Nordost-Nigeria: „Ich will nicht von Hilfe abhängig sein, aber wir können nicht nach Hause zurück."

17.01.2018
Dr. Silas Adamou-Moussa, stellvertretender Projektleiter in Nigeria, beschreibt die Situation im Bundesstaat Borno. Vertriebene sitzen dort fest und kämpfen ums Überleben.
Rann
Sylvain Cherkaoui/COSMOS
Daily life in Rann

Dr. Silas Adamou-Moussa, stellvertretender Projektleiter von Ärzte ohne Grenzen in Nigeria, beschreibt die Situation im Bundesstaat Borno. Vertriebene sitzen dort fest und kämpfen täglich ums Überleben.

„Ich befinde mich gegenwärtig im Bundesstaat Borno im Nordosten Nigerias. In unserem Spital in Ngala traf ich Yakura Fatama, eine Mutter von sechs Kindern. Sie musste ihr Haus verlassen und war zwei Tage lang zu Fuss unterwegs, um in Ngala Zuflucht zu suchen. ,Ich habe keine Unterkunft, keine Nahrungsmittel und keinerlei Behälter, um darin zu kochen oder Wasser zu tragen‘, sagte sie mir. ‚Es beschämt mich, dass ich von der Hilfe anderer abhängig bin, aber wir können nicht nach Hause zurückkehren. Dort würden sie uns allen die Kehle durchschneiden, sogar dem Kleinen.‘

Ein Kampf ums Überleben

Hier im Bundesstaat Borno habe ich viele Patienten und Patientinnen von Ärzte ohne Grenzen kennengelernt, die wie Yakura gezwungen waren, wegen der Gewalt ihre Heimat zu verlassen. Sie erzählten mir von ihrem Kampf ums Überleben und ihrem Wunsch, in den Alltag zurückzukehren und wieder für ihre Familien den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie sind auf Hilfe angewiesen und erhalten nur das absolute Minimum. Viele haben in Lagern Zuflucht gesucht, die vom Militär kontrolliert werden. Die Bewegungsfreiheit in diesen Lagern ist stark eingeschränkt, doch sie müssen dort bleiben, weil es zu gefährlich wäre, nach Hause zurückzukehren.

In den abgelegenen Gebieten Bornos fehlt es nach wie vor am Nötigsten, und es erschüttert mich zu sehen, wie wenig Hilfe bei denen ankommt, die sie am dringendsten brauchen. Die Hilfsorganisationen haben zwar ihre Aktivitäten verstärkt, doch es reicht nicht, um den Bedarf der Menschen zu decken.

40.000 Menschen monatelang ohne Hilfe

Zudem stellen die instabile Sicherheitslage und die Abgelegenheit der Region große Herausforderungen an die Hilfeleistenden. Wir müssen das Sicherheitsrisiko für unsere Teams ständig neu einschätzen und die Bedürfnisse der Menschen dagegen abwägen. Und wir können nur die Zonen besuchen, die das Militär freigibt. Was außerhalb dieser Gebiete geschieht und welche medizinischen Bedürfnisse die Menschen dort haben, wissen wir nicht. Jede Woche kommt aus diesen Gebieten eine kleine, aber konstante Anzahl von Menschen zu uns.

Das abgelegene Städtchen Rann zum Beispiel war während der Regenzeit, als die Zugangsstraßen überflutet waren, praktisch von der Außenwelt abgeschnitten. In dieser Zeit konnten weder Nahrungsmittel noch Hilfsgüter angeliefert werden, sodass 40.000 Menschen monatelang ohne Hilfe blieben.

Mobile Teams leisten medizinische Versorgung

Während der Regenzeit entsandten wir mobile Teams nach Rann, um die Kinder unter fünf Jahren präventiv gegen Malaria zu behandeln, da diese Krankheit in dieser Zeit die häufigste Todesursache ist. Seit September ist nun eines unserer medizinischen Teams permanent dort tätig. Die Patienten und Patientinnen, die wir behandeln, leiden vor allem unter Krankheiten, die auf die schlechten Lebensbedingungen und den Mangel an sauberem Wasser zurückzuführen sind. In der Regenzeit wurden die Unterkünfte vieler Menschen überflutet. Die häufigsten Krankheiten waren Atemwegsinfektionen und Durchfall. Seit August greift in Rann auch Hepatitis-E um sich. Die Mangelernährungsrate hat sich zwar etwas stabilisiert, doch behandeln wir weiterhin viele mangelernährte Kinder.

Ähnlich besorgniserregende Situationen finden wir an mehreren Orten in Borno vor. Die Menschen sitzen fest und brauchen Hilfe. Es ist nicht anzunehmen, dass sich ihre Lage in nächster Zukunft verbessern wird.“