Tuberkulose: „Die Forschung wurde lange Jahre vernachlässigt“

16.08.2013
Interview: Philipp Frisch, Koordinator der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen Deutschland

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Philipp Frisch (c) Barbara Sigge Aerzte ohne Grenzen
Barbara Sigge/MSF
16.08.2013: Philipp Frisch, Koordinator der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, über die Hürden im weltweiten Kampf gegen Tuberkulose.

Weltweit erkranken jedes Jahr bis zu neun Millionen Menschen an Tuberkulose – einer Infektionskrankheit, die in Westeuropa fast in Vergessenheit geraten ist. Vor allem medikamentenresistente Tuberkulose-Formen, die sehr schwierig zu behandeln sind, sind weltweit auf dem Vormarsch. Im Interview berichtet Philipp Frisch, Koordinator der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, über die Hürden im weltweiten Kampf gegen Tuberkulose.

 

Tuberkulose galt lange als „besiegt". Wie kommt es, dass die Krankheit heute wieder ein Thema ist?

 

In vielen Teilen der Welt war Tuberkulose nie eine besiegte Krankheit. Ein großes Problem ist, dass man die Forschung lange Jahre vernachlässigt hat. Die Folgen bekommen wir nun immer stärker zu spüren. Teilweise wird seit 60 Jahren mit den gleichen Medikamenten behandelt. Tuberkulose bzw. die Bakterien haben aber die Eigenschaft, sich an die Behandlung anzupassen und zunehmend Resistenzen zu entwickeln.

 

Wie viele Menschen sind von Tuberkulose betroffen?

 

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass ein Drittel der Weltbevölkerung den Erreger in sich trägt. Natürlich bricht die Krankheit nicht immer aus. Dennoch geht man davon aus, dass es jedes Jahr weltweit etwa neun Millionen neue Fälle gibt, und leider auch bis zu 1,4 Millionen Menschen an der Krankheit sterben. Tuberkulose ist also nach wie vor ein großes Problem, vor allem in Asien und Afrika, aber auch immer mehr in Osteuropa.

 

Ärzte ohne Grenzen behandelt rund 30.000 Betroffene pro Jahr. Was sind dabei die größten Herausforderungen?

 

Es gibt gleich mehrere Herausforderungen. Zum einen ist die Diagnose von Tuberkulose nach wie vor sehr schwierig. Der am weitesten verbreitete Test ist noch immer derjenige, den bereits Robert Koch verwendete, als er die Tuberkulose im Jahr 1882 entdeckte. Bei diesem Test wird das Sputum, der Hustenauswurf, mikroskopisch untersucht. Allerdings ist der Test sehr unzuverlässig, viele Tuberkulose-Fälle werden nicht erkannt. Gleichzeitig ist er ungeeignet für die Diagnose bei Kindern und HIV/Aids-Patienten. Zwar gibt es jetzt eine neue Diagnose-Maschine, den „GeneXpert", doch ist diese auf ein ausgeprägtes Labor-Setting angewiesen und funktioniert in manchen Gegenden einfach nicht.

Die zweite große Herausforderung ist, dass die Behandlung bislang äußerst mühsam ist. Selbst wenn keine Resistenzen gegen gängige Medikamente vorliegen, dauert die Behandlung der Tuberkulose mindestens sechs Monate. Währenddessen müssen die Patienten eine große Zahl Tabletten schlucken. Darüber hinaus gibt es Probleme bei HIV-Koinfektionen, weil TB-Medikamente häufig mit HIV-Medikamenten interagieren. Eine weitere sehr große Herausforderung ist die Behandlung der Tuberkulose bei Kindern: Jedes Jahr sterben etwa 70.000 Kinder an TB. Gerade bei Kindern ist die Diagnose und die Behandlung besonders schwierig, weil weder Testverfahren, noch Medikamente auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind.

 

Ein wachsendes Problem sind Resistenzen. Wie wirken diese sich für Patienten konkret aus?

 

Resistenzen entstehen, wenn man sehr lange mit den gleichen Antibiotika arbeitet – und genau das ist passiert. Die Bakterien „gewöhnen" sich an dieses Antibiotikum und die Medikamente werden unwirksam. Das ist höchst problematisch für die betroffenen Patienten.

Es gibt verschiedene Arten von Resistenzen. Zum einen gibt es multiresistente Keime, gegen welche die zwei Standard-Antibiotika nicht mehr wirken, zum anderen aber auch extrem resistente Keime, die zusätzlich noch gegen weitere Medikamente resistent sind. Diese multiresistenten Formen bedürfen einer weitaus schwierigeren, oft 24 Monate dauernden Behandlung mit bis zu 20 Tabletten am Tag und schmerzhaften Injektionen über neun Monate hinweg. Die eingesetzten Medikamente haben extreme Nebenwirkungen, bis hin zu Psychosen, permanentem Hörverlust oder Schwindelgefühl. Auch deshalb ist es nicht verwunderlich, dass viele Patienten diese Therapie nicht aushalten und sie vorzeitig abbrechen. Darüber hinaus sind die Kosten bei der Behandlung der multiresistenten Tuberkulose sehr viel höher als bei nicht-resistenten Formen. Gleichzeitig liegt die Wirksamkeit der Medikamente gerade einmal bei zirka 50 Prozent. Selbst nach der gesamten 24 Monate dauernden schmerzhaften Behandlung ist also nur einer von zwei Patienten tatsächlich geheilt.

 

Derzeit werden zwei neue Medikamente eingeführt – eine große Chance?

 

Das stimmt, es gibt derzeit mit Delamanid und Bedaquilin zum ersten Mal seit 50 Jahren zwei neue Tuberkulose-Medikamente. Das ist definitiv ein großer Schritt in die richtige Richtung. Zugleich wird deutlich, wie groß das Problem eigentlich ist. 50 Jahren ohne neue Medikamente – das zeigt, dass die Politik bislang nicht die richtigen Forschungsanreize gesetzt hat. Jetzt ist es wichtig, dass Patienten in ärmeren Ländern auch Zugang zu diesen Medikamenten bekommen. Deshalb müssen sie zu bezahlbaren Preisen und möglichst breit verfügbar gemacht werden.

 

Wird international genug gegen Tuberkulose unternommen?

 

Ganz klar: Nein. Es gibt zwei Bereiche in denen sehr viel mehr passieren muss und in die Staaten, auch Österreich, sehr viel mehr investieren müssen. Der erste Bereich betrifft die Behandlung der Krankheit, von der immer noch viele Menschen ausgeschlossen sind, weil sie keinen Zugang bekommen. Auf internationaler Ebene muss mehr Geld zur Verfügung gestellt werden und beispielsweise auch der Globale Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria stärker unterstützt werden. Dabei ist definitiv auch Österreich in der Pflicht: Österreich hat 2001 nur einmalig eine Million Euro in den Globalen Fonds eingezahlt. Das ist angesichts der Wirtschaftskraft des Landes deutlich zu wenig, und reflektiert bei weitem nicht Österreichs globale Verantwortung.

Der zweite große Bereich ist die Forschungspolitik: Man darf sich auf den zwei neuen Medikamenten nicht ausruhen. Es muss weiter geforscht werden. Es muss mehr Geld in die Erforschung neuer Medikamente und neuer Diagnosemethoden investiert werden, und die „Regime", also die Therapien aus mehreren Medikamenten, müssen besser abgestimmt werden.

 

Wie wird Ärzte ohne Grenzen in den kommenden Jahren mit dem Problem Tuberkulose umgehen?

 

Zum einen behandeln wir natürlich weiter: die Zahl der Tuberkulose-Patienten in unseren Projekten steigt rapide. Zum anderen setzen wir die Advocacy-Arbeit fort. Wir treten also weiter für die Interessen unserer Patienten ein. Teil dieser Arbeit ist das Tuberkulose-Manifest mit dem Titel „ Testet mich, behandelt mich ". Darin stellen Menschen, die mit medikamentenresistenter Tuberkulose leben, und auch das medizinische Personal – ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen – gemeinsam Forderungen auf. Sie fordern darin sowohl sofortigen, allgemeinen Zugang zu Diagnose und Behandlung, als auch bessere Therapien und bessere Forschung, die zu verträglicheren und effektiveren Medikamenten sowie zu kürzeren Behandlungszeiten führen muss. An Geberländer wird appelliert, die finanzielle Unterstützung bei der Bekämpfung von TB und multiresistenter TB auszuweiten.

Dieses Interview wurde in gekürzter Fassung in der aktuellen Ausgabe der „Diagnose" veröffentlicht, dem Magazin von Ärzte ohne Grenzen Österreich.