Syrien: „Während der Schlacht um Rakka kümmerte sich niemand um die Zivilbevölkerung“

16.11.2017
Natalie Roberts, Leiterin der Nothilfe-Projektabteilung von Ärzte ohne Grenzen in Paris berichtet in einem Interview von dem Leid der Zivilbevölkerung während der Schlacht um Rakka.
Medical care in Ain Issa camp
Agnes Varraine-Leca
Ain Issa camp, Syria, september 2017. Whahida posing with her son in a tent. Wahida, Aziza and Jamila were neighbour, they lived in a village situated in the suburb of Raqqa. They decided to run away with their respective families when the bombardments of the international coalition intensified, last July. The memories of the life under Daech return. Before the take of the city by the Islamic State, in August, 2013, Jamila worked in a private hospital. An employment which she had to leave with the arrival of the fighters of the Islamic State. The husband of Aziza was arrested four him four times because this one did not wear gloves to cover the hands. All remember themselves holes dug by Daech in the walls of the houses of the district, to connect buildings between them, allowing them to circulate freely from one place to the other. " If you do not go to the city center, you will be executed ". One evening, the soldiers of Daech go into the house of Wahida and strike her violently. She and her family are summoned to join the center of Raqqa, at the risk of being executed. The bombardments of the coalition and the fights are daily. The inhabitants living in outskirts are obliged to group together around the fighters of the EI to serve as human shields. Wahida takes advantage of this movement towards the center to escape with her family. Together, they cross the Euphrates and walk during four hours, until their road eventually crosses that of the Syrian Democratic Strengths, an alliance of Kurdish and Arabic fighters supported by the international coalition, who will take them up to Ain Issa camp. Now, she is waiting for the liberation of the city to go back to her life. Camp d'Ain Issa, Syrie, septembre 2017. Wahida pose sous une tente du camp avec son fils. *** Wahida, Aziza et Jamila étaient voisines, elles habitaient dans un village situé dans la banlieue de Raqqa. Elles ont décidé de fuir avec leurs familles respectives lorsque les bombardements de la coalition internationale se sont intensifiés, en juillet dernier. Les souvenirs de la vie sous Daech reviennent. Avant la prise de la ville par l'Etat Islamique, en août 2013, Jamila travaillait dans une clinique privée. Un emploi qu'elle a été obligée de quitter avec l'arrivée des combattants de l'Etat Islamique. Le mari d'Aziza a quant à lui été arrêté quatre fois car celle-ci ne portait pas de gants pour couvrir ses mains. Toutes les trois se rappellent les trous creusés par Daech dans les murs des maisons du quartier, pour relier les bâtiments entre eux, leur permettant de circuler librement et à couvert d'un endroit à l'autre. « Si vous n'allez pas dans le centre, vous serez exécutés ». Un soir, les soldats de Daech rentre dans la maison de Wahida et la frappent violemment. Elle et sa famille sont sommés de rejoindre le centre de Raqqa, sous peine d'être exécutés. Les bombardements de la coalition et les combats sont quotidiens. Les habitants vivant en périphérie sont obligés de se regrouper autour des combattants de l'EI pour servir de boucliers humains. Wahida profite de ce mouvement vers le centre pour s'échapper avec sa famille. Ensemble, ils traversent l'Euphrate et marchent pendant quatre heures, jusqu'à ce que leur route finisse par croiser celle des Forces Démocratiques Syriennes (FDS), une alliance de combattants kurdes et arabes soutenue par la coalition internationale, qui les emmèneront jusqu'au camp d'Ain Issa. Aujourd'hui, Wahida attend que la ville soit libérée de l'Etat Islamique et déminée pour pouvoir y retourner.
Viereinhalb Monate dauerte die Offensive der „Demokratischen Kräfte Syriens“ (Syrian Democratic Forces - SDF) und der internationalen Koalition, um Rakka vom sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) zurückzuerobern. Das Ausmaß der Verwüstung zeugt nicht nur von der Intensität der Kämpfe und Luftangriffe, sondern wirft auch Fragen nach dem Schicksal der verbliebenen Zivilbevölkerung auf. Mit dem Beginn der Kämpfe waren die Menschen in der Stadt gefangen, ohne Zugang zu humanitärer Hilfe. Ein Interview mit Natalie Roberts, Leiterin der Nothilfe-Projektabteilung von Ärzte ohne Grenzen in Paris.  

Konnten Teams von Ärzte ohne Grenzen den Menschen in Rakka vor Ort helfen?

Während der Offensive hatte Ärzte ohne Grenzen keinen Zugang zu den Menschen in Rakka. Genauso ging es allen anderen humanitären Organisationen. Während der gesamten Dauer der Kämpfe waren unsere Teams praktisch machtlos, wir konnten den in der Stadt gefangenen Menschen keinerlei Hilfe zukommen lassen. Unsere Arbeit beschränkte sich auf die Krankenhäuser in Kobane, Tal Abjad und al-Hasaka sowie auf die Vertriebenenlager. Nachdem Rakka Mitte Oktober vom IS zurückerobert wurde, schafften es knapp 1.300 Menschen aus der Stadt heraus in das Lager in Ain Issa, wo Ärzte ohne Grenzen medizinische Nothilfe leistet. Die meisten von ihnen waren Frauen und Kinder. Die wenigen Männer, die sie begleiteten, waren entweder älter oder waren während der Offensive verwundet und zunächst in Krankenhäusern in Rakka behandelt worden, die unter der Kontrolle des „Islamischen Staats“ standen.   Die Vertriebenen kamen in Begleitung der SDF. Sie berichteten uns jedoch, dass ihnen nicht geholfen worden war, sicher aus der Stadt zu einem der Checkpoints rund um Rakka zu gelangen. Fast die Hälfte von ihnen befindet sich nun in einem Gelände außerhalb des Vertriebenenlagers von Ain Issa. Die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, berichteten, wie massiv die Luftangriffe gewesen waren, welchen Schrecken sie verursacht hatten und wie sich ihre Lebensbedingungen zunehmend verschlechtert hatten. Sie schilderten uns beispielsweise, wie Menschen auf der Suche nach Wasser auf den Straßen verwundet worden oder zu Tode gekommen waren. Wenn nachts in einem Haus das Licht angegangen war, war es Ziel von Mörserfeuer oder Luftangriffen geworden. Sie sagten uns auch, dass es mehr Männer gab, die zusammen mit ihnen entkommen konnten. Sie wurden jedoch von den SDF weggebracht, höchstwahrscheinlich in ein Internierungslager. Wir wissen nicht, ob sie medizinische Hilfe benötigten oder erhalten haben.  

Was wissen wir über die Zivilisten, die sich während der Offensive in Rakka aufhielten?

Als der IS im Jahr 2014 die Stadt übernahm, entschloss sich ein Teil der Einwohner, die Stadt zu verlassen. Sie gingen in die Türkei, nach Europa oder anderswohin. Andere entschieden sich dazu, zu bleiben. Sie konnten oder wollten ihr Zuhause nicht verlassen. Viele hatten gar keine Wahl, wie arme und ältere Menschen oder jene, die keine Kontakte außerhalb hatten.   Es ist unmöglich zu sagen, wie viele Zivilisten sich während der Offensive in der Stadt befanden, wie viele verletzt oder getötet wurden. Während der Kämpfe um Rakka kümmerte sich keiner um sie. Die Flucht war inzwischen extrem schwierig geworden. Es gab auch keine Krankenwagen mehr und so blieben den Verwundeten nur Militärfahrzeuge, um evakuiert zu werden. Damit lag es komplett im Ermessen der Soldaten, ob man gerettet wurde. Trotz der Intensität der Luftangriffe, welche zur totalen Zerstörung der Stadt führten, wurden nur sehr wenig verletzte Zivilisten aus der Kampfzone gebracht. Die wenigen Krankenhäuser mit Notaufnahme und OP-Saal in der Region, die sich um Kriegsverletzte hätten kümmern können, waren nicht ausgelastet. In das Krankenhaus in Kobane, in das Verletzte überwiesen wurden, die eine orthopädische Behandlung benötigten, wurden im September lediglich drei Patienten und Patientinnen eingeliefert.   Die SDF gab bekannt, dass in der letzten Woche der Kämpfe 3.000 Zivilisten evakuiert wurden. Es ist allerdings unmöglich, diese Zahl nachzuprüfen, genauso wie die Behauptung eines SDF-Sprechers, dass zum Zeitpunkt des finalen Angriffs keine Zivilisten mehr in Rakka waren. Man wird wohl nie erfahren, wie viele Menschen bei der Offensive verletzt oder getötet wurden.