Lampedusa: Ärzte ohne Patienten

19.11.2009
Ärzte ohne Grenzen sorgt sich aufgrund der Rückschiebepolitik nach Libyen um Migranten und Flüchtlinge

Rom/Wien, 19 November 2009. Die neue italienische Regierungspolitik, dem Zustrom der auf Lampedusa ankommenden Migranten und Flüchtlinge Einhalt zu gebieten, hat zu einem deutlichen Rückgang der Zahl der Migranten und Flüchtlinge geführt. Infolgedessen stellt Ärzte ohne Grenzen seine Arbeit auf der Insel ein. Von Mai bis Oktober 2008 sind nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen in Italien mehr als 21.000 Migranten und Flüchtlinge nach einer gefährlichen Fahrt über das Mittelmeer mit Booten auf der Insel angekommen. Im gleichen Zeitraum dieses Jahres hat die Organisation weniger als 200 Migranten gesehen. Ärzte ohne Grenzen ist extrem besorgt um das Schicksal der Menschen, die von ihrer Landung in Lampedusa abgehalten werden.

Seit der Einführung der neuen Strategie der Regierung in diesem Jahr sind Berichten zufolge viele Boote mit Migranten und Flüchtlingen auf dem Meer abgefangen und nach Libyen zurückgedrängt worden. Die erste offiziell „erzwungene Rückkehr“ fand laut der italienischen Regierung im Mai diesen Jahres statt. Den Migranten und Flüchtlingen wurde die Ankunft in Europa und damit die dringend benötigte humanitäre Hilfe verweigert. 

„Wir hören häufig schreckliche Geschichten von unseren Patienten über ihre Reise. Sie haben die Wüste durchquert, wurden in ein Gefängnis gesteckt, in dem sie keine Nahrung und kein Wasser bekommen haben, wurden misshandelt und geschlagen, Frauen wurden vergewaltigt. Bevor sie es endlich schaffen, auf ein Boot in Richtung Italien oder Malta zu gelangen, gehen sie durch die Hölle. Jetzt werden sie zurückgeschickt und erleben diesen Albtraum erneut. Das ist ein große Bedrohung für ihre Gesundheit und ihr Leben“, erklärt Antonio Virgilio, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen für Italien und Malta.

Lampedusa ist seit Jahren ein Ankunftshafen für Migranten und Flüchtlinge, die das Mittelmeer nach Europa überqueren. Seit 2002 leistet ihnen Ärzte ohne Grenzen auf der Insel medizinische Hilfe. Die Menschen leiden an Muskelbeschwerden, Dehydrierung und Verbrennungen von der Sonne und von Benzin und sind von der Reise traumatisiert. Auch sind immer mehr Frauen und Kinder unter ihnen. Im Jahr 2008 war von den Patienten, die Ärzte ohne Grenzen behandelt hat, eine von zehn Frauen schwanger.

Allein 2008 hat Ärzte ohne Grenzen mehr als 1.400 Migranten und Flüchtlingen medizinische Hilfe geleistet, die am Hafen von Lampedusa angekommen sind. Die meisten von ihnen kamen aus subsaharischen Ländern Afrikas, ein Drittel kam aus ostafrikanischen Ländern, einschließlich Somalia und Eritrea. Sie ertragen die harte Reise, weil sie vor Konflikten, Entbehrungen oder weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen fliehen. Unterwegs sind die Menschen oft Opfer von Misshandlung und Gewalt, einschließlich Vergewaltigungen.

Seit Mai 2009 hat Ärzte ohne Grenzen jedoch weniger als 160 Patienten behandelt und zieht als Reaktion auf die beunruhigend niedrige Zahl ankommender Migranten und Flüchtlinge seine Mitarbeiter von Lampedusa ab.

„Wir haben Berichte, dass einige Boote auch nach Porto Empedocle auf Sizilien geschickt werden. Wir haben versucht, die Ankömmlinge nach ihrer Ankunft zu sehen und Hilfe anzubieten, aber wir haben keine Genehmigung der lokalen Behörden bekommen“, erklärt Loris de Filippi, Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen.

Ärzte ohne Grenzen bietet weiterhin ungeschützten Migranten und Flüchtlingen humanitäre Hilfe an, die zunehmend restriktive Strategien auf dem Festland Italiens erleben. In Italien arbeitet Ärzte ohne Grenzen seit 1999 mit Migranten und Flüchtlingen. Zudem bietet die Organisation Migranten und Flüchtlingen auf Malta, in Griechenland, Frankreich, Marokko, Südafrika, Thailand und im Jemen medizinische Hilfe an.