Bye, bye Malakal

Kommentar von Vera Schmitz
24.02.2015
Nun bin ich schon seit einem knappen Monat wieder zurück im kalten Europa – Zeit, meinen Einsatz in Malakal im Südsudan Revue passieren zu lassen.

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Nun bin ich schon seit einem knappen Monat wieder zurück im kalten Europa – Zeit, meinen Einsatz in Malakal im Südsudan Revue passieren zu lassen.

Kaum zu glauben, dass es erst vier Monate her ist seit ich erfahren habe, dass mich mein erster Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen in den Südsudan führt. Es war ja auch nicht nur mein erster Hilfseinsatz, sondern auch meine erste Reise überhaupt nach Afrika. Mit vielen Fragezeichen bin ich abgereist - und mit vielen Antworten und vielen neuen Fragezeichen zurückgekehrt.

Persönliche und berufliche Fragezeichen

Das bezieht sich natürlich zum einen auf mich persönlich, zum anderen aber auch auf die berufliche Ebene. Wie werde ich mit den Leuten zurechtkommen? Überhaupt: 24 Stunden täglich mit demselben Team essen, arbeiten, schlafen und die wenige Freizeit verbringen. Die ungewohnte Hitze, die Sicherheitsvorschriften, die mir als Einzelne kaum Freiraum gewähren. Überhaupt das Leben in einem Konfliktgebiet, der ständige unvermeidbare Kontakt und Anblick von Panzern und Soldaten...

Und auch auf beruflicher Ebene - kann ich das überhaupt? Ich hatte ja davor noch keine Erfahrung von Krankheiten wie Tuberkulose, Kala Azar oder Malaria. Zwar war ich theoretisch durch einen vierwöchigen Tropenmedizinischen Kurs gut vorbereitet, aber die Realität ist ja dann doch oft nochmal anders.

Es ist zum Beispiel ein Unterschied in der Theorie zu lernen, welche Arten von Mangelernährung es bei Kindern gibt - oder vor Ort dann genau diese Kinder zu sehen.

Theorie ist nicht gleich Praxis

Abgemagert bis auf die Knochen, der sogenannte "Marasmus" - bei dieser Form sind die betroffenen Kinder extrem unterernährt und sehen ausgezehrt aus. Die andere Variante, die für Laien auf den ersten Blick oft weniger schlimm erscheint, aber ebenfalls schwere Mangelernährung ist: "Kwashiorkor". Hier leiden die Kinder unter Ödemen (Wassereinlagerungen im Gewebe aufgrund von Eiweißmangel), beginnend bei den Füßen, jedoch oft über den gesamten Körper bis zum Gesicht. Und dann gibt es natürlich  noch die Kinder, die auf den ersten Blick wirklich normal aussehen - aber vergleicht man dann das Gewicht und die Größe mit dem entsprechenden Alter, fällt auf, dass das entsprechende Kind (viel) zu klein für sein Alter ist ("Stunting"). Diese Fälle zeugen von einer chronischen Unternährung, das ist in der Regel keine akute Bedrohung. Aber das fehlende Wachstum und die dadurch oft auch beeinträchtigte Hirnentwicklung lassen sich nicht nachholen, sondern werden das Kind sein Leben lang prägen.

In Malakal gab es glücklicherweise keine akute Ernährungskrise, daher waren die mangelernährten Kinder, die zur Aufnahme in unser Spital kamen, primär aus anderen Krankheitsgründen in Behandlung. Jedoch ist genau dieser Kreislauf ein großes sekundäres Problem der Mangelnährung: Denn ist das Kind mangelernährt, besteht ein wesentlich höheres Risiko, krank zu werden. Aus diesem Grund wird auch bei allen Kindern, die wir in unser Spital in Malakal aufnehmen, der Ernährungszustand überprüft. Überprüft wird dieser bei Kindern bis zu fünf Jahren mit dem MUAC - einem Maßband, mit dem der Umfang des Oberarms gemessen wird („middle upper arm circumference“). Diese Methode gibt guten Aufschluss darüber, ob das Kind leicht, schwer oder im besten Fall gar nicht mangelernährt ist - denn das ist eben nicht immer auf den ersten Blick erkennbar.

Hilfe für die Kleinsten

Bei Kindern bis zu sechs Monaten ist der Nahrungsaufbau naturgemäß nochmal spezieller und schwieriger und es wird viel auf die Ressource Muttermilch gesetzt. Liegt die Mangelernährung dann vielleicht unter anderem daran, dass die Mutter nicht mehr genug Milch hat, wird so dafür gesorgt, dass das Kind zwar weiterhin die so wichtige Muttermilch bekommt - aber zusätzlich eben auch die Spezialmilch, die es ebenfalls braucht. So lässt man das Kind wie gewohnt an Mamas Brust saugen - gibt aber zusätzlich einen kleinen Schlauch in den Mund des Kindes, der am anderen Ende in einer Tasse mit der Spezialmilch liegt, das nennt man "supplementary suckling" ("unterstützendes Saugen"):

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Ein kleiner Patient erhält zur Muttermilch auch ergänzende Spezialmilch © Vera Schmitz/MSF

Auf diese Art und Weise "erarbeitet" sich das Kind die Nahrung selbst - und bekommt alles, was es braucht. Diese Methode hilft oft auch, die Milchmenge der Mutter überhaupt nochmal zu steigern - das hilft also nicht nur mangelernährten Stillkindern sondern auch Früh- und Neugeborenen... aber das ist ein weiteres Kapitel in diesem großen Thema.

Anbei noch ein Foto mit dem letzten Frühchen, das ich nach Hause entlassen konnte - der tüchtige kleine Bursche hat mit >1800g das Spital verlassen, das Geburtsgewicht lag knapp >1500. Und das in weniger als zwei Wochen!

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Der kleine Junge konnte in weniger als zwei Wochen 300g zulegen und darf nun nach Hause © Vera Schmitz/MSF

Nun bin ich etwas abgeschweift von meinem ursprünglichen Plan meinen Einsatz Revue passieren zu lassen...

Soviel ist sicher - ich habe viel gelernt, manchmal musste ich ins kalte Wasser springen, aber ich habe es doch immer wieder geschafft, daraus aufzutauchen. Ich kenne mich nun mit Tuberkulose, Malaria und Kala Azar sowie mit Mangelernährung aus – gefühlt aber nur ansatzweise, denn es gibt noch viieel zu lernen. Ich war das erste Mal nicht nur eine Krankenschwester unter vielen im Team, sondern eine der Verantwortlichen und eine der Ansprechpersonen für alle möglichen Fragen. Ich habe viel gelernt - aber meinen einheimischen Kollegen vor Ort hoffentlich auch einiges beigebracht. Als Zuständige für den spitalsinternen Bereich der Apotheke habe ich auch viel über Medikamente gelernt - monatlicher Verbrauch, Bestellungen, Inventur, was sind Alternativen für welche Mittel...

Ich bin vielen Menschen begegnet, die Schicksalsschläge zu erleiden hatten – der Konflikt im Südsudan beeinträchtigt das Leben der Patienten und auch meiner Kollegen jeden Tag. Oft waren uns die Hände gebunden, wussten wir doch um die Möglichkeiten, die es an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit geben würde.

Shukran Malakal!

Ich habe drei Monate damit verbracht, 24 Stunden täglich auf engstem Raum mit manchmal mehr als 20 Leuten zu leben und auch mit genau diesen Menschen meine Freizeit zu verbringen. Das war zwar nicht immer einfach - aber ehrlich gesagt war es nur selten wirklich schwer. Ich hatte das Glück, ein hervorragendes Team um mich zu haben – vielen, vielen Dank euch allen, ihr wisst wer ihr seid ;-)

Vielen Dank auch allen daheim, die mich so unterstützt haben! Und all jenen, die Ärzte ohne Grenzen unterstützen - damit diese Arbeit weitergeführt werden kann. Es kommt an und ohne diese Hilfe wäre vieles nicht möglich!

Zum Schluss noch ein Foto mit mir und meiner Kollegin Jaime, der Apothekerin, sowie einem Großteil meines Teams am letzten Tag im Spital. Ich bin ausnahmsweise nicht im T-Shirt von Ärzte ohne Grenzen sondern im lokalen Gewand, ausstaffiert von meinen lieben einheimischen Kollegen!

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Ein Teil meines Teams in Malakal © Vera Schmitz/MSF

Eine Ehrung aus Freundschaft und Dankbarkeit - und das gebe ich hier an dieser Stelle gerne zurück!

Shukran Malakal!

PS: Shukran bedeutet Danke auf Arabisch :-)

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