Bild- und Videomaterial zur Aufklärung von Kriegsverbrechen:

Zum Analyse-Video

Anprangern der Täter als Mittel gegen Straffreiheit

Ärzte ohne Grenzen hat wenig in der Hand gegen Angreifer auf Spitäler und Kliniken, medizinisches Personal und Patienten und Patientinnen. Abgesehen von einer Klage vor Gericht im betreffenden Land kann sie bei der Internationalen Humanitären Ermittlungskommission (IHFFC) eine unabhängige und unparteiische Untersuchung beantragen. Die IHFFC ist das einzige ständige Gremium für die Untersuchung von Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht. Hierfür benötigt man allerdings die Genehmigung aller Konfliktparteien, um Handeln zu können. So wurde die Kommission nach dem Luftangriff des US-Militärs auf das Spital von Ärzte ohne Grenzen in Kundus eingeschaltet (siehe Pressemitteilung dazu von Oktober 2015), konnte aber keine Ermittlungen veranlassen, da die USA nicht bereit waren, eine Bewilligung zu erteilen.

MSF
Das zerstörte Spital in Kundus, Afghanistan - hier auf einer Luftaufnahme vom 8. Oktober 2015.

Das einzige wirkliche Druckmittel ist für Ärzte ohne Grenzen in vielen Fällen die öffentliche Anklage der Urheber von Bombenangriffen in der Hoffnung, der Imageschaden werde diese dazu bewegen, ihre Vorgehensweise zu ändern. Um die Anschuldigungen zu begründen, wird bei den Ermittlungen Foto- und Videomaterial von Amateuren hinzugezogen, um den „Tathergang“ zu rekonstruieren.

Ein möglicher Partner in der Beweisermittlung ist das Forschungsinstitut Forensic Architecture. Dessen Team nutzt Kartographie, Bildanalyse sowie Kenntnisse über Recht und Architektur, um Bilder eines von Staaten begangenen Verbrechens auszuwerten. Sie ermitteln Sachverhalt und bestimmen dadurch die Verantwortlichen. Ärzte ohne Grenzen beauftragte das Institut vor kurzem, den vor einem Jahr verübten Luftangriff auf ein Spital in Maarat al-Numan in der syrischen Provinz Idlib zu untersuchen.

Bildbeweise zum Spitalangriff in Maarat al-Numan

Am 15. Februar 2016 kam das von Ärzte ohne Grenzen unterstützte Spital in Maarat al-Numan unter Raketenbeschuss. 25 Personen, darunter auch ein Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen, wurden getötet, elf weitere verletzt. Die Verwundeten wurden in ein nahegelegenes Spital gebracht, das noch am selben Tag ebenfalls angegriffen wurde. Daraufhin machte Dr. Mego Terzian, Präsident von Ärzte ohne Grenzen Frankreich, die russisch-syrische Koalition öffentlich für die Angriffe verantwortlich. Die Beschuldigung stützte sich auf die Kontextanalyse unter Berücksichtigung der militärischen Streitkräfte vor Ort sowie der Zeugenaussagen syrischer Zivilisten, von denen manche Ärzte ohne Grenzen schon länger bekannt waren. Die Anschuldigung löste eine Reihe von Reaktionen vonseiten der russischen und syrischen Regierungen aus, die das Geschehen bestritten bzw. Ärzte ohne Grenzen der Spionage bezichtigten. Auch innerhalb von Ärzte ohne Grenzen wurde diskutiert, ob ausreichend Beweise vorliegen, um Russland und Syrien zu belasten und wie vertrauenswürdig die herangezogenen Zeugenaussagen sind.

Forensic Architecture
Diese Analyse von Video-Aufnahmen untersucht den Angriff auf ein von Ärzte ohne Grenzen unterstütztes Spital in Al Hamidiah, Syrien. Die Einrichtung liegt ca. 6km von Maarat al-Numan entfernt und wurde am 15.02.2016 von einer Serie von Luftangriffen getroffen und zerstört. 25 Menschen wurden getötet, 11 weitere verletzt.

Das Team von Forensic Architecture hat den Fall anhand von Videos und Fotos untersucht, die von medizinischem Personal, Aktivisten und Zivilisten gemacht wurden und in den sozialen Medien zirkulierten. Diese wurden auf ihre Echtheit geprüft und ausgewertet, um den Angriff zu rekonstruieren. Die Untersuchung liefert zwar keine förmlichen Beweise, belegt aber die Verantwortlichkeit der syrischen und russischen Streitkräfte für den Bombenangriff auf das Spital in Maarat al-Numan und somit die erste Einschätzung von Ärzte ohne Grenzen.

Der beobachtete Start russischer und syrischer Flugzeuge von ihren jeweiligen Stützpunkten aus ist mit Zeit und Lokalisierung der Angriffe vereinbar. Außerdem bestätigte die Auswertung des Videomaterials die starke Ähnlichkeit eines der Kampfjets mit einer MiG-23, einem Flugzeugtyp, über den im Land allein die syrische Armee verfügt. Die Ermittlungen belegen darüber hinaus den Einsatz von „double tap“ bzw. „triple tap“: Das heißt, dass mehrere Bomben in kurzen zeitlichen Abständen auf dasselbe Ziel abgeworfen wurden – ein klarer Beweis für den massiven Beschuss von Zivilisten und Zivilistinnen sowie Hilfsorganisationen in Syrien.

Video: Wie ein Kriegsverbrechen untersucht wird

Sehen Sie hier, wie das Forschungsinstitut Forensic Architecture Video- und Bildmaterial verwendet, um den Bombenangriff auf das Spital in Maarat al-Numan aufzuklären:

 

Noch ein Tipp: Interview mit Professor Eyal Weizman, Hauptuntersuchungsleiter des Instituts Forensic Architecture, über die forensische Arbeit: "Forensic Architecture – Investigating the Blueprint of War Crimes"

Wir fordern: Krankenhäuser dürfen keine Angriffsziele sein!