Chirurgische Hilfe in Nord-Afghanistan

21.05.2012
Spital von Ärzte ohne Grenzen in Kundus
Afghanistan 2012
Michael Goldfarb
Kundus, Afghanistan, 16.02.2012: Der 12-jährige Abdallah im Ärzte ohne Grenzen-Spital in Kundus.

Ali*, 14 Jahre alt, spielte mit seinen Freunden außerhalb der Stadt Kundus im Norden Afghanistans. „Wir fanden etwas das aussah wie eine Batterie. Wir hoben es auf und verbanden zwei abstehende Drähte miteinander. Dann explodierte das Ding.“

Seine Familie brachte Ali in das neu eröffnete chirurgische Spital von Ärzte ohne Grenzen in Kundus. In seinem Gesicht steckten Granatsplitter und seine Hände und Arme waren verletzt. „Es war möglicherweise ein Sprengzünder, den jemand zurückgelassen hat“, sagt Dr. Martin John Jarmin, Chirurg bei Ärzte ohne Grenzen. „Sein Bruder ist nun blind, aber Ali hatte Glück und wird sich erholen.“

Spezialisiertes chirurgisches Zentrum

Im August 2011 eröffnete Ärzte ohne Grenzen ein chirurgisches Spital in der nordafghanischen Provinz Kundus. Es ist das einzige spezialisierte chirurgische Zentrum in Nord-Afghanistan und mit einer Notaufnahme, zwei Operationssälen, einer Intensivstation und 70 Betten in vier Abteilungen ausgestattet.

Vor der Eröffnung des Spitals waren Menschen mit schweren Verletzungen dazu gezwungen, lange und gefährliche Reisen nach Kabul oder sogar Pakistan zu unternehmen – oder auch teure Privatkliniken aufzusuchen. Wenige von ihnen erhielten deshalb die chirurgische Versorgung, die notwendig gewesen wäre.

Großer Bedarf

„Das Krankenhaus reagiert auf den großen Bedarf, den es hier gibt und der zuvor nicht gedeckt werden konnte“, so Silvia Dallatomasina, medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Kundus. „Die meisten unserer Patienten kommen aus Kundus, aber viele auch aus benachbarten Provinzen. Manche reisen sogar aus Herat, das entlang der iranischen Grenze liegt, an.“ In weniger als einem Jahr seit der Eröffnung des Krankenhauses hat Ärzte ohne Grenzen 3.700 Menschen behandelt.

Obwohl die Gewalt in Nord-Afghanistan weiter anhält, ist die Lage im Moment ruhiger. Seit das Spital eröffnet wurde waren die meisten Patientinnen und Patienten Opfer „allgemeiner Verletzungen“ – Verkehrsunfälle, häusliche Gewalt oder von Zivilisten verursachte Schusswunden.

Anhaltender Konflikt

Doch hin und wieder bricht der Konflikt wieder heftiger aus – die Folge davon sind viele Verletzte und Opfer. In den letzten Monaten gab es einige Bombenanschläge in Kundus und Menschen mit vielfältigen Verletzungen wurden in das Krankenhaus gebracht. Nach schweren Ausschreitungen vor dem UN-Gelände kamen am 25. Februar 2012 innerhalb weniger Stunden mehr als 50 schwer Verletzte in das Spital.

Ungefähr 20 internationale und 300 nationale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten in dem Krankenhaus. Seit der Eröffnung wurden mehr als 1.500 Operationen durchgeführt.Bei der unfallchirurgischen Behandlung ist die Nachversorgung ebenso wichtig wie die Operation selbst. Dazu gehört auch die Physiotherapie. Im Rehab-Raum hilft Physiotherapeut Berangere Ghoy** gerade Abdallah* bei seinen täglichen Übungen. „Abdallah brach sich bei einem Verkehrsunfall in Badakshan, einer Provinz im Osten Afghanistans das Bein“, erzählt Berangere. „Glücklicherweise mussten wir es nicht amputieren. Der Junge ist wirklich mutig – er hat seit einem Monat Schmerzen, hat aber nie etwas gesagt.“

*Name verändert, um die Anonymität der Patienten zu wahren**Berangere arbeitet für die Organisation Handicap International, die im Spital von Kundus mit Ärzte ohne Grenzen zusammen arbeitet.

Teams von Ärzte ohne Grenzen arbeiten auch im Ahmad Shah Baba Spital in Osten Kabuls und im Boost Hospital in Lashkargah in der Provinz Helmand. Die Organisation eröffnete außerdem vor kurzem eine Geburtsklinik in Khost im Osten des Landes. Ärzte ohne Grenzen arbeitet in allen Abteilungen und die Behandlung ist überall kostenlos.