Niger: Tanz der Frauen
Kinderärztin Julia Rappenecker ist derzeit auf ihrem ersten Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen in Magaria. Im Einsatzblog erzählt die Schweizerin über ihre Eindrücke und die Herausforderungen, denen das Team bei der Versorgung mangelernährter Kinder gegenüber steht. Dies ist ihr zweiter Blog-Beitrag aus Niger:
Die Mittagshitze liegt schwer über den Zelten, der Sand glüht bei 45°C. Es liegt eine Ruhe über dem Krankenhaus. Man ahnt nicht dass in all den Zelten 160 kleine Patienten sind, zudem 160 Mütter und wahrscheinlich um die 160 Geschwister. Ruhig liegen die Frauen mit ihren Kindern in einem Bett, warten auf die Behandlungen, auf die Verteilung der Milch, auf die Visite und letztlich auf die Genesung. Kein Streiten, Drängen, kein Fordern nach einem besseren Bett, einer besseren Nahrung.
Die Entscheidung in das Krankenhaus zu gehen ist unheimlich komplex. Meine Kollegen und Kolleginnen haben mir einen der Aspekte erklärt: Oft müssen die Frauen nämlich zuhause ihren Mann oder die Schwiegermutter um Erlaubnis bitten, den Haushalt zu verlassen, das Geld für den Transport in Spital zu bekommen. Diese zögern manchmal, ihr Einverständnis zu geben: Schliesslich ist es die Rolle der Ehefrau für den gesamten Haushalt zu sorgen. In den Dörfern bedeutet das täglich Wasser und Feuerholz zu holen, Lebensmittel besorgen, die Nahrung zubereiten, den Wünschen der Kinder, des Mannes, der Schwiegereltern begegnen. Der Mann ist für das besorgen des Geldes zuständig, der Rest und insbesondere die Kinder sind Frauensache.
Viele gehen zuerst zum „Marabou“ dem lokalen Heiler. Wenn diese Therapien nicht geholfen haben und die mütterliche Sorge überhandnimmt, besorgen sie von irgendwo das Geld, machen sich zu Fuss, auf Ochsenkarren, in überfüllten Autos auf den Weg, bis zu uns – mit oder ohne Einverständnis des Mannes. Einer unserer Health-Promoter hat mir auch erklärt, dass für die Frauen selbst die sehr einfachen Bedingungen bei uns, in einem heissen Zelt mit 40 anderen Kindern und deren Begleitungen eigentlich gute Umstände sind. Wenige schlafen zuhause in einem Bett.
Die frühe Heirat und die nahezu fehlende Möglichkeit für die Mädchen zur Schule zu gehen bedingen die hohe Geburtenrate und die Abhängigkeit der Familie vom Einkommen des Mannes. Laut UN werden die Mädchen durchschnittlich mit ca. 14 Jahren verheiratet und bringen 7,5 Kinder zur Welt. Nahezu keine unserer Patientenmütter kann lesen und schreiben. Wie ich es verstehe ist dies auch ein Grund für den teilweise schlechten Gesundheitszustand mancher Kinder, die mangelernährt sind.
Meine nigrische Kollegin ist eine Ausnahme. Sie hatte die Möglichkeit zur Schule zu gehen und Medizin zu studieren. Mit der Unterstützung ihrer Eltern fand sie einen Studienplatz und einen Ehemann, der damit zunächst einverstanden war. Leider änderte er seine Meinung während sie in der Hauptstadt studierte und gemeint, eine Frau solle zu Hause bleiben. Nun ist sie geschieden und lebt unabhängig mit ihrer kleinen Tochter.
Einmal im Monat spielt die Band unseres Health-Promoters im Krankenhaus. Die Mütter kommen dazu aus den Zelten mit ihren Kindern, in ihren bunten Kleidern. Es bildet sich ein grosser Kreis, in seiner Mitte beginnen die ersten zu tanzen. Krankenschwestern und auch wir kommen dazu und werden mit zurufen und freudigem Lachen begrüsst. Viele Gesichter strahlen, die Babies auf den Rücken der Mütter beobachten uns neugierig, die grösseren zutraulichen Kinder beginnen kichernd mitzutanzen, die schüchternen schwanken zwischen mittanzen und Mamas Rockzipfel. In diesem einen Moment gehört die Welt diesen Frauen. Es gibt nichts schöneres, nichts friedlicheres als dieses Tanzen der Frauen.
Je häufiger ich während der Visite von Bett zu Bett gehe, Einblicke in ihre Geschichte bekomme und die Mütter erleben darf, umso stärker wird ein Gefühl für sie:
Hochachtung.
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