COVID-19-Impfung: „Patentmonopole müssen verhindert werden“

18.05.2020
Im Interview spricht Marcus Bachmann von Ärzte ohne Grenzen über die Auswirkungen des Profitstrebens der Pharma-Branche, mögliche Lösungen und die Strategie der österreichischen Bundesregierung.  
Herwig Prammer
Marcus Bachmann ist Humanitärer Berater bei Ärzte ohne Grenzen und Experte für COVID-19. 

Weltweit wird aktuell mit Hochdruck an einem Impfstoff gegen COVID-19 geforscht, um die Coronavirus-Pandemie unter Kontrolle zu bringen. Ist ein Wirkstoff gefunden, sollten Pharmaunternehmen damit keinen Profit machen dürfen, fordert Ärzte ohne Grenzen. Verzichten die Hersteller nicht auf ihre Patente, drohen – wie schon bei anderen lebenswichtigen Medikamenten – hohe Preise, ein eingeschränkter Zugang zu den Wirkstoffen und letztlich der Verlust von Menschenleben.  

Marcus Bachmann arbeitet für Ärzte ohne Grenzen in Wien. Seine Aufgabe ist es u.a., auf derartige Gefahren aufmerksam zu machen. Im Interview spricht er über die Auswirkungen des Profitstrebens der Pharma-Branche, mögliche Lösungen und die Strategie der österreichischen Bundesregierung.  

Marcus, die ganze Welt wartet auf die Entwicklung eines Impfstoffs gegen COVID-19. Kannst du etwas zum Status Quo sagen? Wie weit ist die Wissenschaft? 

Unter dem Eindruck der Coronavirus-Pandemie arbeiten weltweit Wissenschafter:innen in pharmazeutischen Unternehmen, an Universitäten und in staatlichen Forschungseinrichtungen an der Entwicklung eines sicheren und effektiven Impfstoffes. Nach den aktuellsten Berichten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 15. Mai werden bereits acht Impfstoffkandidaten in acht klinischen Studien getestet. Mindestens weitere 110 befinden sich in vorklinischen Phasen der Entwicklung. Auf jeden Fall wird es aber noch einige Zeit dauern, bis ein Impfstoff bzw. Impfstoffe zugelassen sein werden. Beispielsweise dauerte es beim Ebola-Impfstoff vier Jahre lang.  

Für die Pharma-Unternehmen bahnt sich da ein großes Geschäft an.  

Wir konnten alle vergangene Woche in den Medien mitverfolgen, dass der Pharmakonzern Sanofi seinen potenziellen Impfstoff zunächst nur an die USA liefern wollte, was zu einem Aufschrei geführt hat. Oder im März den US-amerikanischen Versuch, die deutsche Biotechfirma CureVac aufzukaufen, die ebenfalls an einem Impfstoff arbeitet. Das ist nur ein kleiner Vorgeschmack auf den brutalen Verteilungskampf, der uns bevorsteht. Die Auswirkungen des Profitstrebens von Pharmaunternehmen sind klar: Es ist tatsächlich davon auszugehen, dass nur einige wenige wohlhabende Käufer Zugang zu Impfstoffen und Medikamenten bekommen, die aktuell entwickelt werden. Das zeigt nicht zuletzt unsere jahrelange Erfahrung im Kampf gegen Krankheiten wie HIV, Tuberkulose oder Hepatitis. 

"Das Profitstreben von Pharmaunternehmen hat massive Auswirkungen auf ärmere Länder."

Dabei spielt ein Impfstoff gerade in ärmeren Ländern, etwa in Afrika, eine besonders wichtige Rolle. 

Das ist korrekt. Das Profitstreben von Pharmaunternehmen hat massive Auswirkungen auf ärmere Länder, etwa in Afrika, wo die Behandlungskapazitäten oft extrem gering sind und Prävention so einen besonders hohen Stellenwert einnimmt. Äthiopien mit einer Bevölkerung von über 100 Millionen Menschen verfügt gerade einmal über 100 Intensivbetten. Zum Vergleich: in Österreich gibt es zurzeit 1.200 Intensivbetten, die ausschließlich für COVID-19-Patient:innen reserviert sind.  

Das Medikament Remdesivir wurde ursprünglich für die Behandlung von Ebola entwickelt, ab Sommer soll es für die Behandlung von COVID-19-Patient:innen eingesetzt werden.   

Für das Medikament Remdesivir hat das Pharma-Unternehmen Gilead bereits Lizenzen in 70 Ländern und könnte eine günstigere Herstellung durch andere Unternehmen somit bis 2031 verhindern. Es gibt keinerlei Commitment von Gilead, auf diese Patente zu verzichten. In den USA hat der Konzern Ende März versucht, die Laufzeit des Patents sogar zu verlängern, was nur nach massiven Protesten aufgegeben wurde. Wir erinnern daran: Gilead ist ebenjener Konzern, der den Preis für Hepatitis-C-Medikamente in astronomische Höhen von  teils 1.000 Dollar pro Tablette hinaufgetrieben hat. Dadurch hat Gilead vielen Menschen weltweit den Zugang zur Behandlung von Hepatitis C versperrt. 

Was sind die Forderungen von Ärzte ohne Grenzen in Bezug auf Medikamente gegen COVID-19?  

Wir fordern die Regierungen vehement dazu auf, entsprechende Maßnahmen einzuführen – zum Wohl ihrer Bürgerinnen und B, aber auch aus Solidarität gegenüber Menschen in ärmeren Ländern. Dazu gehören Zwangslizenzen und Preiskontrollen für Impfstoffe und Medikamente. Denn Patentmonopole müssen jetzt zum Wohle der Allgemeinheit verhindert werden: Pharmafirmen wie Gilead dürfen nicht „business as usual“ machen und ihre Gewinne maximieren, sie müssen auf Patente für Medikamente gegen COVID-19 verzichten. Patente, hohe Preise und eingeschränkter Zugang führen zu mehr Todesopfern und verhindern die Eindämmung der Pandemie. Wir dürfen nicht zulassen, dass Geschäftssinn über das Allgemeinwohl gestellt wird: Wenn Firmen dazu nicht bereit sind, müssen Regierungen das eben mit Zwangsmaßnahmen – etwa Zwangslizenzen – durchsetzen. Die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen werden nur durch Milliarden-Förderungen aus öffentlicher Hand ermöglicht, also von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Es ist nur fair, dass die Ergebnisse dann allen Patient:innen zur Verfügung stehen, und nicht zur Gewinnoptimierung einiger Firmen dienen.   

"Viel wichtiger als Einzellösungen ist die Solidarität über den österreichischen Tellerrand hinaus."

Die österreichische Regierung hat angekündigt, mit einigen wenigen, „smarten Ländern“ zusammenzuarbeiten, um eine gesundheitspolitische Unabhängigkeit von Großmächten zu erlangen. 

Das ist sehr kurzsichtig! Viel wichtiger als Einzellösungen ist jetzt die Solidarität über den österreichischen Tellerrand hinaus. Denn was soll es langfristig bringen, wenn nur wenige Länder Zugang zu Medikamenten haben, die Pandemie aber weiterwütet? Der Kampf gegen Corona kann nur global gewonnen werden. Wir fordern außerdem Transparenz und klare Bedingungen für Forschungsförderungen. Konkret ist die Frage an die österreichische Regierung, welche Bedingungen sie an die 28 Millionen Euro geknüpft hat, die bisher an Förderungen zugesagt wurden. Wer bekommt das Geld wofür konkret? Und wie stellt Österreich sicher, dass das Geld im öffentlichen Interesse eingesetzt wird? Es muss sichergestellt sein, dass die Millionen dem Allgemeinwohl zugutekommen und nicht der Profitoptimierung der Pharmafirmen dienen. Hier fehlt es leider völlig an Transparenz! Wir müssen daher leider fürchten, dass die Millionen der Pharmaindustrie „geschenkt“ werden. 

Danke für das Gespräch, Marcus.  

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Online-Pressekonferenz zum Nachsehen

Im Rahmen einer Online-Pressekonferenz sind Marcus Bachmann und Laura Leyser, Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen Österreich, mit dem Thema an die Öffentlichkeit gegangen. Hier können Sie das Presse-Event in voller Länge nachsehen: