Sahel: Ärzte ohne Grenzen reagiert auf erwartete Nahrungsmittelkrise

30.03.2012
In Sahelzone droht akute Krise

Themengebiet:

Niger 2012
Julie Rémy
Dakoro, Niger, 21.03.2012: In der Region Maradi wird das Land immer trockener und trockener.

Die jährliche „Hunger-Saison“ scheint in diesem Jahr in der Sahelzone besonders ernst zu sein. Einige wenige Regionen drohen in den kommenden Monaten einer akuten Ernährungskrise gegenüberstehen. Ärzte ohne Grenzen erweitert daher seine Ernährungsprojekte, um auf den Höhepunkt der saisonal bedingten Mangelernährungsraten zu reagieren. Gleichzeitig entwickelt die Organisation ebenfalls langfristig ausgelegte Aktivitäten, die in die bestehenden Projekte integriert werden können.

Für die westliche Sahelzone wurde eine Ernährungskrise ausgerufen. Nach Schätzungen von Unicef sind bis zu 15 Millionen Menschen in sechs Ländern der Region von moderater bis akuter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. In einer Region, in der die Raten der globalen akuten Mangelernährung bei Kindern regelmäßig den warnenden Grenzwert von 10 Prozent überschreiten, kann jeder Faktor, der den Zugang zu Nahrung weiter verschlechtert, den Ausschlag für eine ausgewachsene Ernährungskrise geben.

Neue Ernährungszentren

Auch wenn Ärzte ohne Grenzen bis jetzt keinen signifikanten Anstieg der Fälle in seinen bestehenden Ernährungsprojekten festgestellt hat, musste die Organisation dennoch neue Ernährungszentren in Biltine und Yao im Tschad eröffnen, wo Raten von 24 Prozent und 20 Prozent akuter Mangelernährung festgestellt wurden. Die Teams untersuchen derzeit auch die Ernährungslage in anderen Regionen des Tschad, genauso in Mali, Niger, Mauretanien und Senegal.

Ausmaß noch schwer einschätzbar

„Es ist zu früh, um das Ausmaß der erwarteten Ernährungskrise abzuschätzen“, sagt Stéphane Doyon, Koordinator der Kampagne gegen Mangelernährung von Ärzte ohne Grenzen. „Üblicherweise haben wir die schwerste Phase noch vor uns – zwischen Mai und Juli. Dennoch können wir bereits jetzt absehen, dass hunderttausende Kinder an akuter schwerer Mangelernährung leiden werden, wie jedes Jahr in der Region.“

Allein im Niger wurden im Jahr 2010 – einem „Krisenjahr“ – 330.000 Kinder gegen akute schwere Mangelernährung behandelt. 2011 galt für die Landwirtschaft als „gutes Jahr“, die Zahl der behandelten Kinder betrug dennoch 307.000 Kinder. Dies deutet auf eine wiederkehrende Krise hin. „Wir müssen überdenken, was eine ‚Krise‘ in der Region ausmacht und was als ‚normal‘ zu bezeichnen ist“ sagt Doyon. „Mehr als 300.000 schwer mangelernährte Kinder, das ist eine enorme Zahl – und das betrifft nur den Niger. Humanitäre Nothilfe ist nötig, denn sie rettet Leben, aber sie kann nicht die einzige Option sein.“

Komplexe Aufgaben für Hilfsorganisationen

Nachdem sechs Regierungen der Region schon im vergangenen Herbst Warnungen ausgerufen haben, was es heuer möglich, ehrgeizige Maßnahmen zu entwickeln. Diese gibt es jetzt auf Papier, aber sie werden nicht leicht umzusetzen sein. Die Finanzierung ist noch nicht gesichert und der Zugang zu den entlegensten Gebieten der Region wird schwierig. Außerdem erschweren schlechte Sicherheitsbedingungen und Gewalt in manchen Gebieten schon jetzt die Hilfeleistungen. Die Bevölkerungen der verschiedenen Länder haben auch sehr unterschiedlichen Zugang zu Gesundheitsversorgung. All das bedeutet, dass die Hilfsorganisationen vor einer sehr komplexen Aufgabe stehen. 

Viele der in der Region tätigen Hilfsorganisationen sind sich einig, dass sie einen Übergangen von der Nothilfe in Richtung struktureller Maßnahmen zur längerfristigen Bekämpfung von Krankheiten schaffen müssen. Ärzte ohne Grenzen setzt bereits Strategien ein, die dazu beitragen die wiederkehrende Ernährungskrise im Sahel nicht nur im Augenblick, sondern auch über die Zeit zu bekämpfen. 

Neue Wege wichtig

So wird die Organisation beispielsweise im Jahr 2012 die Aktivitäten in der Region entsprechend der aktuellen Bedürfnisse ausweiten. In Hilfsprogrammen, die Ärzte ohne Grenzen schon seit einigen Jahren betreibt, insbesondere in Niger, Mali, Burkina Faso und im Tschad, werden sowohl die am meisten gefährdeten Kinder behandelt, als auch nach neuen Wege gesucht, die unterschwellige Dynamik der wiederkehrenden Mangelernährung zu erkennen.

„Niemand kann die Lösung schlechthin anbieten. Aber wir wissen nun, dass die Behandlung von Kindern vielversprechende Ergebnisse bringt, wenn wir ihren Müttern Verantwortung für ihre Versorgung geben. Außerdem kann die Verwendung spezieller milchbasierter Produkte präventiv wirken“, erklärt Doyon. „Unser Ziel ist es, die einfachsten und kostensparendsten Herangehensweisen zu erkennen, damit alle Kinder Zugang dazu haben können, so wie bei regelmäßigen Impfungen oder Basis-Gesundheitsversorgung. Von beiden Maßnahmen wissen wir, dass sie die Kindersterblichkeit verringern.“

2011 wurden allein in Niger mehr als 100.000 schwer unterernährte Kinder in Programmen von Ärzte ohne Grenzen behandelt. Mehr als 90 Prozent dieser Kinder wurden wieder gesund. In Niger und Mali versorgte Ärzte ohne Grenzen in Verbindung mit den regulären pädiatrischen Programmen mehr als 35.000 Kinder mit milchbasierter Nahrungsergänzung.