Hilfe für Gewaltopfer in kongolesischen Minen

16.07.2014
Gräueltaten in Gold- & Diamantminen - Ärzte ohne Grenzen leistet medizinische und psychologische Hilfe
Opfer sexueller Gewalt erhalten eine spezifische medizinische Versorgung und werden psychologisch beraten und betreut.
Thibault Camus/MSF
Demokr. Republik Kongo, 01.05.2005: Opfer sexueller Gewalt erhalten eine spezifische medizinische Versorgung und werden psychologisch beraten und betreut.

In der Gold- und Diamantminenregion im Osten der Demokratischen Republik Kongo entführen bewaffnete Milizen Frauen, Männer und Kinder und halten sie teilweise über Monate als Sexsklaven fest oder zwingen sie, für sie zu arbeiten. Es gibt keine Anzeichen, dass dieser Terror bald aufhören wird. Ein Team von Ärzte ohne Grenzen leistet vor Ort medizinische Nothilfe und bietet psychologische Betreuung an.

Tausende Menschen sind aus ihren Dörfern im Okapi-Wald in der Region Ituri der Provinz Orientale geflohen, um der anhaltenden Bedrohung durch Entführungen und Gewalt zu entgehen. Die meisten fanden Zuflucht bei Freunden und Verwandten in dem kleinen Ort Nia Nia, dessen Einwohnerzahl sich seit Beginn des Jahres zeitweise fast verdoppelte.

Die Menschen erreichen Nia Nia mit schlimmen Berichten von Gräueltaten verschiedener bewaffneter Gruppen, die sie erlebten oder mit ansehen mussten. Sie erzählen unter anderem von Ermordungen, Folter und wiederholten Vergewaltigungen. Seit Mai ist ein Team von Ärzte ohne Grenzen vor Ort und leistet medizinische Basisversorgung sowie medizinische Nothilfe für Gewaltopfer und bietet dringend benötigte psychologische Betreuung an.

Erschütternde Berichte von Gräueltaten

„Was die Menschen durchleben mussten, beschreiben sie als Hölle“, sagt Ana Maria Tijerino, Psychologin von Ärzte ohne Grenzen . „Es ist schwer zu begreifen, dass solch ein Horror möglich ist. Die Opfer wurden als Sexsklaven festgehalten – manchmal über Monate – und von mehreren Männern mehrmals am Tag sexuell missbraucht, oft vor den Augen ihrer Eltern, Ehemännern oder Verwandten.“

Zwischen Mai und Juli behandelte das Team von Ärzte ohne Grenzen in Nia Nia 3.586 Menschen. Darüber hinaus werden Menschen speziell psychologisch betreut und beraten – darunter 143 Frauen, drei Männern und zwei Kinder, die Opfer sexueller Gewalt wurden, sowie 36 Überlebende anderer Arten von Gewalt. Die Menschen hatten Folter oder sexuelle Erniedrigung erlebt oder waren gezwungen zuzusehen, wie Verwandten Gewalt angetan wurde. Ärzte ohne Grenzen arbeitet eng mit lokalen Frauengruppen in Nia Nia zusammen, die Vergewaltigungsopfern psychologische Hilfe anbieten.

20 Vergewaltigungsopfer in einer Woche

Einen traurigen Höhepunkt erreichte der Gewaltausbruch im April und Mai. Die Angriffe dauern aber an und weiterhin fliehen Menschen nach Nia Nia und in umliegende Orte. Ärzte ohne Grenzen weitet seine Hilfeleistung daher aus: In einer einzigen Woche im Juni behandelte ein Team im Dorf Bafwanduo 20 Vergewaltigungsopfer.

Im Wald lebende Menschen, die in den Minen Gold und Diamanten schürfen, sind die Hauptangriffsziele der Übergriffe. Gewalt im Zusammenhang mit der Ausbeutung der Minen ist allerdings nicht neu: „Diverse bewaffnete Milizen jagen die Minenarbeiter, um von ihnen einen Teil des Gewinns zu erbeuten“, erklärt Kevin Coppock, Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in der Provinz Orientale. „Es gibt Berichte über schlimme Gewalt gegen diejenigen, die nichts aushändigen oder nichts geben können. Nachdem einer der Milizenführer im April von der Armee getötet worden war, haben  Gewalt und Brutalität stark zugenommen – sowohl gegen die Minenarbeiter als auch gegen die Bevölkerung in den umliegenden Dörfern.“

Schutz vor HIV und übertragbaren Krankheiten oft zu spät

Für das Team von Ärzte ohne Grenzen ist die Behandlung der Opfer sexueller Gewalt sehr schwierig, da viele Frauen mehrfach und über einen langen Zeitraum vergewaltigt wurden. Wenn sie in der Klinik von Ärzte ohne Grenzen in Nia Nia ankommen, ist es oft zu spät, um sie vor HIV, sexuell übertragbaren Krankheiten und Schwangerschaft zu schützen. Dieser Schutz, bekannt als „post-exposure Prophylaxis“ (PEP) ist innerhalb von 72 Stunden nach einem Übergriff am effektivsten. „Frauen, die über Monate als Sexsklaven festgehalten wurden, bleibt dieser grundlegende Schutz vorenthalten“, so Ana Maria Tijerino. Die Folgeerscheinungen eines solchen Gewalterlebnisses können lähmend sein. „Monate nach einem Übergriff durchleben die Überlebenden physische und psychische Traumata“, erklärt die Psychologin weiter. „Viele leiden an Schmerzen, infizierten Wunden, Stress, Depressionen und Alpträumen.“

Wirtschaftliche Abhängigkeit von den Minen

Die anhaltende Unsicherheit macht es den Überlebenden noch schwerer, sich zu erholen. „Niemand weiß, was der nächste Tag bringen wird. Diese konstante Ungewissheit ist ein weiterer Stressfaktor für die Gewaltopfer. Die Menschen haben Angst, da sie wissen, dass sie wirtschaftlich nicht überleben, ohne in den Minen zu arbeiten. Nia Nia ist ein armer Ort, an dem es keine anderen Möglichkeiten gibt, den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Opfer haben Angst vor der Zukunft und werden verfolgt von dem, was sie durchlebt haben.“

Die Situation bleibt ungewiss. Jede Woche fliehen Menschen vor der Gewalt und erreichen Nia Nia, während einige den Ort schon wieder verlassen mussten, um in die Minen zurückzukehren, da sie nur dort ihren Lebensunterhalt verdienen können.

„Gewalt und sexuelle Gewalt sind leider nichts Neues in der Demokratischen Republik Kongo“, sagt Ana Maria Tijerino. „Aber für die Opfer werden diese Übergriffe niemals normal sein. Niemand sollte solch ein Ausmaß an Gewalt akzeptieren müssen.“

Ärzte ohne Grenzen ist seit 2003 durchgehend in der Provinz Orientale tätig. Der Fokus liegt auf der medizinischen Hilfe für Menschen, die vor gewaltsamen Übergriffen fliehen müssen. Derzeit werden zahlreiche Hilfsprogramme durchgeführt, unter anderem Kriegschirurgie, psychologische Betreuung, primäre Gesundheitsversorgung für Vertriebene, medizinische Hilfe für Opfer sexueller Gewalt, Aktivitäten zur Eindämmung von Epidemien, Leitung von Notaufnahme- und Geburtshilfestationen, Betreuung von HIV-PatientInnen sowie im Kampf gegen die Schlafkrankheit.