Klimakrise: Es besteht humanitärer Handlungsbedarf

27.09.2019
Bei unseren weltweiten Hilfseinsätzen erfahren wir aus erster Hand, wie Umweltfaktoren humanitäre Krisen verschlimmern können.

Themengebiet:

Buzi, Mozambique - March 2019
MSF/Pablo Garrigos
Aerial view of Buzi and the devastation caused by Cylone Idai.

Als medizinische humanitäre Hilfsorganisation haben wir bei unseren Risikobewertungen in verschiedenen Teilen der Welt immer schon das Potenzial für extreme Wetterereignisse, die Ausbreitung von durch Vektoren (wie Stechmücken, Zecken etc.) übertragenen Krankheiten, Dürre, Wüstenbildung und Massenvertreibung, einkalkuliert. Notfallhelferinnen und Notfallhelfer wie wir erarbeiten Szenarien für Interventionen und sammeln Erfahrungen, wenn wir unsere Planung in echten Krisen auf die Probe stellen.

Wir arbeiten mit einigen der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen in Klima-Krisengebieten zusammen. Unsere Teams sind daher mit der Art von Herausforderungen im öffentlichen Gesundheitsbereich konfrontiert, deren Anzahl und Schwere sich zu erhöhen droht, ohne dass dringende Maßnahmen zur Reduzierung der CO2-Emissionen ergriffen werden. Wir sind mit einer Klimakrise konfrontiert, die verheerende Folgen für die globale Gesundheit und die humanitären Bedürfnisse hat. Arme und marginalisierte Bevölkerungsgruppen leiden bereits unter den schlimmsten Folgen des Klimawandels und sind dem größten Risiko für künftige Beeinträchtigungen ausgesetzt.

Wir erfahren aus erster Hand, wie Umweltfaktoren humanitäre Krisen verschlimmern können. Einige dieser Erfahrungen hat Ärzte ohne Grenzen in einem Sonderbericht „Klimawandel und Gesundheit: eine neue Grenze für den Humanitarismus“ festgehalten, der im Rahmen des Lancet Countdown-Projekts veröffentlicht wurde und aktuelle und prognostizierte klimabedingte Auswirkungen auf die Gesundheit untersucht.

Das Risiko für Naturkatastrophen steigt

Am Anfang dieses Jahres haben wir nach den verheerenden Überschwemmungen durch Zyklon Idai unsere Notfallhilfe in Mosambik gestartet. Ein paar Wochen später, als die Menschen noch immer an den Folgen der Katastrophe litten, traf ein zweiter Wirbelsturm das Land. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass zwei Wirbelstürme Mosambik in einer einzigen Saison getroffen haben. Das Ausmaß der Schäden, die durch diese aufeinander folgenden Katastrophen verursacht wurden, war laut einer Erklärung der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) ein Weckruf, um sich auf stärkere tropische Wirbelstürme, Überschwemmungen an der Küste und intensive Niederschläge im Zusammenhang mit dem Klimawandel vorzubereiten, so ein Statement der UN-Agentur WMO.

"Niemals in meinem Leben, noch im Leben meiner Eltern und Großeltern, hat jemand so einen Regen gesehen", sagte eine unserer Krankenschwestern aus Mosambik, deren Mann in den Fluten ertrank. "Wenn die Leute in deinem Land die Landschaft von einem Hubschrauber aus beobachten, siehst du die überfluteten Gebiete und die umgerissenen Bäume, aber es gibt viel, was du nicht sehen kannst. Unter dem Wasser, unter den abgebrochenen Zweigen, findet ihr uns – unsere Geschichten, unsere Traurigkeit und unsere Entschlossenheit, zu leben." -  Bericht Blumen im dunklen Wasser

 

Pablo Garrigos/MSF
Mosambik, 2019: Eine Mitarbeiterin evakuiert ein kleines Kind mit Verdacht auf Lungenentzündung während unseres Einsatzes nach Zyklon Idai.

Der Klimawandel wirkt sich auf Gesundheit der Menschen aus

Die Auswirkungen des Klimawandels und der Umweltzerstörung auf die Gesundheit der Menschen sind nicht neu. Der Darfur-Krieg im Sudan, der 2003 begann, wurde als erster "Klimawandelkonflikt" bezeichnet, wobei die Gewalt zum Teil durch Nahrungsmittel- und Wasserunsicherheit ausgelöst wurde, als Gruppen während einer Dürre um knappe Ressourcen kämpften. Während es viele Faktoren hinter diesem Konflikt gab – einschließlich politische, militärische und ethnische –, fügten nachfolgende Studien ein weiteres Element hinzu, das in Betracht gezogen werden sollte: Ein Temperaturanstieg im Indischen Ozean hatte den saisonalen Monsun gestört und zur Austrocknung der Region beigetragen. Der Konflikt forderte 400.000 Menschenleben. Wir behandelten Tausende weitere Opfer extremer Gewalt, Vertreibung und Unterernährung. Da die UNO schätzt, dass bis 2025 zwei Drittel aller Menschen auf der Welt in Gebieten mit einer prekären Wasserlage leben könnten, sind wir äußerst besorgt über die künftige Aussicht auf größere Konflikte und Umwälzungen.

Unterernährung durch Dürre und Wasserknappheit

Wir sehen auch Unterernährung aufgrund von Dürre und Wasserknappheit an Orten wie der Region Tschadsee in der Sahelzone. Der Tschadsee war einst einer der größten Seen Afrikas und eine wichtige Wasserquelle für die Menschen in den umliegenden Ländern Tschad, Kamerun, Nigeria und Niger. Überbeanspruchung und Dürre haben dazu geführt, dass die Menschen nicht genügend Wasser zum Trinken, Kochen oder Waschen haben, geschweige denn, um ihre Felder zu wässern und zukünftige Erträge zu sichern. Kinder sind hier einem hohen Risiko von Mangelernährung ausgesetzt, was wiederum ihre Entwicklung hemmen und ihr Immunsystem schwächen kann. Dies macht sie anfälliger für andere tödliche Krankheiten wie Malaria. Schätzungen zufolge sind 422 Millionen Menschen in 30 Ländern aufgrund klimabedingter Probleme bei der Nahrungsmittelproduktion unterernährt.

 

Francesca Volpi
Choloma, Honduras, 2019: Ein mobiles Team klärt Kinder über Dengue-Fieber auf.

Der Klimawandel führt zu erhöhter Migration

Klimawandel und Umweltzerstörung könnten weiter zu Rekordzahlen bei Migration und Vertreibung beitragen. Obwohl die Schätzungen sehr unterschiedlich sind, ist die am häufigsten zitierte Vorhersage, dass bis 2050 etwa 200 Millionen Klimamigranten ihre Heimat verlassen müssen, wenn sich die aktuellen Trends durchsetzen. In Mexiko behandeln unsere Teams jedes Jahr Tausende von Menschen, die vor extremer Gewalt und Armut in Honduras, El Salvador und Guatemala fliehen. Auch anhaltende Dürre und andere Umweltbelastungen in der Region spielen eine Rolle, wie die Vereinten Nationen und Nachrichtenmedien berichten.

Wir alle tragen Verantwortung

Die Menschen die bereits heute unter der bestehenden Ungleichheit leiden werden auch in Zukunft am meisten gefährdet sein. Im Juni dieses Jahres verpflichtete sich Ärzte ohne Grenzen auf unserer Internationalen Generalversammlung, mehr zu tun, um die zunehmenden humanitären Folgen der Umweltzerstörung und des Klimawandels für gefährdete Bevölkerungsgruppen anzugehen. Wir haben die Verantwortung, es für unsere Patientinnen und Patienten, Mitarbeitenden und die Welt besser zu machen.

Gesundheits- und humanitäre Organisationen müssen mit gutem Beispiel vorangehen und sich mit den Umweltauswirkungen unserer eigenen Hilfsbemühungen befassen. Unsere Arbeit folgt dem Leitbild medizinischer Ethik – insbesondere der Pflicht, Hilfe zu leisten, ohne Einzelpersonen oder Gruppen Schaden zuzufügen. In allen Projekten suchen unsere Teams nach Möglichkeiten, unseren eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Wir haben die Verwendung von Sonnenkollektoren getestet, um unsere Anlagen an Orten wie der Demokratischen Republik Kongo und Haiti mit Strom zu versorgen, und wir bauen ein vollständig energieeffizientes Krankenhaus in Sierra Leone.

 

MSF/Ragnhild Sørheim
Hangha, Sierra Leone, 17.06.2019: Our new hospital in Kenema District.

Während wir alle eine Rolle spielen, müssen Regierungen und umweltbelastende Industrien jetzt handeln, um die Treibhausgasemissionen zu senken und die globale Erwärmung zu begrenzen. Sie haben auch die Pflicht, den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Menschen zu helfen. Es ist klar, dass die katastrophalen Prognosen weit über die Kapazitäten eines bereits überlasteten humanitären Sektors hinausgehen. Es ist jedoch entscheidend, dass wir uns mit den umweltökologischen Herausforderungen befassen, vor denen wir heute stehen, bevor sie zur Vervielfachung humanitärer Katastrophen in der Zukunft führen.

Text von Avril Benoît, Geschäftsführerin von Ärzte ohne Grenzen USA

Avril Benoît, MSF-USA executive director

Avril Benoît, MSF-USA executive director