In den vergangenen Jahren führte die restriktive Politik der italienischen Regierung gegenüber Geflüchteten und Migrant:innen beispielsweise dazu, dass teilweise Häfen für private Seenotrettungsschiffe geschlossen wurden. An Land gibt es Engpässe bei der Versorgung dieser und anderer benachteiligter Menschen. Für sie stellen wir an verschiedenen Orten medizinische Angebote bereit: Seit Juli 2021 arbeiten wir z.B. erneut auf der italienischen Insel Lampedusa, wo wir Überlebende von Seenotvorfällen medizinisch und psychologisch unterstützen. Zu unseren Aktivitäten bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie gehören Maßnahmen, die die Hygiene- und Gesundheitsbedingungen von Bewohner:innen informeller Siedlungen und Unterkünften in Rom stärken sollen. Außerdem arbeiten wir in Aufnahmezentren in Sizilien in der Gesundheitsaufklärung und unterstützen Infektionsvorbeugung- und Kontrolle.
1999
Beginn der Arbeit
2,7
Mio. EUR
Ausgaben (Vorjahr)
27
Einsatzkräfte
Ländervergleich Österreich & Italien
Von der COVID-19-Pandemie schwer getroffen
Italien war 2020 das erste europäische Land, das von Covid-19 schwer getroffen wurde. Anfang März begannen wir daher mit der Arbeit in Krankenhäusern in der Region Lombardei, wo es die meisten infizierten Menschen gab. Wir unterstützen in den Bereichen Infektionsprävention und -kontrolle sowie bei der Patient:innenversorgung. Anschließend weiteten wir unsere Aktivitäten auf andere Regionen aus. Wir konzentrierten uns dabei auf besonders vulnerable Gruppen: Unsere Teams arbeiteten in Pflegeheimen, Gefängnissen, Zentren für Migrant:innen, Unterkünften für obdachlose Menschen, informellen Siedlungen und besetzten Häusern. Zudem unterstützten wir zivilgesellschaftliche Gruppen, die Hilfe leisteten, und betreuten mehrsprachige Aktivitäten zur Gesundheitsförderung und bei Online-Sitzungen zur psychologischen Hilfe.
Als wir in Lodi in der Lombardei ankamen, waren viele Krankenhausmitarbeiter:innen offensichtlich traumatisiert. Sie waren geschockt, wie schnell alles kritisch geworden war. Sie wollten darüber reden – wir hörten zu. Offen zu reden und zu weinen vor Menschen, die verstehen, was man selbst erlebt, ist sehr wichtig. Es zeigt: Du bist nicht allein. Es gibt Kraft weiterzumachen.
Obwohl unsere Nothilfe-Maßnahmen im Rahmen der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie im Juli 2020 endeten, führten wir andere Covid-19-Aktivitäten weiter. In den Außenbezirken von Rom unterstützten wir z.B. bei der Früherkennung und Behandlung von Covid-19-Erkrankten. In Palermo reagierten wir auf Ausbrüche in Unterkünften für obdachlose Menschen und in Zentren für Migrant:innen.
Hilfe für traumatisierte Migrant:innen
Im Sommer 2020 gab es auf der italienischen Insel Lampedusa einen starken Anstieg an Migrant:innen und Geflüchteten. Die meisten kamen aus Libyen und Tunesien über die tödliche Route durch das Mittelmeer. Zwei Monate lang unterstützten und schulten wir die medizinischen Teams des nationalen Gesundheitsdienstes in der Triage. Denn viele Männer, Frauen und Kinder kommen mit Verletzungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen an: Oftmals waren sie zuvor Monate oder Jahre unterwegs gewesen. Vielfach waren sie Situationen ausgesetzt, in denen sie keine medizinische Hilfe erhalten konnten. Bei der Überquerung des Mittelmeers geraten sehr viele in Seenot und treiben tagelang auf dem Wasser. Dadurch dehydrieren die Menschen stark. Durch die gefährliche Salzwasser-Benzinmischung, in der sie in den engen Booten sitzen müssen, tragen sie vielfach schwere Verätzungen davon.
Zudem wurden viele Migrant:innen und Geflüchtete durch Erlebnisse während ihrer Reise traumatisiert: Z.B. durch lebensbedrohliche Situationen bei der Fahrt über das Mittelmeer oder während sie in libyschen Camps schutzlos zwangsinterniert worden waren. Die Lebensbedingungen sind dort katastrophal: Erpressungen und Folter sind an der Tagesordnung. Wir boten in Lampedusa Angekommenen daher psychologische Erste Hilfe an.
Unterstützung an der norditalienischen Grenze
An der italienischen Grenze zu Frankreich, der Schweiz und Slowenien, wo Migrant:innen und Geflüchtete unterwegs sind, waren und sind wir weiterhin präsent. Die Menschen werden an der Grenze zurückgedrängt und körperlich misshandelt. Wir haben daher die schrecklichen Lebensbedingungen und den inakzeptablen Umgang mit ihnen angeprangert.
Dank eines umfassenden Solidaritätsnetzwerks, das in der Region aufgebaut wurde, können wir Menschen auf der Durchreise erreichen. Die gesamte Unterstützung wird von Freiwilligen bereitgestellt. Ärzte ohne Grenzen hat uns Schlafsäcke, Decken, Schuhe und Kleidung gespendet, die wir an Menschen auf der Durchreise verteilen - alles wichtige Dinge, damit sie ihren Weg auch in den Wintermonaten fortsetzen können.
Wir arbeiten mit lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen, um Hilfsgüter zu verteilen. Außerdem bieten wir Durchreisenden eine medizinische Versorgung an.
2019
Unsere Aktivitäten im Überblick:
- 490 psychologische Einzelgespräche
- 1.540 ambulante Sprechstunden
Ärzte ohne Grenzen setzte im Jahr 2019 die Hilfe in Italien für Flüchtlinge und Migranten fort. Die strengere Asyl- und Migrationspolitik der italienischen Regierung erschwerte den Bedürftigen den Zugang zu medizinischer Hilfe.
Die Hilfe in Italien im Einzelnen:
- Ärzte ohne Grenzen leistete im Jahr 2019 weiterhin Hilfe in Italien, um die Engpässe in der medizinischen Versorgung für Geflüchtete und Migrantinnen auszugleichen und die restriktive Politik der Regierung anzufechten.
- Von Juli bis November betreuten die Teams eine mobile Klinik in der Region Basilicata im Süden Italiens, um Migrantinnen und Tagelöhner in der Landwirtschaft medizinisch zu versorgen. Die meisten von ihnen lebten in überfüllten Unterkünften unter unhygienischen Bedingungen in meist ländlichen Gegenden oder in Notlagern. In dieser Zeit hielten die Teams mehr als 900 medizinische Sprechstunden ab und vermittelten über Partnerorganisationen rund 400 Rechtsberatungen. Zum Jahresende übergaben wir diese Hilfe in Italien an eine Gruppe lokaler Ärztinnen und Ärzte.
- Im November schlossen wir das Rehabilitationszentrum für Folteropfer, das wir in Rom im Jahr 2016 eröffnet und gemeinsam mit den lokalen Partnerorganisationen `Medici Contro la Tortura´ und der `Associazione per gli Studi Giuridici sull'Immigrazione´ betreut hatten. Diese Hilfe in Italien folgte einem multidisziplinären Ansatz: Es schloss medizinische und psychologische Hilfe sowie Physiotherapie und soziale Unterstützung für mehr als 200 Patient*innen ein. Die meisten von ihnen wurden 2019 entlassen. Etwa zehn Patientinnen und Patienten wurden an unsere Partner oder andere Organisationen überwiesen.
- Unsere Teams boten weiterhin psychologische Erste Hilfe in Italien für Flüchtlinge an, die in den südlichen Häfen an Land kamen und bei der Überquerung des Mittelmeers traumatische Erfahrungen gemacht hatten. Im Jahr 2019 half unser Team aus Psychologinnen und kulturellen Vermittlern mehr als 38 Flüchtlingen bei zwei Einsätzen in Lampedusa und Catania.
- Gemeinsam mit lokalen Behörden unterstützten wir 2019 im Rahmen unserer Hilfe in Italien rund 1.600 Flüchtlinge in Palermo, Rom und Turin dabei, Zugang zum nationalen Gesundheitssystem zu erhalten.
Ärzte ohne Grenzen bot erstmals 1999 Hilfe in Italien an.
Mai 2020